Bei ihm schlafen die Patienten
Von Kiel nach Stade: Der neue Chefarzt in den Elbe Kliniken – und der Nachfolger der Institution Martin Gossler. Foto Stephan
Was macht eigentlich ein Anästhesist? „Wir leisten einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen einer Operation“, sagt Privatdozent Dr. Ole Broch. Seit 100 Tagen ist er der Nachfolger von Dr. Gossler, der vergangenes Jahr in den Ruhestand ging.
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Er muss es wissen, denn er ist der Neue auf der Kommandobrücke der „Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin“ in den Elbe Kliniken in Stade und damit verantwortlich, dass gut 13 000 Patienten pro Jahr gut durch ihre OP kommen. Seine beruhigende Feststellung: „An einer Narkose stirbt heute niemand mehr.“
38 Mediziner, darunter acht Oberärzte gehören zum Team des neuen Chefarztes, der am 1. Januar den langjährigen Chefmediziner Martin Gossler beerbt hat. Gossler war eine Institution, Broch weiß das: „Er hat mir ein Super-Kollegium mit Top-Medizinern hinterlassen“, sagt der 49-Jährige, der sich mitten in der klassischen Mediziner-Karriere befindet: die letzten 14 Jahre war er an der Uniklinik in Kiel tätig, erst als Oberarzt, dann seit 2014 als Leitender Oberarzt. Nach den Regeln der Branche folgt dann die Kür als Chefarzt. Die Familie mit drei Mädchen wohnt noch in Kiel, Ole Broch seit Oktober in Stade, denn drei Monate lang arbeitete er noch mit Martin Gossler, der über seinen Nachfolger im eigenen Stil kurz befand: „Das ist ein richtig Guter.“
Kompetent, nett, freundlich ohne Star-Allüren - so ist der Ruf des Chef-Anästhesisten nach fast 100 Tagen im Amt. Broch bestätigt dies auf Umwegen: „Wir sind als Team gut.“ Und im Team funktioniert der Teamchef auch im OP. Broch macht das, was alle Anästhesisten, im Jargon schlicht „Narkoseärzte“ genannt, hauptsächlich machen: den Patienten vor, bei und nach einem operativen Eingriff zur Seite zu stehen. „Für mich gehört die Arbeit im OP dazu, nur am Schreibtisch zu verwalten, ist nicht mein Ding.“
Der Job des Anästhesisten: Vor jedem geplanten Eingriff führt der Anästhesist mit dem Patienten das sogenannte Aufklärungsgespräch, bei dem sich der Arzt ein ausführliches Bild vom körperlichen und gesundheitlichen Zustand sowie den Bedürfnissen des Patienten macht. Der Mediziner bespricht mit dem Patienten das mögliche Anästhesie-Verfahren und klärt ihn über Vorteile und mögliche Nachteile auf. Während der Operation überwacht der Anästhesist die lebenswichtigen Funktionen des Patienten. Kreislaufstabilisierung, nennen das die Mediziner. Ein neues Monitorsystem, das jetzt auch im Elbe Klinikum eingesetzt wird, gilt dabei als wichtige Neuerung und liefert besonders bei Risikopatienten gute Daten, um individuelle Therapien während einer Operation anzuwenden.
Das ist die eine Aufgabe dieser medizinischen Zunft, die andere ist die klassische Narkose, die in den vergangenen Jahren einen enormen medizinischen Fortschritt erlebt hat, wie zuletzt der Einsatz von Ultraschall bei der „Peripheren-Regional-Anästhesie“, mit der Nervenbahnen in einzelnen Körperregionen gezielt blockiert werden können, um beispielsweise Operationen an Armen oder Beinen mit der lokalen Betäubung zu ermöglichen. Broch: „Ultraschall hat uns in der Anästhesie und Intensivmedizin enorm nach vorne gebracht.“
Auch bei den klassischen Vollnarkosen zeige sich der Fortschritt, insbesondere in der Verwendung von kurzwirksamen Substanzen, deren Zusammensetzung in der Verantwortung des Anästhesisten liegt. Üblicherweise wird eine Kombination von Medikamenten verabreicht, die besteht aus einem Schlafmittel (Hypnotikum), Schmerzmittel (Analgetikum) und teilweise einem Präparat zur Erschlaffung der Muskulatur (Relaxantien). „Unsere Substanzen sind extrem gut steuerbar“, sagt Broch. „Zudem stehen uns Monitorsysteme zur Verfügung um die Narkosetiefe genau zu bestimmen“. Dass ein Patient an einer falschen Dosis eines Narkosemedikamentes gestorben sei, habe er in seinem Berufsleben noch nicht erlebt. Gleichwohl stellt er aber auch fest: „Jeder der sagt, dass eine Operation und eine Narkose frei von Risiko ist, der lügt.“ Die Probleme entstünden meist durch Vorerkrankungen der Patienten, die entsprechend in die Therapie-Planung mit einbezogen werden müssen.
Nicht planbar ist dagegen das zweite Standbein seiner Abteilung, denn Ole Broch ist auch für die Intensiv- und Notfallmedizin zuständig, damit Chef der 14 Betten in der operativen Intensivstation. Dazu kommt der Rettungsdienst der durch seine Oberärztin, Frau Dr. Karen Sancken, organisiert wird: Im vergangenen Jahr fuhren seine Ärzte über 2300 Einsätze auf den Straßen des Kreises, denn der größte Teil der Notärzte in den Rettungswagen sind Anästhesisten, ein Job der bei vielen seiner Ärzte gut ankomme. „Weil die dann mal raus aus dem Klinik-Alltag kommen.“ Und Leben retten.
Was am Ende meist den Narkoseärzten nicht zugeschrieben wird. „Wir sind bei Operationen immer auf Augenhöhe mit den Kollegen und leisten einen entscheidenden Beitrag für das Gelingen einer Operation.“ Aber wird dem Anästhesisten auch gedankt? Ole Broch muss nicht lange überlegen: „Ruhm und Ehre geht meist an die Chirurgen.“