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Chefvisite: Am Schreibtisch des Landgerichts-Präsidenten

Carl-Fritz Fitting, Präsident des Landgerichts Stade, an seinem Schreibtisch.  Foto: Stephan

Carl-Fritz Fitting, Präsident des Landgerichts Stade, an seinem Schreibtisch. Foto: Stephan

Der Präsident kann erfrischend lässig sein, schlagfertig, schelmisch, ein amüsanter Anekdotenerzähler, aber auch ein Fighter mit Herzblut und Leidenschaft. Und einer, der gerne Klartext redet. „Richter sind mächtige Menschen“, sagt Carl-Fritz Fitting. 

Von Wolfgang Stephan Freitag, 19.08.2016, 14:00 Uhr

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Er muss es wissen, denn als Präsident des Landgerichts Stade ist er Dienstvorgesetzter von 94 Richtern in der Region. Also ist Carl-Fritz Fitting ein ganz mächtiger Mann. Doch so ist die Schlussfolgerung nicht ganz korrekt. Wenngleich sie stimmt.

Also: Carl-Fritz Fittings Feststellung zur gesellschaftlichen Stellung seiner Zunft muss im Kontext gelesen werden: Denn weil Richter mächtige Menschen seien, müssten sie mit ihrer Macht behutsam umgehen, sagt er. So klingt das gleich anders, wenngleich es an der Aussage nichts ändert.

Die Machtzentrale der Justiz in der Region liegt im zweiten Stock des Landgerichts in Stade, Zimmer 207. Ein nüchternes Verwaltungsbüro, das von einem großen elektronischen Zeichen-Board an der Wand und einem Besprechungstisch mit vier Stühlen dominiert wird. Der Schreibtisch steht nicht im Mittelpunkt, was auch dem Wirken des Präsidenten entspricht, der sich nicht als Schreibtischtäter sieht.

Der Blick auf den Schreibtisch: Die diversen Gesetzestexte, ein Aktenstapel, unsortiert wirkende Papiere, eine Tasse mit Stiften (mit dem Bild ehemaliger Mitarbeiter), ein Foto der Familie, die Brille und das Handy liegen auf dem nüchtern wirkenden Teakholz-Ambiente mit Chromaufbau. Kein Requisit aus der Abteilung Protz, aber auch kein Luxusprodukt. Ein Behördenschreibtisch, vorwiegend pure Funktionalität, wie das ganze Büro. Keinerlei Unordnung erkennbar, selbst die Aktenstapel auf dem Boden wirken sortiert. Der Präsident scheint bestens organisiert, hier arbeitet einer, der kreative Ordnung liebt, er findet, was er sucht.

Eigentlich passt das eher gediegene und nüchtern wirkende Ambiente mit der sterilen Lampe nicht zu dem 62-jährigen fröhlichen Rheinländer, schon eher zu dem Klischee eines beamteten Juristen, dem Fitting aber keinesfalls entspricht. Schon seine Einschätzung in eigener Sache würde ein freundlicheres Ambiente vertragen: „Manager der Justiz“, das ist seine Passion. Ein Traumjob, wie er ihn bezeichnet, weil er so ziemlich alle Facetten seines Typs verkörpert: Natürlich ist er in erster Linie Jurist, aber auch gerne ein kreativer Stratege, ein Kämpfer in der Sache, ein Unabhängiger und einer, der Spaß im Job haben möchte. Im Leben auch. Fitting ist in zweiter Ehe mit einer Richterin (am Amtsgericht tätig) verheiratet und hat vier Kinder.

„Verwaltung macht Spaß, wenn sie kreativ ist“, das ist einer der Leitsätze des in Bonn geborenen Juristen, der nach dem Studium der Liebe wegen in Hannover gelandet war. Erst als Richter am Landgericht und dann im Justizministerium. „Goldgräberzeit“, nennt Fitting diesen Lebensabschnitt, weil er da erstmals seine Managerqualitäten beweisen konnte. Anfang der 1990er Jahre war die Datentechnik in der Justiz absolutes Neuland, eine große Organisationsreform der Justiz stand an, und es wurde gebaut in Gerichten und Vollzugsanstalten. Mittendrin der umtriebige Rheinländer, der schon früh in die SPD eingetreten war, dies aber nicht – wie zu vermuten – als Sprungbrett für eine Parteikarriere im Ministerium sah, obwohl die nahelag.

Das richtige Parteibuch hat er, und so war es wenig verwunderlich, dass vor drei Jahren sein Name durch die Flure im Justizministerium geisterte, weil die neue rot-grüne Landesregierung auf der Suche nach genehmem Führungspersonal war. Ob er das gerne gemacht hätte?

„Ich wurde nicht gefragt“, sagt Fitting leidenschaftslos. Keine Anfrage, also auch kein Grund, sich damit zu befassen. Juristen denken so. Also bleibt er am Landgericht, an dem er seit 2002 als Präsident arbeitet. Damals wurde er gefragt, ob er sich bewerben möchte. Natürlich mochte er, denn Präsident eines Landgerichtes bedeutet erst einmal Unabhängigkeit, Macht, Reputation, aber auch Vielseitigkeit, wenn einer danach strebt. Und Carl-Fritz Fitting strebt danach, denn er hat eine rastlose Seite, die er gerne auslebt. Einerseits als Chefjurist in der Region gestalten, andererseits aber auch auf Landes- und Bundesebene Einfluss geltend machen. Eine der Akten auf seinem Schreibtisch betrifft seine Stellungnahme zu einem Gesetzesvorhaben im Bundesrat zum „Digitalen Hausfriedensbruch“, der Stader soll eine Bewertung schreiben. Wer das von Fitting fordert, bekommt eine klare Empfehlung: „Ich sage nur dann was, wenn ich etwas zu sagen habe.“

Im Kerngeschäft, das Fitting mit 70 Prozent seiner Tätigkeit skizziert, ist er Chef von 479 Beschäftigten im Landgerichtsbezirk mit seinen acht Amtsgerichten und Vorgesetzter von 94 Richtern im dienstrechtlichen, aber nicht im juristischen Sinne, denn die Richter sind nach dem Grundgesetz unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.

Aber wird der Präsident nicht vor wichtigen Urteilen gefragt? „Nein“, sagt Carl-Fritz Fitting. Zumindest nicht als Präsident. Vor der Urteilsverkündung weiß auch er nie, wie entschieden wird. Unter Kollegen im lockeren Gespräch werde schon über die eine oder andere Rechtsfrage gesprochen, aber nie in Richtung einer Weisung. Fitting ist nämlich als Chef zweier Kammern auch im klassischen Sinne Kollege seiner Richter: einer Beschwerdekammer in Strafsachen und einer Berufungsinstanz in Zivilsachen.

Dazu kommt seine Passion als Friedensstifter in der Mediation, ein freiwilliges und vertrauliches Verfahren , in der Konfliktparteien in einer nicht-öffentlichen Sitzung unterstützt werden, eine einvernehmliche Lösung zu finden, um den wirtschaftlichen Aufwand und die Belastung eines Prozesses aller Beteiligten zu vermeiden. Die Bandbreite reicht von Streitigkeiten innerhalb einer GmbH bis hin zu nachbarschaftlichen Konflikten. Dass einer wie er der geborene Mediator ist, würde Fitting so nicht sagen, er weiß es aber. Verbindlich, kompetent, nett, freundlich und irgendwie auch immer den Schalk im Nacken andeutend.

Aber worin besteht nun die Macht eines Landgerichts-Präsidenten? „Ich will die Justiz besser machen“, sagt Carl-Fritz Fitting. Effizientere Verfahren, eine schlankere Verwaltung und ein hohes Ansehen durch gute Urteile. Das sind die Triebfedern seines Handelns. „Verwaltung besteht darin, sich Arbeit zu machen“, sagt er. Daraus lässt sich aber doch keine Macht ableiten? Carl-Fritz Fitting lächelt bei der Nachfrage und zieht ein buntes Blatt aus seinem ungeordnet erscheinenden Schreibtischstapel. Es sieht aus wie ein Strickmuster aus der „Bunten“. „Das ist meine Personalplanung“, sagt er. Mehr nicht. Es reicht, um zu erahnen, dass er über sein Personal die Justiz steuert und im Griff hat. Auch inhaltlich. Säbel statt Keule. Das ist mehr als ein Spruch, denn Carl-Fritz Fitting ist ein Säbel-Kämpfer. Einst erfolgreich auf der Planche. Der politische Boykott der Olympischen Spiele 1980 in Moskau hat ihn um einen Lebenstraum gebracht, denn als Säbelfechter wäre er Olympionike gewesen. Wäre. Der Sport hat durchaus seine Spuren hinterlassen. „Wenn ich etwas will, dann kämpfe ich dafür“, sagt Fitting über Fitting, ein Fighter von leicht zu unterschätzender Leidenschaft. Everybody‘s darling kann und möchte er gar nicht sein, im Landgericht wird er gesiezt, die Beschäftigten reden respektvoll vom Chef, eine darf auch „alter Fritz“ sagen, aber das sei nicht despektierlich gemeint, versichert eine seiner Mitarbeiterinnen. Er ist ja auch erst 62 und spiele schließlich einmal im Jahr Fußball mit den Juristen gegen die Rechtsanwälte.

Freilich: Ein Hauch von Gelassenheit hat längst Einzug in sein Leben gefunden. Sollte er sich wirklich einmal ärgern, greift er zur Querflöte, denn: „Nach drei Stunden Hausmusik ist die Seele glatt.“

Gefragt nach einer seiner Maxime, zitiert Carl-Fritz Fitting den amerikanischen Philosophen Reinhold Niebuhr: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Ob er dem schon gerecht wird? Carl-Fritz Fitting lächelt. Es soll als Zustimmung verstanden werden.

„Zeige mir Deinen Schreibtisch und ich sage Dir, wer Du bist“: Der Schreibtisch als Spiegel der eigenen Seele? Einmal im Monat besucht TAGEBLATT-Chefredakteur Wolfgang Stephan unangemeldet einen Chef in der Region – um einen Blick auf seinen Schreibtisch zu werfen. Daraus folgt ein Porträt des Protagonisten.

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