Christoph Siebers Plädoyer auf das Menschsein

Kabarettist Christoph Sieber bei seinem Auftritt auf der Halepaghen-Bühne. Foto: Frank
Premiere beim Kleinkunstigel: Zum ersten Mal war Kabarettist Christoph Sieber am Sonnabend in Buxtehude zu Gast und rechnete mit so manchen Eigenarten der heutigen Gesellschaft ab.
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Schon als der Kabarettist die Bühne betritt, applaudieren die etwa 400 Zuschauer in der Halepaghen-Aula begeistert. „Wir leben in turbulenten Zeiten“, eröffnet Sieber den Abend. Warum? Weil wir weiterkommen, aber uns dafür nicht ändern wollten. Die ganze Debatte rund um das Klima sei da das beste Beispiel. Auch den oft als „Zerstörungsvideo“ betitelten Beitrag des Youtubers Rezo spricht Sieber an, und gibt ihm Recht: „Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen.“ Und was sage die CDU dazu? Egal, die Aussicht sei doch so schön. Der Kabarettist berichtet, wie kürzlich Einer mit einem Liegefahrrad an ihm vorbeifuhr. Das sei für ihn typisch deutsch: liegen bleiben und trotzdem vorankommen wollen.
Und dann seien da ja noch die vielen Leute, die die Meinungsfreiheit in Gefahr sehen. Da kann Sieber nur den Kopf schütteln. Er findet, dass es heutzutage viel zu viele Meinungen gäbe. Da reiche doch ein Blick in die Kommentarspalten in sozialen Netzwerken: „Sehr viel Meinung mit sehr wenig Ahnung“ sei dort zu finden. Hinzu kämen noch die krudesten Verschwörungstheorien. Die Erde sei flach mit einem Loch in der Mitte, die Menschheit werde von außerirdischen Echsen in Politikergestalt regiert. Sieber vermischt diese Theorien gekonnt zu einem großen Ganzen, das zeigt, wie sinnlos sie alle sind und sich auch noch gegenseitig widersprechen.
Die nächsten Punkte in Siebers Programm: die Digitalisierung und die Arbeit. Dank „intelligenter Abdunkelungssysteme“ – früher hieß das ja einfach Rolladen – bekomme er das Licht in Hotelzimmern manchmal kaum noch ausgeschaltet, intelligente Kühlschränke bestellten mittlerweile Lebensmittel nach, und intelligente Teppiche alarmierten den Notruf, wenn eine Person, mutmaßlich hilflos, darauf liege. „Für alles Intelligente, was es gibt, braucht es auch einen Dummen, der es kauft“, so das Fazit des Kabarettisten, der anschließend eine bitterböse Szene im Jobcenter nachstellt. Arbeit hätte er als Mitarbeiter keine mehr anzubieten, nur noch „Maßnahmen und Fortbildungen“. „Am Ende interessiert sich niemand mehr für Sie!“, wirft er seinem vermeintlichen Kunden mit einem hässlichen Lachen an den Kopf. Hartz 4 habe die Menschenwürde mittlerweile ersetzt. Eine bittere Wahrheit, die schwer zu leugnen ist.
Hierzulande gelte viel zu sehr, dass Arbeit keine Freude machen dürfe, moniert Sieber. Denn was Freude mache, sei ein Hobby, und sein Hobby zum Beruf zu machen, das gehöre sich ja nun wirklich nicht. Aber wenn der Burnout als Auszeichnung gelte, dann stimme etwas ganz gewaltig nicht. Doch er wolle den Zuschauern keine Angst machen, sagt Sieber kurz vor Ende der ersten Hälfte seines Programms. Die Aufgabe des Kabaretts sei, die Angst zu nehmen.
„Ich bin selten so euphorisch begrüßt worden wie heute“, freut sich Christoph Sieber bei einem kurzen Gespräch in der Pause. Sein Programm „Mensch bleiben“ spielt er seit Januar. „Das Menschsein ist die Gemeinsamkeit, die wir alle haben. Und die kann niemand verlieren, auch nicht, wenn er zum Beispiel eine Straftat begangen hat“, so der Kabarettist, dem es sichtlich wichtig ist, all diese politischen und gesellschaftspolitischen Themen anzusprechen. Eine bestimmte Botschaft, die die Zuschauer nach der Veranstaltung mit nach Hause nehmen sollen, gebe es aber nicht. „Ich präsentiere gewisse Haltungen in meinem Programm, aber die Zuschauer müssen das nicht so sehen. Wir brauchen Diskurs in der Gesellschaft“, so der Kabarettist. Zweifel sei seiner Meinung nach wichtiger als Gewissheit. Denn wenn jemand von etwas total überzeugt sei, sei das, was ein Anderer sage, für denjenigen nicht mehr relevant. „Meine Botschaft ist letztendlich der Humor“, schließt Sieber.
Im zweiten Teil seines Programms spricht er ausgiebig über die Demokratie. Es macht ihm Sorgen, dass die Demokratie „schlechte Bewertungen“ bekomme, dass manch einer lieber eine Autokratie hätte, damit er stets gesagt bekomme, wo es lang geht. Ein Satz des Kabarettisten kommt dann aber doch wie eine Botschaft rüber, obwohl er doch eigentlich keine mitgeben wollte: „Es gibt keinen gemäßigten Faschismus“, sagt Sieber mit Nachdruck. Ein Faschist, der demokratisch gewählt wurde, werde dadurch nicht zum Demokraten. Mit einem Lied, einem Plädoyer dafür, sich einzumischen und Mensch zu sein, verabschiedet sich Christoph Sieber von der Bühne, begleitet von viel Applaus des Buxtehuder Publikums.
„Mir hat es sehr gut gefallen, weil er sehr vielfältig war und aktuelle Themen angesprochen hat.“ (Dieter Wenskus, Beckdorf)
„Es war super, tolle Pointen. Ich kannte Christoph Sieber vorher gar nicht.“ (Ingeborg Lamek, Buxtehude)