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Das Ringen um den Klimaschutz

Thomas Ringleben-Fricke , Sprecher der Buxtehuder Mahnwache für den Atomausstieg und Oliver Grundmann (CDU), Bundestagsabgeordneter aus Stade. Fotos Richter/Tobias Koch

Thomas Ringleben-Fricke , Sprecher der Buxtehuder Mahnwache für den Atomausstieg und Oliver Grundmann (CDU), Bundestagsabgeordneter aus Stade. Fotos Richter/Tobias Koch

Tausende Schüler haben am Freitag in Hamburg mit Greta Thunberg eine bessere Klimapolitik eingefordert. Das Thema treibt nicht nur die Jugend um: Die Buxtehuder Mahnwache für den Atomausstieg hat dazu Oliver Grundmann, den Bundestagsabgeordneten ihres Wahlkreises, befragt.

Von Anping Richter Samstag, 02.03.2019, 12:00 Uhr

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Seit der Atomkatastrophe von Fukushima, also seit acht Jahren, geht die Buxtehuder Mahnwache regelmäßig auf die Straße und fordert nicht nur das Abschalten der Atomkraftwerke, sondern auch eine umweltfreundliche Energiewende. Am Montag, 11. März, dem Fukushima-Jahrestag, will die Mahnwache wieder um 18 Uhr am Has-und-Igel-Brunnen stehen und dabei auch die weltweiten Schülerproteste für den Klimaschutz unterstützen. Dass der CDU-Bundestagsabgeordnete Oliver Grundmann auf dem Weg zum Weltklimagipfel nach Kattowitz im TAGEBLATT drei Fragen zum Klimaschutz beantwortete, haben die Buxtehuder Aktivisten zum Anlass genommen, ihm weitere Fragen zu stellen. Den daraus folgenden kontroversen Briefwechsel geben wir in Auszügen wieder.

Wo Grundmann und Mahnwache sich einig sind: Erstens: Die Stromspeichertechnik muss vorangebracht werden. Zweitens: Die doppelte Besteuerung durch die EEG-Umlage, mit der vorhandene Stromspeicher belegt werden, ist ein Fehler und gehört abgeschafft. Er mache sich in Berlin dafür stark, verspricht Grundmann auf Ringleben-Frickes Nachfrage.

Wie die Klimaziele erreicht werden sollen: Deutschland habe seine Klimaziele 2020 verfehlt, hatte Grundmann im TAGEBLATT gesagt und das damit begründet, „dass wir eine Exportnation sind, die sehr viel produziert“. Aber, wenn wir auch in Zukunft eine Exportnation bleiben, die sehr viel produziert, fragt der Mahnwachen-Sprecher. Er will wissen, welche Entscheidungen getroffen werden müssten, um die Klimaziele zu erreichen, nach denen Deutschland laut Grundmann bis 2030 mindestens 55 Prozent und bis 2050 mindestens 80 Prozent der Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zu 1990 einsparen soll.

Grundmanns Antwort: Es werde vor allem darum gehen, kluge technologieoffene Anreize zu schaffen – etwa im Bereich der Mobilität. Ob Oberleitungen, Brennstoffzellen, Power-to-Liquid oder Batterie-Technik – die Zukunft werde zeigen, welche Technik am effizientesten sein werde, um zum Beispiel die Verlagerung der Verkehrsleistung von Pkw und Lkw auf Schienen-, Binnenschiff- oder Busverkehr zu übertragen.  Für den weiteren Ausbau der Windkraft an der norddeutschen Küste hatte sich Grundmann im TAGEBLATT-Interview ausgesprochen – ganz im Sinne der Mahnwache, sagt Ringleben-Fricke. Er verweist aber darauf, dass trotz beschlossener Sonderausschreibungen im Ausbau der Windkraft „offenbar ein Faden gerissen“ sei und der begonnene Abbau von Tausenden Arbeitsplätzen weitergehe.

Grundmann versichert als Vorsitzender der Küstenparlamentarier für die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, dass er den Anlagenbetreibern „voll und ganz zur Seite stehe“. Mit konkreten Zielvorgaben, nach denen die Mahnwache fragt, sei er vorsichtig, „um keine falschen Erwartungen zu wecken“. 

Wie steht es um die Kohlekraftwerk-Pläne in Bützfleth? Die Planungen zur Energieversorgung der Chemie-Industrie an der Elbe in Stade-Bützfleth sind nach Auffassung der Mahnwache eine Nagelprobe der Energiewende. Ob Grundmann die Planungen für ein Kohlekraftwerk weiterhin unterstütze? Seinen Informationen nach plane Dow Chemical kein konventionelles Kohlekraftwerk, sagt Grundmann. Durch modernste Technologien könnten dort sowohl fossiles Gas als auch Wasserstoff-Biomasse und Steinkohle eingesetzt werden. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Kohlekommission werde sich zeigen, ob eine solche Investition heute noch lohne. Diese Entscheidung sei eine unternehmerische, keine politische.

Wie klimafreundlich wäre ein LNG-Terminal in Stade? Ringleben-Fricke will von Grundmann wissen: „Halten Sie einen Import von ausländischem LNG (Flüssiggas) aus Fracking-Gas für unbedenklich?“ Heute werde kaum zwischen mit oder ohne Fracking-Technologie gefördertem Erdgas differenziert, kritisiert Grundmann: „Dahinter liegt die Motivation, Gas als Energieträger zu verunglimpfen. Dieses Spiel mache ich nicht mit.“ Am Ende werde der Markt entscheiden, woher das Gas bezogen wird; zurzeit sei Katar der weltgrößte Exporteur. Gas werde als Brückentechnologie benötigt, weil Deutschland seinen Energiebedarf sonst nicht decken könne. Im Bereich der Seeschifffahrt sei LNG sehr sinnvoll, weil Schiffe mit LNG-Antrieb im Vergleich zum konventionellen Schweröl 25 Prozent weniger CO2, 99 Prozent weniger Schwefelverbindungen, 99 Prozent weniger Feinstaub und 85 Prozent weniger Stickoxide emittieren. Im Vergleich zu Rohrfernleitungsgas aus Russland und Nachbarländern verbrauche die Erzeugung von LNG aber mehr Energie, führt Ringleben-Fricke an. Er will wissen, wie Grundmann dies im Hinblick auf den angestrebten Weltklimavertrag bewerte. „Im Kontext der derzeitigen russischen Außenpolitik halte ich es für keine kluge Idee, sich von russischem Gas abhängig zu machen“, antwortet Grundmann.

Die Mahnwache hat Grundmanns Antworten im Anschluss wiederum kritisch kommentiert. Ein Kritikpunkt: Aufgrund des derzeitigen Fracking-Booms in Nordamerika erfolge dort gerade der Aufbau großer LNG-Exportkapazitäten. Nordamerikanisches Fracking-Erdgas in Form von LNG werde daher in naher Zukunft massiv auf den Markt drängen. Eine Antwort auf den erneuten Kommentar hatte die Mahnwache bisher nicht bekommen, Grundmann hat dem TAGEBLATT aber eine Stellungnahme übermittelt: Er fordert einen funktionierenden Dreiklang aus Klimaschutz, gesellschaftlicher Akzeptanz und ökonomischer Vernunft. „Wenn wir die Menschen verlieren, haben wir den Kampf ums Klima verloren“, sagt er und nennt als Stichwort die Gelbwesten. „Fällt einer der Punkte unter den Tisch, ist der Dreiklang futsch. Dann wird’s Murks“, sagt er. Die aktuelle Diskussion über das LNG-Terminal in Stade sei das beste Beispiel dafür. Es gehe um eine Investition von mehr als 700 Millionen Euro: „Das schafft neue Arbeitsplätze. Das steigert die Attraktivität unseres Seehafens. Das schafft Rohstoff- und Energiesicherheit für unsere chemische Industrie. Da hängen Hunderte hoch qualifizierte Industriearbeitsplätze dran.“ Die Mahnwache würde das Geld lieber in den Ausbau der erneuerbaren Energien investieren und sieht LNG aufgrund der „sehr negativen“ Klimabilanz  kritisch: „Das Tiefkühlen auf minus 160 Grad ist sehr energieaufwendig. Bei Produktion und Transport entweicht Erdgas, das unverbrannt die 25-fach höhere Treibhausgaswirkung hat als CO2“, warnt Ringleben-Fricke.

Das Fazit der Mahnwache: „Bei uns ist die Befürchtung gewachsen, dass die Politik noch immer auf die Bremse tritt und viel zu verhalten und zögerlich agiert.“ Durch ein schnelles Abschalten der norddeutschen Atomkraftwerke könnten sofort ausreichend Kapazitäten zum Ableiten des Windstroms in den Süden bereitgestellt werden – solange nicht neue Kohlekraftwerke die Leitungen belegen.  „Mit unserer derzeitigen Energieproduktion und dem hohen Energieverbrauch sind wir an die Grenzen unseres Planeten gestoßen und gefährden die Zukunft unserer Kinder und Enkel“, sagt Ringleben-Fricke. Deshalb hoffe die Mahnwache für Montag, 11. März, auf viele Mitstreiter.

Der Kommentar der Mahnwache kann hier im Wortlaut als PDF heruntergeladen werden.

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