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„Die Schläferin“: Kriminalfall erschütterte vor sechs Jahren Stade

Arbeiteten gemeinsam am Film Mirko Winkel, Tim Schramm und Alexandra Gerbaulet. Foto Klempow

Arbeiteten gemeinsam am Film Mirko Winkel, Tim Schramm und Alexandra Gerbaulet. Foto Klempow

In der Nacht zum Weltfrauentag hatte Irina S. ihren Ehemann in Stade getötet. Sie wurde verhaftet, nahm sich wenig später das Leben. Ein Künstler-Trio hat sich ihrer Geschichte angenommen. Der Film „Die Schläferin“ ist jetzt in der Stader Seminarturnhalle zu sehen.

Von Grit Klempow Dienstag, 27.06.2017, 09:00 Uhr

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„Irinas Tat hat mich an meine Großmutter Margit erinnert“, sagt Regisseurin Alex Gerbaulet. „Sie hat sich mehr als einmal gewünscht, der Tod möge ihre glücklose Ehe beenden. Trotzdem ist sie nach dem Tod meines Großvaters nicht mehr glücklich geworden, denn sie hat nie gelernt, eigenständig zu existieren.“

Mit den Artikeln über Irina S. und den Erinnerungen an ihre Großmutter als Ausgangspunkt, begann für Alex Gerbaulet eine intensive Beschäftigung mit dem Thema ‚häusliche Gewalt‘, auch in ihrer eigenen Familiengeschichte.

Der Fall Irina S. hatte die Stadt im Jahr 2011 erschüttert. Eine „unsichtbare Frau“, so Gerbaulet. Eine Frau, die in ihrer Rolle als Ehefrau verschwand und als Spätaussiedlerin in Deutschland nicht wahrgenommen wurde. Die 65-Jährige hatte in der Nacht zum Weltfrauentag am 8. März ihren Mann getötet, zerteilt und in Plastiksäcke verpackt in den Keller des Mehrfamilienhauses gebracht. Am nächsten Tag war sie verhaftet worden, gestand die Tat, schwieg aber über ihr Motiv. Im April 2011 nahm sich Irina S. das Leben. Die überregionale Presse habe ihre Aufmerksamkeit auf die Tat gerichtet, „doch paradoxerweise ist ihre Person durch diese medialen Scheinwerfer überblendet und damit abermals zum Verschwinden gebracht worden“, schilderte die Regisseurin während der Arbeit am Drehbuch. Es habe meist nur zwei Sichtweisen gegeben: Die 65-Jährige als Monster oder als eigentliches Opfer, von häuslicher Gewalt.

Zusammen mit dem Künstler Mirko Winkel und dem Schriftsteller Tim Schramm recherchierte Alex Gerbaulet seit Ende 2013, unterstützt von der Stader Stiftung für Kultur und Geschichte, in Stade selbst zum Fall der Irina S.. Sie sprachen dabei mit zahlreichen Menschen, die Irina S. nach ihrer Tat begegnet sind: Ihrer Anwältin, der Polizei oder den Vollzugsbeamten in der JVA für Frauen in Vechta.

Je mehr sie erfuhren, desto wichtiger erschien es ihnen, nicht die Tat selbst in den Vordergrund zu stellen, sondern die Zeit vorher: Irinas von Schicksalsschlägen, (Auf-)Brüchen, alltäglicher Gewalt und Sprachlosigkeit geprägtes Leben, schildert Mirko Winkel. „Meine Großmutter Margit hat mich in Gedanken immer begleitet und so habe ich schließlich in der Montage des Films ihre Lebensgeschichte der Lebensgeschichte von Irina beiseitegestellt“, so Alex Gerbaulet. Aus der Beschäftigung mit einem Kriminalfall wurde die Beschäftigung mit den Lebensgeschichten zweier Frauen, die viel gemeinsam hatten. Die Persönlichkeiten beider Frauen, sind hinter ihren Rollen als Ehe- und Hausfrauen zurückgetreten und sie waren so lange unsichtbar, bis sie selbst zu Täterinnen wurden.

„Die Schläferin“ wurde 2016 in Stade gedreht und befindet sich zurzeit in der Fertigstellung. Am Freitag, 30. Juni, ab 20 Uhr wird der 17-minütige Film im Rahmen einer Veranstaltung „Hinter Vier Wänden“ als Vorpremiere erstmals für das Stader Publikum zu sehen sein. Vor der Präsentation des Films mit anschließendem Gespräch wird die Arbeit des Stader Frauenhauses vorgestellt, das Frauen im Falle von häuslicher Gewalt Hilfe, Beratung und vorübergehend eine geschützte Unterkunft anbietet.

Zu sehen ist der Film „Die Schläferin“ am Freitag, 30. Juni, ab 20 Uhr in der Seminarturnhalle Stade, der Eintritt frei. Die Recherche wurde unterstützt von der Stader Stiftung für Kultur und Geschichte. Der Kurzfilm wurde gefördert von der „nordmedia“, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und dem Landschaftsverband Stade. Die Veranstaltung „Hinter Vier Wänden“ wird gefördert von der Hansestadt Stade.

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