Durchatmen an der Nordsee: Wie Salz und saubere Luft der Lunge helfen

Elke Jordan (l), Ärztliche Direktorin der Klinik Norderney, und die Patientenbeauftragte und Thalasso-Therapeutin der Klinik, Vera Bauer, gehen am Strand von Norderney spazieren. Foto: Volker Bartels/dpa
Salzwasser und saubere Luft - damit punkten die Ostfriesischen Inseln. Menschen mit Asthma spüren die Wirkungen besonders. Auf der Insel Norderney haben zwei Frauen deshalb ein besonderes Ritual.
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Sie atmen tief ein, zappeln mit Armen und Beinen und schwimmen. Jeden Dienstagmittag steigen die Chefärztin Elke Jordan und die Patientenbeauftragte Vera Bauer ins Meer. Niedrige Temperaturen halten sie nicht von ihrer besonderen Mittagspause ab. „Bei fünf Grad Wassertemperatur sind wir beide reingegangen“, erzählt Jordan, die Ärztliche Direktorin der Klinik Norderney ist. „Wir planen das ganz bewusst“, erklärt die Thalasso-Therapeutin Bauer. Thalasso umfasst verschiedene Behandlungen, welche die heilenden Eigenschaften des Meeres nutzen. „Das tut uns gut.“
Die beiden Frauen sind Allergikerinnen und haben eine chronische Erkrankung der Atemwege. Die ostfriesische Insel tut ihnen gut. „Ich habe, seit ich hier bin, noch keinen Atemwegsinfekt gehabt, benötige keine Medikamente mehr“, berichtet Jordan, die auf Norderney lebt und regelmäßig am Strand spazieren geht. „Die Luft ist - dadurch dass wenig Verkehr ist und eigentlich immer Wind - sehr sauber.“ Auf der Insel lasse sich Stress gut abbauen. Der Blick aufs Meer führe zu mehr Gelassenheit und Entspannung, sagt die 61-jährige Lungenfachärztin.
Behandlungen am Strand und in der Nordsee
Die Patientenbeauftragte der Klinik, Bauer, lebt auf dem Festland in Bad Zwischenahn im Ammerland. Aus gesundheitlichen Gründen ist es ihr wichtig, wöchentlich auf der Insel sein - meist ist sie für zwei bis drei Tage dort. Ihr zufolge hat ein Aufenthalt auf der Insel für Allergiker viele positive Effekte. Weil weniger Allergene in der Luft sind, werden allergische Beschwerden gelindert. Die Zeit am Meer stimuliere außerdem das Immunsystem. So sinke die Anfälligkeit für Infekte, unter denen viele Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen leiden. „Deswegen machen wir mit unseren Patienten viele Behandlungskurse, Behandlungseinheiten direkt an der Wasserkante und auch im Wasser.“
Sommerserie Urlaubsmacher
Tourismusbranche: Ohne ausländische Verstärkung geht nichts
Marodes Denkmal in der Nordsee
Alter Leuchtturm sucht neue Heimat – Konkurrenzkampf um „Roter Sand“
Die 58-jährige Gesundheitsberaterin hat seit ihrer Kindheit die Lungenerkrankung Asthma bronchiale und ist unter anderem gegen Hausstaubmilben, Tierhaare, Schimmelpilze und viele Gräserpollen allergisch. Als Mädchen war sie jährlich mehrere Monate auf Norderney - in einer Einrichtung für chronisch kranke Kinder. Auf der Insel hätten sich ihre Beschwerden spürbar gebessert, erzählt sie.
Zeit auf Ostfriesischer Insel hilft Betroffenen
Viele Betroffene machen ähnliche Erfahrungen. „Die Ostfriesischen Inseln spielen eine bedeutende Rolle für Menschen mit Atemwegserkrankungen wie Asthma sowie für Allergiker“, teilt eine Sprecherin der Ostfriesische Inseln GmbH mit. Sie verweist darauf, dass auf Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge das besondere Reizklima der Nordsee herrscht – geprägt durch salzhaltige, pollen- und schadstoffarme Luft. „Für viele chronisch Erkrankte bedeutet ein Inselaufenthalt daher eine spürbare Linderung, für andere eine willkommene präventive Maßnahme.“
Kein oder nur wenig Verkehr sorgt für gute Luft
Der Deutsche Wetterdienst bestätigt: „Die Luftqualität auf den Ostfriesischen Inseln ist sehr gut“, teilt eine Sprecherin des Deutschen Wetterdienstes auf dpa-Nachfrage mit. Sie verweist darauf, dass Baltrum, Langeoog, Juist, Spiekeroog und Wangerooge autofrei sind und es auf Norderney und Borkum deutliche Einschränkungen für den Verkehr gibt. Damit sei eine der Hauptquellen für Stickoxide und Feinstaub weitgehend minimiert. Zudem gebe es auf den Inseln keine großen Industrie- oader Gewerbebetriebe mit nennenswerten Emissionen. Allerdings könne der Schiffsverkehr die Luftqualität vorübergehend negativ beeinflussen.

Elke Jordan (r), Ärztliche Direktorin der Klinik Norderney, und die Patientenbeauftragte und Thalasso-Therapeutin der Klinik, Vera Bauer, in der Nordsee vor Norderney. Foto: Volker Bartels/dpa
Spezielle Angebote für Allergiker und Asthmatiker gibt es viele auf den Ostfriesischen Inseln. Sogenannte Thalasso-Zentren bieten Anwendungen etwa mit Meerwasser, Schlick, Algen, Inhalationen und Atemübungen an. Kurkliniken und Rehaeinrichtungen etwa auf Norderney und Borkum haben sich auf Atemwegstherapien spezialisiert, wie die Sprecherin der Ostfriesische Inseln GmbH schreibt.
Frauen wollen Vorbild sein
Die Fachärztin für Lungenheilkunde und Schlafmedizin Jordan bemerkt bei vielen Patienten und Patientinnen positive Effekte: „Oft gelingt auch eine Reduktion der Medikamente“, berichtet sie. Bei der Behandlung nutzt die Klinik unter der Trägerschaft der Deutschen Rentenversicherung Westfalen nach eigenen Angaben alles, was das Meer und die Insel bieten: Das Wasser, den Sand und die Luft.
All das spüren die Kolleginnen Jordan und Bauer bei ihrem wöchentlichen Bad im salzigen Meer. Neben positiven Effekten für die eigene Gesundheit soll das Ritual auch anderen helfen. „Wir wollen damit natürlich auch ein Vorbild für unsere Patienten sein“, sagt Psychologin Bauer. Es sei wichtig zu zeigen, dass Kälte gut für die Behandlung ist. Ihr zufolge haben die beiden Frauen Erfolg: „Es hat eine Wirkung, wenn wir im Februar mit unseren Bademänteln zum Strand wackeln“, sagt sie. Ihr zufolge denken dann viele: „Wenn die Chefärztin das macht, dann muss das gut sein.“