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„Sport vernetzt“

Ehrenamtliche bringen Schüler in Lüneburger Brennpunkt in Bewegung

Stefan Schröder (M) und Friederike Kraft (r), beide Trainer bei „Sport vernetzt“ leiten zusammen eine Übungseinheit beim Fußball. Nicht alle Kinder haben Zugang zu Freizeitsport.

Stefan Schröder (M) und Friederike Kraft (r), beide Trainer bei „Sport vernetzt“ leiten zusammen eine Übungseinheit beim Fußball. Nicht alle Kinder haben Zugang zu Freizeitsport. Foto: Philipp Schulze/dpa

Manche Kinder besitzen nicht einmal Turnschuhe. Ein Projekt in Lüneburg bietet sportliche Angebote an Schulen in sozialen Brennpunkten. Das ist manchmal konfliktreich.

Von Britta Körber Freitag, 04.10.2024, 08:00 Uhr

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Lüneburg. „Was ist ein Wettkampf?“, fragt Ayla während der AG Mädchenfußball. Die aufgeweckte Zehnjährige flachst mit ihren beiden Mitstreiterinnen und verpasst manches Mal den Einsatz, wenn sie den Ball auf einer Strecke zwischen den Hütchen führen soll.

Anleiterin Friederike Kraft erklärt, dass nun alle vier Teams gegeneinander antreten. Wer gewinnt, ist eigentlich nicht so wichtig an diesem Nachmittag in der Turnhalle der Anne-Frank-Schule in Lüneburg.

Wichtig ist es, die mehr als ein Dutzend Schülerinnen der dritten und vierten Klassen für etwas zu begeistern, was mit Bewegung und nichts mit den sozialen Medien zu tun hat. „Dazu stehen wir in Konkurrenz, das ist die Riesenherausforderung“, sagt Stefan Schröder von der Leuphana Universität Lüneburg.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Sportinstituts initiierte das Projekt „Sport vernetzt“ vor drei Jahren in der Hansestadt und ist selbst bis zu 30 Stunden in der Woche ehrenamtlich in der Drei-Felder-Halle dabei oder koordiniert.

Manchmal gibt es Prügeleien

Inzwischen gibt es 13 unterschiedliche Angebote - viele Ballspiele wie Hockey sind darunter. Übungsleiter aus Vereinen sowie Studenten der Uni engagieren sich jeweils im Tandem bei den Kursen. Zu zweit sei es einfacher, auf die Kinder einzugehen. Konfliktpotenzial gebe es genug, manchmal auch Prügeleien, berichtet Schröder. In einem kleinen Raum gibt es neben Spielgeräten auch Turnschuhe zum Ausleihen.

Die Idee der Nachmittagsangebote von der Kita bis zum Schulabschluss stammt vom Basketball-Bundesligisten Alba Berlin, inzwischen gibt es solche Initiativen in mehr als 70 sozialen Brennpunkten bundesweit. Schröder begleitet wissenschaftlich zehn Standorte deutschlandweit - darunter sind Schulen in Hannover und Bremen.

Kinder lernen sich kennen – weniger Konflikte auf dem Schulhof?

Der Ton ist oft rau untereinander, es wird geflucht und auch an den Haaren gezogen. Aber die 24-jährige Friederike wiederholt geduldig Anweisungen und Ratschläge - laut wird sie nicht. „Manches Mal gehe ich gefrustet aus der Halle, aber es gibt mir viel, wenn die Kinder Beziehungen untereinander aufbauen“, erzählt die Studentin. An ihrer Seite steht während der etwa 80 Minuten Thora Schädel (22), eine Oberliga-Fußballerin, die viel Ruhe ausstrahlt.

Es gibt klare Regeln und Rituale, erzählt Friederike, die auch ihre Masterarbeit über dieses Freizeitangebot schreibt. Ein Erfolg ist es für sie, wenn Kinder es zum Beispiel schaffen, über ihren Frust zu reden - anstatt sich einfach in eine Ecke zu verkrümeln. Zu Beginn des Schuljahres war ihr der Kurs zu wuselig und unstrukturiert, inzwischen kennen sich alle mit Namen, richtig laut wird es selten.

Die sozialen Kontakte untereinander entschärften auch Konflikte auf dem Schulhof, bestätigt Interims-Schulleiter Andreas Bergmann: „Die hohe Professionalität der Anleiter und die gute Qualität sind wichtig, denn die Kinder sind herausfordernd.“

„Die Lehrer sind voll nett“

Manche vertrauen sich nach einiger Zeit sogar den Anleitern an, berichten über Probleme zu Hause und ihre Ängste, erzählt Schröder. Er und seine Mitstreiter würden als Bezugspersonen ohne Bewertungsdruck wahrgenommen. Das sei nicht immer einfach aufzufangen. Aber hinter allem stehe auch die Vision, die Heranwachsenden durch den Sport zu stärken: „Wir versuchen, das Leben zu öffnen.“

„Die Lehrer sind voll nett“, bestätigt Emma die Arbeit der jungen Leute, die verlässlich jede Woche in der Halle stehen. „Eigentlich bin ich kein Fußball-Fan, aber hier will ich für immer bleiben“, sagt die Zehnjährige. Die gleichaltrige Norjan träumt sogar von einer sportlichen Zukunft: „Meine Mutter hat gesagt, vielleicht wirst du Profifußballerin“. (dpa)

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