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Ein Leben für die Wurst und Italien

Im Sommer steht Werner Poschmann am Grill, im Winter macht er Urlaub.

Im Sommer steht Werner Poschmann am Grill, im Winter macht er Urlaub.

Die 24-Stunden-Reportage: Von 12 bis 13 Uhr im Grill-Imbiss am Estesperrwerk – Werner Poschmann ist der Mann hinter dem Grill.

Von Annika Nowottny Mittwoch, 05.08.2015, 17:28 Uhr

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Die Pommes blubbern im Fett, die Thüringer Rostbratwurst brutzelt auf dem Grill, als Werner Poschmann seinen Kunden zuruft: „Das Matjesbrötchen mit Remoulade oder Knoblauchsauce?“ Seit 2010 steht der Hamburger sieben Tage die Woche hinter dem Grill seines Imbisses am Fähranleger in Cranz. Freizeit kennt der Rentner keine – bis es September wird. Dann setzt er sich in sein Wohnmobil und kehrt Stammkunden, Touristen und der Rostbratwurst den Rücken.

„Wenn Sie hier reinkommen, dürfen Sie heute kein Rendezvous mehr haben“, warnt Werner Poschmann. Der Geruch vom Friteusenfett wabert durch seinen kleinen Imbisswagen mit Elbblick und scheint sich ab der ersten Sekunde in Haaren und Kleidung festzukrallen. „Ich riech‘ das gar nicht mehr“, sagt Poschmann, während er die einzige Thüringer auf dem Grill wendet.

In seinem Imbiss kommt nur die bestellte Wurst auf den Grill, aufgewärmt wird nichts. Ein Herr wartet seit 15 Minuten auf seine Currywurst und blickt dabei auf die Elbe mit dem Panorama des Hamburger Stadtteils Blankenese im Hintergrund. „Hektische Leute brauche ich nicht“, sagt Poschmann. Seine Gerichte dauern eben ein Weilchen, bis sie fertig sind. „Dafür gibt es bei mir auch keinen dreimal frittierten Backfisch“, sagt er.

Von April bis September dreht sich bei dem Rentner sieben Tage die Woche alles um Wurst, Backfisch und Matjes-Brötchen. „Ich hab gar keine Zeit, noch etwas anderes zu machen.“ Um 12 Uhr öffnet der 67-Jährige seinen Imbiss in Cranz und spannt die Sonnenschirme auf. Davor heißt es einzukaufen. Der Weg von seiner Wohnung in Hamburg-Barmbeck bis nach Cranz nimmt weitere Zeit in Anspruch. Geöffnet hat Werner Poschmann bis etwa 18 Uhr. Wenn viel los ist oder besondere Schiffe auf der Elbe angekündigt sind, bleibt er länger. „Gestern war ich um halb elf zu Hause und dann musste ich noch meine Soßen machen“, sagt er.

In Reih und Glied stehen die Flaschen in verschiedenen Farben auf der Theke. Sie sind mit Etiketten versehen: Remoulade, Senf, Ketchup. Die Soße für die Currywurst ruht dickflüssig in einem Behälter, der sie warm hält. „Meine Saucen verfeinere ich alle selbst.“ Auch beim Fisch und Fleisch habe er lange nach den richtigen Produkten gesucht. „Backfisch hat oft so eine dicke Panade, meiner nicht“, sagt er und zeigt das gefrorene Stück Fisch, das fast doppelt so groß ist wie das Brötchen, in dem es später landet, nachdem es exakt sieben Minuten frittiert worden war. Poschmann stellt bei jedem Fisch einen Wecker, sobald er in der Friteuse schwimmt.

Zwölf Jahre war der gelernte Einzelhandelskaufmann in der Gastronomie in Nordrhein-Westfalen tätig. Als er in Rente ging, zog es den gebürtigen Hamburger zurück in seine Heimatstadt. „Dann war der Wagen mit diesem Stellplatz zu verkaufen.“ Werner Poschmann schlug zu. Dass er künftig nicht nur am Grill steht, wusste er damals nicht: „Ich bin hier auch die Auskunft“, sagt er lachend. Wie komme ich nach Jork? Kann man bei ihnen Tickets für die Fähre kaufen? Warum fährt die Fähre bei Ebbe nicht? Touristen hätten viele Fragen, die der Hamburger meistens geduldig beantwortet.

„Vier Weizen, bitte. Hast du auch Gläser?“, fragt eine Gruppe von Radfahrern. Werner Poschmann zieht vier eisgekühlte Weizengläser aus der Gefriertruhe. „Das gibt es in keinem Vier-Sterne-Restaurant“, sagt der Imbissbesitzer. Die vier Herren kommen aus Münster und sind seit Tagen auf dem Rad unterwegs. „Unser Ziel ist der Hamburger Hauptbahnhof“, sagt Rainhold Leusmann.

Fahrradfahrer und Touristen sind ein großer Teil seiner Kundschaft. Aber auch viele Stammgäste kommen gerne zu Werner Poschmann. Airbus-Mitarbeiter halten auf dem Weg zur Schicht schnell beim Cranzer Imbiss an, vor der Insolvenz der Sietas-Werft, die direkt neben dem Imbiss liegt, kamen viele in der Mittagspause. Einige andere kommen nur zum Reden vorbei. „Manche Geschichten, die sie mir erzählen, könnte ich ihnen genauso gut erzählen, so oft habe ich sie schon gehört“, sagt Poschmann und lacht. Trotzdem möge er den Schnack zwischen Wurst und Kaffee, sagt er.

Ulla und Hans Brügmann wohnen in Cranz und kommen zu Werner Poschmann, „weil es schmeckt“. Außerdem treffe das Ehepaar hier oft Bekannte, auch mit den Touristen kämen sie oft ins Gespräch. „In Cranz ist ja gar nichts mehr los“, sagt Ulla Brügmann.

Derweil brummt bei Werner Poschmann der Imbiss. Mit flinken Fingern fischt er einen Matjes aus der Verpackung, rupft ein Salatblatt ab und platziert es im Brötchen, bevor er schnell die Würste wendet. Zum Reden bleibt heute keine Zeit. „Sonst habe ich um diese Zeit schon gemütlich einen Kaffee getrunken“, sagt er. Heute habe er noch nicht mal einen gekocht.

Ab 15. September beginnt die Sturmflutsaison und Werner Poschmann muss seinen Grill aus Sicherheitsgründen vom Deich fahren. Dann ist Schluss mit Remoulade und Knoblauchsauce, Schluss mit Backfisch und Matjes. Dann fährt er mit dem Wohnmobil nach Italien. „Spazieren fahren“, wie er sagt. Bevor es im April wieder losgeht und er wieder sagen kann: „Diese Arbeit ist das beste, was ich je gemacht habe.“

Folge 12: Im Altenheim

Folge 13: Am Elbe-Kiosk

Folge 14: Am Sexmobil

Ulla und Hans Brügmann aus Cranz sind Stammgäste von Werner Poschmann.

Ulla und Hans Brügmann aus Cranz sind Stammgäste von Werner Poschmann.

Reinhold und Hein-Dieter Leusmann, Peter Arndt und Matthias Klose (von links) sind auf Radtour .

Reinhold und Hein-Dieter Leusmann, Peter Arndt und Matthias Klose (von links) sind auf Radtour .

Die Tische und Bänke am Imbiss sind neu. Vor allem an schönen Tagen brummt der „Elbblick-Grill“ am Fähranleger in Cranz.

Die Tische und Bänke am Imbiss sind neu. Vor allem an schönen Tagen brummt der „Elbblick-Grill“ am Fähranleger in Cranz.

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