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Fähre „Flipper“ steckt fest: 385 Passagiere müssen auf Neuwerk übernachten

Die Flipper ist im Hafen von Neuwerk auf eine Sandbank gelaufen. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa (Archiv)

Die Flipper ist im Hafen von Neuwerk auf eine Sandbank gelaufen. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa (Archiv)

Die Fähre „Flipper“ ist am Dienstag bei seiner Tour von Neuwerk nach Cuxhaven auf Grund gelaufen. Die Folge: Rund 400 Gäste mussten evakuiert und spontan auf der voll ausgebuchten Insel Neuwerk untergebracht werden. Was war passiert?

Mittwoch, 26.07.2023, 07:54 Uhr

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Von Katja Gallas und Matthias Berlinke

Plötzlich ging auf dem Schiff nichts mehr: Die „Flipper“ ist am Dienstagabend auf ihrem Weg von Neuwerk nach Cuxhaven auf eine Sandbank gelaufen.

Reederei Cassen Eils äußert sich auf Facebook zur „Flipper" 

„Kurz nach der Abfahrt um 18.30 Uhr geriet das Schiff auf eine Sandbank im Hafenbereich. Zu diesem Zeitpunkt herrschte Wind aus Richtung Nordwest mit einer Geschwindigkeit von 5 bis 6 Beaufort in Böen“, teilte die Reederei Cassen Eils auf ihrer Facebook-Seite mit. „Aufgrund des schnell ablaufenden Wassers konnte das Schiff die Fahrt aus eigener Kraft nicht mehr fortsetzen.“

Nach Angaben der Reederei befanden sich 385 Passagiere an Bord. Die saßen fest, waren aber wohlauf. Zunächst ging man davon aus, dass alle Passagiere die Nacht über an Bord verbringen müssen. Doch dann gab es Entwarnung.

Insulaner legen eine Gangway

Insulanern gelang es nämlich, eine Gangway vom Hafen zum Schiff zu legen. So konnten alle Reisenden die „Flipper“ verlassen. Sie verbrachten die Nacht auf Neuwerk in Gasthöfen. Einige mussten in Scheunen auf Matten übernachten. Andere hatten mehr Glück.

Die "Flipper" liegt auf dem Trockenen. Über eine Gangway kommen die Passagiere an Land. Foto: Twitter/@MaraKolumna

Die "Flipper" liegt auf dem Trockenen. Über eine Gangway kommen die Passagiere an Land. Foto: Twitter/@MaraKolumna

Wattwagenfahrer nimmt seine Gäste wieder auf

Hans-Werner Fock bietet nicht nur Wattfahrten an, sondern betreibt auch das Restaurant und Hotel „Das alte Fischerhaus“. Am Mittwoch hatte er seine rund 40 Wattwagengäste nach der Schiffspanne wieder aufgenommen, mit Essen und Trinken versorgt und ihnen Unterschlupft geboten.

Einige schliefen im Heuhotel, andere auf dem Bettenboden - zwei große Zimmer mit Einzel- und Stockbetten. Manche entschieden sich auch dafür, es sich auf der großen Sitzbank gemütlich zu machen, erzählt seine Frau Kathrin.

Unter den Gästen waren auch Familien mit Kindern, aber keine „ganz kleinen“. Wie die Stimmung war? „Wie soll das sein, wenn man aufläuft, abenteuerlich vom Schiff runter muss und nicht weiß, wie man die Nacht verbringt.“ Aber die meisten seien guter Dinge gewesen und einfach froh, dass sie bei ihnen unterkommen konnten.

Selten - aber nichts Besonderes

„Wer sich ein bisschen auskennt, weiß: Das kommt hin und wieder mal bei den tideabhängigen Häfen vor“, sagt Corina Habben, Leiterin Marketing- und Pressekommunikation bei der AG Ems, dem Mutterkonzern der Reederei Eils.

Manche Schiffe könnten sich wieder frei machen, manchmal klappt es aber auch nicht. Die Reedereien planen nach dem Tidenkalender, „aber das ist Natur, da steckt man nicht drin.“

Natur lässt sich auch durch Erfahrung nicht vollständig beherrschen

Eine Windböe habe das Schiff erfasst, auch der Wasserstand sei schon ein bisschen niedriger als angesagt und schon war es das gewesen. „Das ist natürlich sehr ärgerlich, aber nicht komplett auszuschließen“, sagt Habben. Final beherrschen könnte man das nicht, das passiere auch den erfahrensten Kapitänen.

Gerade vor Neuwerk befinde man sich in einem Strömungsbereich, der Untergrund sei ständig im Wandel. „Wir sind sehr vorsichtig, aber das macht es in dem Bereich einfach enorm schwer“, berichtet die Pressesprecherin der AG Ems.

Glück im Unglück

Wie oft so etwas passiert, kann sie nicht sicher sagen, schätzt aber ein- bis zweimal im Jahr - insgesamt, nicht nur bei ihnen. „Es kann aber auch sein, dass das mal fünf Jahre gar nicht passiert.“

Das Schiff hatte sich schnell nach dem Ablegen festgefahren, der Weg an Land war kurz. „Glück im Unglück“, meint Habben. Glück hatten die Passagiere auch mit der Hilfsbereitschaft der Insulaner. Denn die fackelten nicht lang.

Der Insel-Funk funktioniert

Lange hat es nicht gebraucht, bis sich die Nachricht vom festgefahrenen Schiff über die Insel verbreitete. „Da standen ganz viele Leute am Schiff, die gewunken haben. Das macht die Runde, das dauert nur Minuten“, sagt Neuwerks Ortswart Christian Griebel und lacht. Der Insel-Funk funktioniert. Aber was passierte dann?

Mitglieder der Feuerwehr sind mit einem Boot zum Schiff rausgefahren, um Kontakt herzustellen und zu schauen, welche Optionen es gibt. Es lag nur 25, 30 Meter von der Insel weg, doch das Wasser stand hoch.

Stromversorgung auf dem Schiff: Drohte Panik?

Lange war nicht klar, ob die Gäste an Bord bleiben müssen oder evakuiert werden können - und das auch besser wäre. Denn das Schiff hätte nur noch bis Mitternacht Strom gehabt - könnte dann eine Panik ausbrechen? An Bord waren unter anderem Familien mit Kindern, Schulklassen und zwei Reisegruppen mit Senioren.

Aber was, wenn sie evakuiert würden? Die Insel ist in der Hochsaison komplett ausgebucht. Deswegen war es eine Überlegung, die Gäste nachts durchs Watt wieder an Land zu bringen. Doch dafür waren es zu viele. „Und nachts ist die Strecke auch nicht ohne“, betont Griebel.

Die Hilfe der Insulaner war riesig

Als klar war, dass das Ersatzschiff am nächsten Morgen auch nicht Längsseits gehen kann, um die Passagiere aufzunehmen, ist die Entscheidung gefallen: Die Gäste werden vom Schiff geholt.

Die Retter mussten warten, bis das Wasser abgelaufen war. Das hatte einen Vorteil: Alles konnte in Ruhe und ohne Stress organisiert werden, betont Griebel, der selbst in der Feuerwehr ist.

„Alle waren total Hilfsbereit“, erinnert er sich. Die Mitarbeiter der „Hamburg Port Authority“ - Hafenmitarbeiter, die unter anderem für den Deichschutz sorgen - haben mit Manpower und Geräten unterstützt und auch die Gangway besorgt. Zwei Feuerwehrleute aus Hamburg, die gerade ihren Dienst auf Neuwerk ableisten, haben die Rettungsaktion mit koordiniert, auch Langzeiturlauber packten mit an.

Schuhe anlassen oder besser zu Fuß durchs Watt?

Mit der Gangway kamen die Fahrgäste vom Schiff ins Watt. „Das lief alles sehr ruhig und koordiniert“, sagt Griebel, „Eine der wichtigsten Fragen war: Lass ich meine Schuhe an oder gehe ich barfuß.“ Denn die Gäste mussten rund 100 Meter Weg durchs Watt an einer Pfahlwand entlang zurücklegen. Ein Mensch wurde vorsorglich aus gesundheitlichen Gründen mit dem Hubschrauber von der Insel geholt. 18.30 Uhr sollte das Schiff ablegen, zwei/drei Stunden brauchte es, bis das Wasser weg ist und gegen 22/23 Uhr waren alle runter.

Auf 22 Inseleinwohner und die bereits eingebuchten Touristen kamen für eine Nacht noch mal 385 Gäste hinzu. „Wir haben sie wirklich in jeden Raum auf der Insel verteilt. Viele Leute haben im Stroh geschlafen, im Lokal auf dem Fußboden und den Bänken“, sagt Griebel, der das Hotel Nige Hus und das Restaurant „Zum Anker“ betreibt.

Stoff für gute Urlaubsgeschichten

„Sie waren dankbar, aber wirklich Lust hatte natürlich keiner. Das ist ja klar. Unterm Strich war es für die Jugendlichen vielleicht ein Abenteuer, mit drei kleinen Kindern war das sicher nicht so praktisch.“ Es ist auf jeden Fall eine gute Urlaubsgeschichte, wenn alle erstmal ausgeschlafen haben, ist er sich sicher.

Griebel ist froh, dass alles so gut funktioniert hat. So eine Situation erlebe man nicht so oft. „Aber innerhalb der ersten Hochsaison kostet das auch Kraft.“ Es war eine kurze Nacht, sie laufen heute gleich wieder bei 100 Prozent. „Ist ja nicht so, als würde nun alles Mal für einen Tag anhalten. Aber es nützt ja nichts.“

Mit dem Morgenhochwasser hat die „Flipper“ derweil am Mittwoch um 6 Uhr ihre Fahrt nach Cuxhaven fortgesetzt.

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