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Feuer und Flamme für die Wikinger

Vorbereitet auf den Markt: Nach dem Mähen der Wiese versammeln sich Mitglieder der Wikingergesellschaft Altes Land am Lagerfeuer in ihrer Ringburg in Jork-Neuenschleuse. Fotos Vasel / Kreisarchäologie/ Schwedenspeicher

Vorbereitet auf den Markt: Nach dem Mähen der Wiese versammeln sich Mitglieder der Wikingergesellschaft Altes Land am Lagerfeuer in ihrer Ringburg in Jork-Neuenschleuse. Fotos Vasel / Kreisarchäologie/ Schwedenspeicher

Hilfe, die Wikinger kommen: Das werden die Menschen im Jahr 944 beim Überfall auf Stade ausgerufen haben. Beim Wikingermarkt am letzten Mai-Wochenende gibt es kein Blutvergießen.

Von Björn Vasel Samstag, 19.05.2018, 10:00 Uhr

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Die Nordmannen werden sich von ihrer besten Seite zeigen – und sich auf Schaukämpfe beschränken. Etwa 500 Krieger, Händler, Musiker und Handwerker aus ganz Europa reisen an – und zeigen, wie die Wikinger vor mehr als 1000 Jahren gelebt haben.

Jan Gerdes von der Wikingergesellschaft Altes Land aus Jork rechnet wieder mit bis zu 10 000 Besuchern. Jork gilt mittlerweile als einer der größten Wikingermärkte im Norden – und spielt in einer Liga mit Ribe und Haithabu. Archäologisch können die Altländer nicht mithalten, denn in Neuenschleuse gab es keinen Handelsplatz – und keine Funde. Doch die Wikinger um Gerdes legen großen Wert auf Authentizität und experimentelle Archäologie. Sie sind im steten Austausch mit Museen – wie den Landesmuseen Schloss Gottorf (Haithabu). Die Handwerker im Wikingerlager hinter dem Elbdeich fertigen Kämme aus Knochen, Kleidung, Schmuck, Schwerter und Keramik wie vor 1000 Jahren. „Wir machen Geschichte erlebbar“, so Gerdes. Industrielle Massenware aus Asien  wie bei anderen Märkten gibt es hier nicht. Das heißt: Die Besucher können sich in Jork auf eine Zeitreise ins Frühmittelalter begeben.

Damals suchten die Wikinger regelmäßig die Unterelbe heim. 845 überrannten die Krieger die Hammaburg (Hamburg), 994 überfielen sie auch Stade. Diesem Überfall verdankt die Stadt Stade ihre erste schriftliche Erwähnung. Sie versetzten die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Die kurze Geschichte: Sven Gabelbart, Sohn von König Harald Blauzahn, musste sich in den Wirren um den dänischen Thron seinen Lebensunterhalt zeitweise als „pirati“ verdienen, um seine Kriegszüge zu finanzieren. Sein Ziel war das reiche London. Unterwegs überfiel der Däne mit seinen Mannen das kleine Stade, um die Reisekasse aufzubessern. Der Hafen von ‚Stethu‘ war ein wichtiger Elbübergang nach Nordelbien. Der bei der Seeschlacht vor Stade gefangene und als Geisel genommene Grafen-Bruder Siegfried füllte seine Bewacher mit Wein ab – und floh in die Burg Harsefeld. Damals herrschte die Grafenfamilie der Udonen über die beiden Ringburgen und die Handelssiedlung an der Schwinge. Während der Udone in Sicherheit war, drangen seine Verfolger in die Siedlung Stade ein („in urbem Stethu nomine incurrunt“). Die Rache der Wikinger war schrecklich. „Als sie ihn nicht fanden, raubten sie den Frauen gewaltsam die Ohrringe und kehrten niedergeschlagen um. In ihrer Wut schnitten sie dem Priester ... und allen übrigen Geiseln Nasen, Ohren und Hände ab und warfen die Verstümmelten in den Hafen. Dann machten sie sich davon. Es erhob sich unendlicher Jammer“, heißt es in der im Jahr 1014 von Thietmar von Merseburg verfassten Chronik.

Doch die Wikinger, so Gerdes, dürften nicht nur auf ihre Rolle als Krieger, die von Raubzügen und Brandschatzungen lebten, reduziert werden. Denn sie waren auch Händler, Handwerker, Entdecker und Staatengründer. „Wir sind von ihrer Kultur begeistert –  von der Mythologie bis zur Handwerkskunst“, sagt Jan Gerdes. Er hat mit seinen Mitstreitern in den letzten Tagen den Lagerplatz vorbereitet.

Dazu zählen auch Manuela Kraft und Frank Hirschmann aus Neuenschleuse und Michael und Ralf Jorgas aus Jork-Gehrden. Sie sind als Krieger und Handwerker dabei. Der Wikinger-Virus hat sie gepackt. Hier könnten sie „dem Alltag entfliehen“, ohne dass es albern wirke. Hinzu kämen gute Gemeinschaft und Begeisterung für die Geschichte, so Feldherr Daniel Albrecht. Das Leben ohne moderne Technik begeistere sie. Ringburg und Runenstein stehen bereits in Jork, jetzt fehle nur noch ein Langhaus.

 

LANDKREIS. Die Wikinger haben auch im Landkreis Stade ihre Spuren hinterlassen –  als Krieger und als Händler. Kreisarchäologe Daniel Nösler verweist auf drei Funde in der Region. In der Nähe von Freiburg gab‘s seit dem 1. Jahrhundert nach Christus einen Handelsplatz an der Elbe. Um 1000 ging‘s – nach Verlagerung der Elbe – bergab. Dass Wikinger hier ihre Waren feilboten oder auf ihren Beutezügen diesen Ort heimsuchten, ist wahrscheinlich. Ein Indiz: Drei Silbermünzen beziehungsweise ihre Fragmente „deuten auf die seinerzeit im wikingischen Ostseeraum übliche Gewichtsgeldwirtschaft hin“, sagt Nösler. Während die Karolinger mit Münzgeld zahlten, ging es Wikingern und Slawen im Ostseeraum bei Silberschmuck oder -münzen nur nach Gewicht. Das (erbeutete) Silber wurde häufig zerteilt, wie bei dem jüngst auf Rügen entdeckten Silberschatz zu sehen. „Die Denare bestehen aus sehr reinem Silber und sind unter Ludwig dem Frommen in der Zeit zwischen 818 bis 823 in Venedig geprägt worden. „Sie sind in unserem Raum sehr selten“, so Nösler. Sehr schön sei auch eine Wikingerfibel aus Horneburg. Sie ist schon relativ stark korrodiert, besteht aus vergoldetem Silber. Die Fibel ist mit drei Gesichtern im Borre-Stil verziert. Das Stück wurde in der Zeit zwischen 830 und 950 nach Christus hergestellt und gehörte zur Frauentracht. Solche Stücke seien sehr selten. Sie kommen überwiegend nur in Ostengland und Mittelschweden (Birka) vor. In der Region gibt es lediglich einen ähnlichen Fund, der aus der Elbe in Hamburg ausgebaggert wurde. „Vielleicht war die Harsefelder Burg das Ziel der Wikinger“, sagt der Archäologe.
Beeindruckend ist auch ein Armreif – offenbar eine Grabbeigabe für einen verstorbenen Wikinger. Dieser wurde 1977 auf dem Friedhof der ehemaligen St.-Nikolai-Kirche entdeckt. Vermutlich hatte dieser Krieger sein Leben bei dem Überfall auf Stade im Jahr 994 ausgehaucht. (bv)

Der Wikingermarkt in Neuenschleuse (K 39) bei Jork beginnt am Freitag, 25. Mai, mit einem Kindertag mit Mitmachaktionen wie Schildbemalen und Bogenschießen von 13 bis 18 Uhr (Eintritt: Kinder zwei Euro; Erwachsene fünf Euro). Der große Wikingermarkt findet am Sonnabend, 26. Mai, und am Sonntag, 27. Mai, statt. Sonnabends ist von 10 bis 21 Uhr geöffnet, sonntags von 10 bis 18 Uhr. Kampfshows mit 130 Kämpfern starten an beiden Tagen um 12, 15 und 17 Uhr. Eintritt: Erwachsene sieben Euro, Kinder ab Schwertmaß drei Euro. Besucher können mit rekonstruierten Wikingerbooten fahren oder sich beim Bogenschießen bewähren. Die Band Sowulo aus den Holland ist wieder dabei, auch kulinarisch wird wieder einiges geboten.

www.wikingermarkt-jork.com

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