Geplatzte Kirschen: Obstbau setzt auf Forschung

Geplatzte Kirschen gehen ins Geld. Foto: Vasel
Geplatzte Kirschen sind für die Obstbauern im Alten Land ein Problem. Die Lösung: Wissenschaft. Ein Experte der Leibniz-Universität Hannover war am Montag zu Gast in Jork und referierte im voll besetzten Saal des Hotels „Altes Land“ über mögliche Gegenmaßnahmen.
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Die Obstbauern setzen auf Dachkirschen. Mit dieser Produktionsweise lassen sich höhere Preise erzielen als im Freiland. Unter dem Regenschirm können die Kirschsorten voll ausreifen – und werden noch schmackhafter (mehr Zucker), glänzender, haltbarer und größer. Außerdem sind sie bei Regen besser vor der Nässe geschützt. Die Kirschen platzen nicht (so häufig) bei Regen wie die Früchte in ungeschützten Plantagen. So weit, so gut. Denn es gibt ein Problem.
Auch in Dachkirschenanlagen und bei Lagerung im FolienBeutel kann es zu einem Platzen kommen. Und das kann einen Obstbauern viel Geld kosten. Der Obstbau setzt deshalb auf die Wissenschaft. Auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft junger Obstbauern an der Niederelbe (Ajon) und des Ehemaligenvereins Obstbauschule Jork gab der Leiter der Abteilung Obstbau des Instituts für Gartenbauliche Produktionssysteme der Leibniz-Universität in Hannover, Professor Dr. Moritz Knoche, am Montag im voll besetzten Saal des Hotels „Altes Land“ in Jork einen Überblick über die Grundlagenforschung. Deutlich wurde bei dem Vortrag zum Platzen von Kirschen und möglichen Maßnahmen dagegen, dass die Forschung vertieft werden muss.
„Die Kirsche wächst wie ein Luftballon“, erklärte Knoche. Die Krux: Die Neubildung der Kutikula – der lediglich ein tausendstel Millimeter dicke, elastische Schutzpanzer der Süßkirsche gegen das Eindringen von Schadpilzen – wird kurz vor der Steinhärtung und der Umfärbung eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt hat die Frucht allerdings erst ein Viertel ihrer späteren Größe erreicht. Die Masse verändert sich (ähnlich wie die Gummimasse beim Luftballon) nicht, dadurch entstehen Mikro-Risse. Die Kirsche wird so immer dünnhäutiger. Feuchtigkeit auf der Fruchtoberfläche oder hohe Luftfeuchtigkeit führen zu weiteren Rissen.
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Die Barrierewirkung der Kutikula schwindet, die Frucht kann so sehr schnell Wasser aufnehmen. Zellen und Zellverbindungen im Inneren platzen, der hohe Zuckergehalt (der Dachkirschen) befördert das Aufnehmen von Wasser (Stichwort Osmose): Der Reißverschluss reißt nach der Apfelsäurefreisetzung und der Zellwand-Quellung auf. Die Kirsche platzt. Das führe zu Fruchtfäule, verstärkter Transpiration, schnellem Verlust von Festigkeit, Glanz sowie zu Schrumpeln.
Das passiere bei Dächern und Partien nach Lagerung und Sortierung, etwa durch zu viel Feuchtigkeit in den Beuteln. Dabei gebe es bislang außer den bis zu 100.000 Euro pro Hektar teuren Dächern kein Mittel, um das Platzen auf ein wirtschaftlich vertretbares Maß zu reduzieren. Die Hälfte der Süßkirschenanbaufläche an der Niederelbe sei überdacht. Dies sind 250 Hektar, sagt Steinobstberater Martin Kockerols von der Esteburg. Laut Obstbauzentrum amortisieren sich die Anlagen nach zehn Jahren. Der Einsatz von Kalzium als Zell-Kleber sowie die Durchlüftung der Anlagen zum Abtrocknen oder die Lagerung im Beutel mit Saugpapier müssten erforscht werden.
„Dafür muss die universitäre Forschung gestärkt werden“, mahnt Ajon-Chef Tewes Quast. Anti-Platz-Präparate und Anti-Platz-Kirschen sind (noch) nicht in Sicht, denkbar wären teure, langwierige Neuzüchtungen mit Super-Panzerhaut.