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Nach tödlichem Angriff

Große Betroffenheit: Reaktionen aus dem Landkreis

Beamte der Spurensicherung nehmen die Asylbewerberunterkunft in Fredenbeck in Augenschein. Foto: Beneke

Beamte der Spurensicherung nehmen die Asylbewerberunterkunft in Fredenbeck in Augenschein. Foto: Beneke

Nach einem Streit in der Flüchtlingsunterkunft auf dem Gelände des ehemaligen Hotels an der Dinghorner Straße schleppt sich ein schwer verletzter Asylbewerber gegen 9 Uhr erst zur geschlossenen Post-Filiale und dann zum Rewe-Markt. Kurz darauf stirbt er.

Dienstag, 26.11.2019, 19:43 Uhr

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Von Daniel Beneke und Karsten Wisser

Der Post-Laden hat zu diesem Zeitpunkt noch nicht geöffnet. Als die Mitarbeiterin dem Mann Einlass gewähren will, hat er sich auf den Weg zum Rewe-Markt schräg gegenüber gemacht. Blutüberströmt betritt er den Laden – und bricht zusammen. Ersthelfer, Notfallsanitäter und Notarzt kümmern sich um ihn. Er kommt im Rettungswagen ins Stader Elbe Klinikum. Er erliegt im Krankenhaus seinen Verletzungen.

Was genau vor 9 Uhr in der Unterkunft vorgefallen ist, ist unklar. Die Polizei geht davon aus, dass es einen Streit zwischen dem Toten und dem verhafteten 29-Jährigen gab. Der Tote galt bei den Ermittlern als unauffällig. Das Opfer stammt vermutlich aus Nigeria und lebte seit zehn Jahren in Fredenbeck. Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um einen Mitbewohner aus der Asylbewerberunterkunft. Der 29-Jährige kam nach der Festnahme in den Stader Polizeigewahrsam und musste sich hier erkennungsdienstlichen Maßnahmen sowie ersten Vernehmungen unterziehen.

Die Unterkunft: In der Vergangenheit war die Unterkunft auf dem Gelände des ehemaligen Hotels immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Im Juni hatte ein 23-jähriger Sudanese einen gleichaltrigen Landsmann erstochen, beide lebten in der Unterkunft. Im April hatte ein 28-jähriger Sudanese die Mitarbeiterinnen der Post-Filiale attackiert. Im April 2016 waren zwei 20- und 21-jährige Sudanesen mit einem Messer auf einen 31-jährigen Landsmann losgegangen und hatten ihn lebensgefährlich verletzt. Im November des Vorjahres hatte es in Fredenbeck Brandstiftungen gegeben.

Der Landkreis: Susanne Brahmst, Sozialdezernentin beim Landkreis Stade, äußerte sich betroffen. „Für eine genaue Bewertung fehlen uns aber zurzeit noch die Informationen“, sagt Brahmst. Sie hat die Awo, die Samtgemeinde und die Fachleute der Kreisverwaltung für Donnerstag eingeladen, um das weitere Vorgehen zu besprechen und zu klären, ob es grundsätzliche Probleme gebe.

Das Dorf: Im Dorf ist die Bestürzung groß. „Das Umfeld hat nichts damit zu tun“, sagt der Bürgermeister der Gemeinde Fredenbeck, Hans-Ulrich Schumacher (SPD). Er warnt davor, alle Bewohner unter Generalverdacht zu stellen. Der Kommunalpolitiker hatte sich in den ersten Monaten intensiv in der Flüchtlingshilfe engagiert, viele Kontakte zu den Asylbewerbern geknüpft. Ihn stimme der Vorfall sehr traurig.

Gleichwohl fordert Schumacher eine intensivere sozialpädagogische und psychologische Betreuung: „Es reicht nicht, wenn die Arbeiterwohlfahrt da einmal in der Woche eine Sprechstunde macht.“ Sozialarbeiter müssten vor Ort sein, die Situation beobachten und mit den Asylbewerbern ins Gespräch kommen, um ihr Vertrauen zu gewinnen. „Sie müssen lernen, Meinungsverschiedenheiten mit Worten zu klären“, sagt Schumacher. „Das ist in erster Linie die Aufgabe des Landkreises Stade“, unterstreicht der Bürgermeister. „Da hat man sich aber ein Schutzschild umgehängt.“ Den Asylbewerbern müsse eine Perspektive aufgezeigt werden. Sie fühlten sich womöglich abgehängt und seien deshalb frustriert. Wenn es permanent Streit zwischen einzelnen Bewohnern gebe, müssten sie getrennt untergebracht werden.

Die anderen Fälle: Auch in anderen Orten im Landkreis Stade kam es zu Auseinandersetzungen in Flüchtlingsunterkünften. Im Dezember 2018 setzte ein 19-jähriger Afghane eine Obdachlosen-Unterkunft in Nottensdorf in Brand. In dem Haus befanden sich noch zwei Bewohner, sie konnten sich in letzter Minute retten. Der Täter wurde zu einem Jahr Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt.

Im August 2018 kam es in einer Asylbewerberunterkunft in Bliedersdorf-Postmoor zu einem Streit. Ein 32-jähriger Mann erlitt schwere Stichverletzungen. Wenige Tage zuvor gab es in Harsefeld und in Deinste-Helmste mehrere Übergriffe unter Flüchtlingen. Auch hier kam es zu Stichverletzungen mit Messern. In Harsefeld waren Flüchtlinge und Einheimische im Klosterpark aufeinander losgegangen, später trafen sich die Kontrahenten vor einer Flüchtlingsunterkunft. In Helmste hatte ein Bewohner einer Unterkunft einen anderen Flüchtling mit einem Messer attackiert.

Bundesweite Aufmerksamkeit erregte ein Vorfall aus dem Sommer: Im August ist nach einem Streit in einer Asylbewerberunterkunft in Stade-Bützfleth ein 19-jähriger Afghane von einem Polizisten erschossen worden, nachdem er Beamte mit einer Eisenstange angegriffen haben soll.

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