Heftige Reaktionen auf Abschiebung

Der Fall der abgeschobenen Familie Fazlijaj/Bajrami aus Schwinge beschäftigt die Menschen und die Politik. Wie das TAGEBLATT berichtete, wurde die vierköpfige Familie Anfang der vergangenen Woche gegen Mitternacht aus ihrem Haus in Schwinge abgeholt, zum Frankfurter Flughafen gebracht und in den Kosovo abgeschoben. Die betroffene Familie lebt seit 23 Jahren in Deutschland. Die beiden Kinder sind ein und drei Jahre alt. Der Landkreis Stade und die CDU/FDP-Landesregierung werden aufgrund des Vorgehens heftig kritisiert. Der Anwalt der Familie wirft der Kreisverwaltung außerdem vor, dass die Abschiebung unrechtmäßig erfolgt ist.
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Der Fall der abgeschobenen Familie Fazlijaj/Bajrami aus Schwinge beschäftigt die Menschen und die Politik. Wie das TAGEBLATT berichtete, wurde die vierköpfige Familie Anfang der vergangenen Woche gegen Mitternacht aus ihrem Haus in Schwinge abgeholt, zum Frankfurter Flughafen gebracht und in den Kosovo abgeschoben. Die betroffene Familie lebt seit 23 Jahren in Deutschland. Die beiden Kinder sind ein und drei Jahre alt. Der Landkreis Stade und die CDU/FDP-Landesregierung werden aufgrund des Vorgehens heftig kritisiert. Der Anwalt der Familie wirft der Kreisverwaltung außerdem vor, dass die Abschiebung unrechtmäßig erfolgt ist. "Meinem Bruder geht es schlecht", sagt Muzli Fazlijaj, Bruder des abgeschobenen Gani Fazlijaj. Man versuche gerade eine Unterkunft zu finden. Derzeit sind die vier Abgeschobenen in einer kleinen Ferienwohnung von Verwandten untergebracht, die wohl aber auf Dauer nicht geeignet sei. Zur Familie Fazlijaj gehören neben Gani Fazlijaj weitere sechs Geschwister und die Eltern, die alle in Fredenbeck wohnen und als gut integriert gelten. Alle haben gesicherte Aufenthaltstitel. Der dreijährige Sohn des abgeschobenen Ehepaars hat nach Aussage der Familie aktuell gesundheitliche Probleme. "Sie müssen ständig mit ihm zum Arzt", so Bruder Muzli. Um der jungen Familie in dem Land, das sie 1989 als Kinder verlassen haben und in dem sie Fremde sind, zu helfen, ist der Vater von Gani den Abgeschobenen hinterhergereist, und die Familie hat aus Deutschland Geld überwiesen. Der Landkreis Stade als zuständige Ausländerbehörde darf zu dem konkreten Einzelfall aus Datenschutzgründen nichts sagen. Aus dem Schriftverkehr zwischen dem Kreis, der Familie und den Anwälten lässt sich der Vorgang aber rekonstruieren. Die Betroffenen hatten sich, nachdem alle rechtlichen Verfahrensschritte durchlaufen waren und auch die Niedersächsische Härtefallkommission die Abschiebung nicht stoppen wollte, zu einer freiwilligen Ausreise mit einer mehrmonatigen Frist bereiterklärt, dies aber wieder verworfen. Auch eine weitere Frist vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das für die Asylanträge zuständig ist, ließ die Familie Fazlijaj/Bajrami ebenfalls verstreichen. Die Abschiebung war bereits für den Mai geplant. Der Termin wurde aber verschoben, weil es einen Asylantrag zugunsten der Kinder gab. Der rechtliche Status dieses Antrags ist zwischen Verwaltung und dem Anwalt der Familie umstritten. Im Gegensatz zum Rest ihrer Verwandschaft hat die vierköpfige Familie aus Schwinge letztendlich keinen Aufenthaltstitel bekommen, weil sie für ihren Lebensunterhalt nicht selbst aufkommen konnte. Vater Gani Fazlijaj hatte nur eine Teilzeitstelle. Dass er vor einigen Jahren wegen der Verletzung des Postgeheimnisses zu 50 Tagessätzen verurteilt wurde, soll dagegen bei der Entscheidung der Härtefallkommission nach TAGEBLATT-Informationen keine Rolle gespielt haben. Die Geschwister von Gani Fazlijaj erfahren derzeit in ihrer Heimatgemeinde Fredenbeck viel Solidarität. "Man spürt die Anteilnahme der Menschen", sagt Muzli Fazlijaj. Die Fredenbecker gäben ihm das Gefühl dazuzugehören. Auf Initiative von Bündnis 90/Die Grünen haben sich mehrere Fredenbecker Kommunalpolitiker getroffen und ihren Unmut über die mitternächtliche Abschiebung mit einer kurzen Kundgebung vor dem Haus der Abgeschobenen in Schwinge öffentlich gemacht. Am Montagabend gab es außerdem ein fraktionsübergreifendes Treffen im Fredenbecker Rathaus. Ein Resultat gab es bis zum Redaktionsschluss noch nicht. Geplant ist wohl eine Unterschriftenaktion. Sowohl im Landtag als auch im Stader Kreistag hat die Abschiebung der jungen Familie in den Kosovo zu zum Teil heftigen Reaktionen geführt. Die SPD-Kreistagsfraktion fordert eine sofortige Information zu den Hintergründen der Abschiebung. "Das ist eine menschenfeindliche Aktion", sagt die SPD-Landtagsabgeordnete Petra Tiemann. Dieser Fall passt aus ihrer Sicht genau in das Schema der Landesregierung. Die Kreistagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen schreibt, dass die Berichterstattung über die Abschiebung in einer "Nacht- und Nebelaktion" ein grelles Schlaglicht auf die Umgangspraxis des Landkreises mit Asylbewerbern und Migranten werfe. Die Fraktion in Person von Dr. Hans-Joachim Raydt beantragt in diesem Zusammenhang, zur nächsten Sozialausschusssitzung Vertreter der Härtefallkommission des Landes und des Niedersächsischen Flüchtlingsrates einzuladen, um deren grundsätzliche Position zum Thema zu erfahren und zu diskutieren. Der Einzelabgeordnete der Linken, Benjamin Koch-Böhnke, fordert, die Familie schnellstmöglich zurück in ihre Heimat nach Fredenbeck zu holen. Koch-Böhnke: "Ihnen nach 20 Jahren in Deutschland 20 Minuten zu geben, um ihre kleinen Kinder nachts aus dem Bett zu reißen, anzuziehen, ein paar Habseligkeiten zusammenzuraffen, um dann nach Frankfurt verfrachtet und in einen Flieger gesetzt zu werden, in ein Land, das sie kaum kennen, ist ein Skandal." Unterstützt wird die Position der Kreisverwaltung dagegen von der CDU-Kreistagsfraktion. Deren Vorsitzender, der Landtagsabgeordnete Helmut Dammann-Tamke, geht davon aus, dass sich die Aufregung nach einer Information in der Politik in einer vertraulichen Sitzung schnell legen werde. Unangemeldete Abschiebungen sind aus seiner Sicht notwendig, weil sich die Betroffenen sonst oft der Abschiebung entziehen würden. "Jeder, der so lange in Deutschland lebt, weiß, dass der Rechtsstaat am Ende auch zu diesem rigiden Mittel der Abschiebung greift. Die Eltern in Verantwortung für ihre Kinder hätten durch eine rechtzeitige freiwillige Ausreise den Kindern dieses Erlebnis ersparen sollen", so Dammann-Tamke. Hermann Weische, Fachanwalt für Ausländerrecht aus Köln, geht davon aus, dass die Ausländerbehörde die Familie nicht hätte abschieben dürfen. Das asylrechtliche Erstverfahren für die Kinder sei aufgrund einer Klage gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration nicht abgeschlossen gewesen. Vor dem Verwaltungsgericht Stade laufen derzeit in dieser Frage zwei Eilverfahren. Aus Sicht des Anwalts ist eine Abschiebung in den Kosovo grundsätzlich ein Skandal. Das sei ein in Teilen rechtsfreier Raum mitten in Europa, so Weische.
