Horneburger singen seit 179 Jahren
Damals: Das Foto von den Mitgliedern der Horneburger Liedertafel entstand Anfang des 20. Jahrhunderts. Vorher war der Gesangsverein ein reiner Männerchor. Foto: Privat
Die Chorprobe der Horneburger Liedertafel beginnt pünktlich. „So, so, so, so“ in verschiedenen Tonhöhen erklingt. Immer wieder, immer höher. „Wem das zu hoch ist, der hört einfach auf“, sagt Tobias Merkens. Der älteste Verein Horneburgs hat erst seit kurzem einen neuen Leiter.
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Die Aktiven der Horneburger Liedertafel von 1840 sind indes schon lange dabei, mehrere seit etwa vierzig Jahren, wie Brigitte Belkner. „Harmonie pur“, beschreibt sie die gute Gemeinschaft. „Wir harmonieren sehr gut“, freut sich die Vorsitzende Karin Brandt. „Das ist das A und O, dass nicht nur das Singen klappt, sondern die Chemie stimmt.“
Die Chemie stimmt offenbar auch mit dem neuen Leiter. Merkens hat wieder vierstimmigen Gesang eingeführt. Hohe Ansprüche sind die Sängerinnen und Sänger gewöhnt. Schließlich hat bis 2012 Arno de Vries fast 30 Jahre lang den Chor dirigiert. Der ehemalige Leiter der Kreisjugendmusikschule wählte gerne klassische Literatur aus. „Wir haben auch Opern gesungen“, erinnert sich Günter Rußmann.
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Tobias Merkens hat die Leitung des gemischten Chores seit Mai von der Kirchenmusikerin Ingrid Schönbeck-Erdmann aus Jork übernommen. Zuvor leitete er den Chor „Gloria Wisch“ in Jork-Wisch, der sich aufgelöst hat. Er will in Horneburg das Potenzial herauskitzeln, auch wenn die Stimmen nicht überbesetzt sind. Nur zwei Männer, Dieter Fuest und Dieter Staker, singen die Tenorstimme, drei Männer die Bass- und vier Frauen die Altstimme. „Wir haben sehr musikalische Herren“, freut er sich.
Die wiederum sind ihrerseits beeindruckt: Auch wenn nur eine Einzelstimme geübt werde, spiele Tobias auf dem Klavier gleichzeitig den ganzen Satz. Das erzählen die Sänger nach der Probe, wenn sie noch eine Flasche Bier zusammen trinken. Vorher wird nicht geschwatzt.
Die meisten Mitglieder sind über siebzig Jahre alt. Karin Richters ist mit 56 Jahren das Küken, Ingrid Bunge mit 82 Jahren die Älteste. 18 aktive und 13 passive Mitglieder sind im Verein. Sie kommen auch aus Stade, Buxtehude, Jork und sogar aus der Heide, wie Dieter Fuest erzählt, der seit 34 Jahren Schriftführer ist. Doch der Nachwuchs fehlt. „Dabei ist Singen Balsam für die Seele“, meint Karin Brandt.
{picture1s} „Es macht einfach Spaß“, strahlt Rita Rußmann, die seit 1989 dabei ist: „Ich freue mich jede Woche auf den Abend.“ Früher musste sie sich, kaputt von der Arbeit, manchmal aufraffen. „Doch nach der Probe hatte ich den ganzen Stress vergessen. Singen tut der Seele gut.“ Sie findet den neuen Leiter „wunderbar.“
Elke Oldhaber hat in einer für sie schweren Zeit angefangen, zu singen. Sie sei dadurch aufgeblüht. „Jetzt geht es mir besser. Das Singen hat mir meine Sprache wiedergegeben.“
Der Gesangsverein hat eigens einen Vergnügungsausschuss, der für „Heiterkeit“ bis hin zu lustigen Sketchen sorgt. Die Vorsitzende Rita Rußmann und ihre Mitstreiter bereiten jedes Jahr ein Sommerfest, einen Ausflug und eine Weihnachtsfeier vor.
Zur Probe in der Grundschule sind fast alle schon eine Viertelstunde vorher da und richten den Musikraum her. Sie üben drei Lieder für einen Gottesdienst. Das Stück „Die Dämmerung fällt“ kennen die Sängerinnen und Sänger schon. Außerdem hat Merkens zwei neue Lieder auf Plattdeutsch von Heinz Lemmermann mitgebracht: „Wo ik gah und stah“ (Wo ich gehe und stehe) nach Psalm 139 mit einer Melodie aus Israel und das Avendlied (Abendlied). „Sie sind ernst und nachdenklich, aber nicht so heilig“, sagt der Musiker. Er achtet nicht nur auf die vier Stimmen, sondern auch auf die Aussprache, die sich im Plattdeutschen von Region zu Region unterscheidet. „In Horneburg sagt man nicht ‚gah‘, sondern ‚go‘.“ Die letzte Zeile heißt: „Un wenn mien Leven as een Wind verweiht, wohrst du mien Hoffen in Ewigkeit.“
Die Probe ist intensiv. Fordernd, aber sehr freundlich leitet der Dirigent seine Schützlinge an. Das Abendlied solle etwas sanfter klingen, um der düsteren Stimmung zu entsprechen. „Prima“, lobt Merkens zum Abschluss: „Ihr habt das schnell gelernt. Und das ‚t‘ im letzten Wort ‚Ewigkeit‘ war gut zu hören, ein Zeichen von Konzentration.“
Die Horneburger Liedertafel von 1840 probt dienstags von 20 Uhr bis 21.30 Uhr in der Grundschule Horneburg im Leineweberstieg. Neue Mitglieder sind jederzeit willkommen. Lust und gute Laune nennt Karin Brandt als Anforderungen. Kontakt: Vorsitzende Karin Brandt unter der Telefonnummer 0 41 63 / 8 29 63 92, die zweite Vorsitzende Gisela Glodde unter der Nummer 0 41 63 / 35 93 und Schriftführer Dieter Fuest unter der Nummer 0 41 63 / 58 50.
{picture2s} Tobias Merkens arbeitet als Bauingenieur, ist aber auch ausgebildeter Musiker. „Ich hab schon als Kind ebenso gerne gebastelt wie Musik gemacht“, sagt der Horneburger. Gesang, Klavier und Klarinette hat er gelernt, als Zimmermeister auf dem Bau gearbeitet und Musik studiert. Wie ist er zur Liedertafel gekommen? „Plötzlich stand Gisela vor der Tür“, antwortet der 52-Jährige, der Gisela bis dato nicht kannte. Gisela Glodde ist seit 41 Jahren in der Liedertafel und hatte von Dörte Lübke-Schilling den Tipp bekommen: Merkens hatte vorher den Chor „Gloria Wisch“ in Jork-Wisch geleitet, aber der Chor hat sich aufgelöst. Der neue Chorleiter ist mit Susanne Wegener verheiratet, die Organistin in Jork und Borstel ist.
Die Horneburger Liedertafel von 1840 gehört zu den ältesten Vereinen im Landkreis Stade. Welcher Verein der älteste im Landkreis ist, lässt sich allerdings nur schwer bestimmen. Die zuverlässigste Quelle wäre das Vereinsregister. Dort sind aber nur gemeldete Vereine aufgeführt, eine Reihenfolge lässt sich dort also nur per Eintragungsdatum vornehmen. Der älteste dort registrierte Verein aus dem Landkreis Stade ist die Sankt Pankratii Brüderschaft aus Stade, die am 23. Januar 1901 im Vereinsregister eingetragen wurde. Die Brüderschaft geht bis auf das Jahr 1414 zurück. Die Horneburger Liedertafel von 1840 wurde übrigens erst am 3. September 1986 ins Vereinsregister eingetragen.
Für den Landgerichtsbezirk Stade ist das Amtsgericht Tostedt als zentrales Registergericht zuständig. Aus dem Landkreis Stade sind weit mehr als 500 Vereine im Vereinsregister eingetragen. Das Vereinsregister ist öffentlich und kann auf Antrag eingesehen werden. Durch einen Eintrag ins Vereinsregister erreicht ein Verein Rechtsfähigkeit, ist damit eine juristische Person sowie Träger von Rechten und Pflichten. Die wichtigsten Voraussetzungen sind Gründungsmitglieder in ausreichender Zahl, eine ordnungsgemäße Gründungsversammlung und eine Satzung, die den gesetzlichen Bestimmungen entspricht. Unter anderem muss die Satzung von mindestens sieben Gründungsmitgliedern unterschrieben und mit dem Datum der Errichtung versehen sein.