König Fußball bestimmt den Alltag in der D/A-WG
Gemütlich machen auf dem Sofa (von links): Finn Zeugner, Alexander Shehada und Stig Hartig. Foto: Berlin
Die Regionalligafußballer der SV Drochtersen/Assel, Marco Schuhmann, Alexander Shehada, Finn Zeugner und Stig Hartig, leben in Assel in einer Wohngemeinschaft zusammen. Ganz unterschiedliche Charaktere versuchen, sich zu arrangieren. Ein Besuch.
Das Haus steht im Schatten der Asseler Kirche. Neben der Tür hängt ein weißer Briefkasten. Namensschilder sind improvisiert. Die Namen der D/A-Spieler sind auf Klebeband notiert. Die braunen Streifen haften am Briefkasten. Im Erdgeschoss stehen links die Schuhe. Rechts führt eine schmale Treppe ins Reich der Regionalligafußballer. Von einem zentralen Raum gehen die Zimmer, das Bad und die Küche ab. In einem kleinen Verschlag stehen ein Tisch und Stühle, in der Ecke ein Wäschetrockner. Hier soll das Interview stattfinden. Die Beschreibung spartanisch trifft es nicht annähernd. Draußen dämmert es. Alexander Shehada geht in sein Zimmer und kehrt wenig später mit einer Stehlampe als einzige Lichtquelle zurück. Finn Zeugner kredenzt ein Glas Wasser. Seit ein paar Monaten leben die vier Drochterser Fußballer gemeinsam in einer Wohngemeinschaft. Die Miete bezahlt der Verein.
Diese Rolle nimmt Marco Schuhmann gerne ein. Er erzählt es am Telefon, weil er derzeit in Lüneburg bei seinen Eltern lebt, um eine Verletzung auszukurieren. Schuhmann wurde an der Hüfte operiert und wartet auf eine zweite OP Ende Januar. Im Sommer will er wieder Fußball spielen. Schuhmann ist mit 25 Jahren der Älteste. Er mache sich nicht immer Freunde in der WG, wenn er „ab und zu darauf hinweist, in der Küche den Dreck wegzuräumen“. Er würde sich sogar als penibel beschreiben. „Aber aufregen lohnt sich nicht. Das regelt sich alles“, sagt Schuhmann. Die vier Kicker haben einen Putzplan aufgestellt. In dieser Woche ist Zeugner an der Reihe. Saugen, Bad, Küche. „Einmal pro Woche saubermachen reicht“, sagt er. Er und seine Kollegen seien ja kaum da.
Der Rundgang beginnt in der Küche. Auf einem Teller liegen ein paar Mandarinen. Im Kühlschrank besitzt jeder Spieler sein eigenes Fach. Auf der Anrichte steht ein Sandwichtoaster. Der sei oft in Gebrauch, erzählen die vier. Eine Kaffeemaschine sucht man vergeblich. Kaffee trinkt keiner.
„Wir sind keine Gourmets“, sagt Finn Zeugner (20). Pasta in allen Variationen gelten als Hauptnahrung. Stig Hartig (18) mag es einfach. Zeugner serviert Nudeln mit Tomaten-Sahnesoße. Schuhmann macht sie mit Pesto, extra Schafskäse und Käse-Sahne-Soße an. Manchmal brät er Rosenkohl und kredenzt das mit gemischtem Gemüse und einem Stück Fleisch. „Ich brauche Inspiration“, sagt Schuhmann, räumt aber ein, dass die zu selten käme. In der Regel kochen die Kicker für sich. „Jeder hat sowieso andere Esskulturen“, sagt Finn Zeugner.
Alexander Shehada (19) bringt die Stehlampe wieder in sein Zimmer und drapiert sie hinter dem Sofa. Auslegware macht den Raum gemütlich. An den Wänden hängen Fotos von der Familie und Freunden. „Was einen eben so glücklich macht“, sagt Shehada. Es riecht nach Räucherkerzen. In der Mitte steht ein Doppelbett. Shehada hat seine Lieblingstrikots unter die Decke gehängt. Eines von der palästinensischen Nationalmannschaft, eines von seinem Jugendverein in Trier und eines von D/A. Der Schalker Amine Harit schenkte Shehada sein Jersey nach dem DFB-Pokalspiel.
Wenn sie frei haben, erzählen Finn Zeugner und Alexander Shehada, können sie bis zum späten Vormittag schlafen. Allerdings kommt das selten vor. Der Tag ist durchgetaktet. Marco Schuhmann ist morgens der Erste im Bad. Kurz nach sechs Uhr fährt Schuhmann als Lagerlogistiker zur Arbeit nach Hammah. Zeugners Wecker klingelt kurz vor sieben. Er absolviert derzeit eine Ausbildung zum Kaufmann für Versicherungen und Finanzen bei einem Drochterser Unternehmen. Stig Hartig baut sein Abitur an der Elbmarschenschule. Shehada arbeitet an einigen Tagen pro Woche im Fitnessstudio auf Krautsand und genießt von allen den meisten Freiraum. Im Laufe des späten Nachmittags trudeln alle vier wieder in Assel ein, essen etwas, schlafen ein wenig und müssen dann auch schon ihre Taschen für das abendliche Training packen.
Schalke-Spieler Omar Mascarell hat Finn Zeugner nach dem Pokalspiel sein Trikot überlassen. „Es war beeindruckend, wie selbstbewusst er gespielt hat“, sagt Zeugner. Das Hemd hängt an der Wand. Natürlich. Ein Fernseher, ein Bett, ein offener Schrank, ein Bürostuhl – viel passt nicht in Zeugners Zimmer.
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„Schuhmi, weil er es auch bitter nötig hat“, sagt Finn Zeugner. Schuhmann selbst schreibt sich die meisten Siege 2019 zu. Allerdings habe er auch Glück mit seinem Kader gehabt. Stars wie Neymar, van Dijk und Mbappé stehen in seinem Team.
Am Schreibtisch will Stig Hartig an diesem Abend noch in die Welt der Genetik eintauchen, den Muskelaufbau und den Sauerstofftransport beim Menschen. Das Fenster steht weit auf. Es ist kalt. In den Fächern Englisch, Biologie und Mathematik lässt er sich in eineinhalb Jahren im Abitur prüfen. „Es läuft gut in der Schule“, sagt er. Hartigs Zimmer ist eines der gemütlichsten der ganzen WG. Klein, aber liebevoll eingerichtet mit einem Bett, einem Tisch und einem Schrank. An der Wand hängt ein Bild von Neymar. Schuhmanns Refugium bleibt an diesem Tag geschlossen. Er erzählt, dass er gerne allein leben würde, wenn D/A seinen im Sommer auslaufenden Vertrag verlängert. „Ich würde gerne bleiben. Das D/A-Gen habe ich mittlerweile in mir“, sagt Schuhmann. Nur sei sein WG-Zimmer zu klein, wenn die Familie aus Lüneburg zu Besuch käme.
Stille. „Finn glaubt, er sei es“, sagt Alexander Shehada und lächelt. Die vier haben ganz unterschiedliche Rollen in der Mannschaft. Zeugner spielte sich als Einziger dauerhaft in den Kader. Er überzeugte als Neuzugang in bislang 19 von 22 Ligaspielen als Außenverteidiger, agiert bissig und kompromisslos. Shehada kommt auf 14 Einsätze, aber längst nicht so viele Spielminuten. Er versucht es über seine Physis. Schuhmann spielte elf Mal. Unvergessen ist sein Doppelpack gegen den Lüneburger SK, seinen Ex-Verein. Stig Hartig spielte ausschließlich in der zweiten Mannschaft.
Dumme Frage. Fußball natürlich. „Nach Siegen gehen wir auch manchmal los“, sagt Marco Schuhmann. Nach Niederlagen ziehen sich die Mitbewohner eher zurück. Als die Serie von sechs Siegen gegen Altona 93 vor eigenem Publikum nach dem 0:2 zu Ende ging, verschwand Zeugner schnell in seinem Zimmer. Shehada gab jedem zu verstehen, dass er lieber nicht angesprochen werden wollte. Aber die vier reden viel über ihren Sport. Über Fehler. Über Gutes. Über den Club. „Fußball ist schließlich unser Leben“, sagt Zeugner.
Draußen ist es stockfinster. Ein paar Minuten haben die Fußballer noch, um ihre Tasche für das Training zu packen. Zeugner, Shehada und Hartig schnicken darum, wer den Taxifahrer spielt. Schere-Stein-Papier. Zeugner verliert.
Die Saison
Erst am 21. Februar endet die Winterpause. D/A empfängt an diesem Tag den Heider SV. Die Kehdinger belegen derzeit den fünften Platz in der Tabelle. Mitte Januar startet das Team ins Training. Ende Januar ist ein Trainingslager in Barcelona geplant.