Landkreis stellt Rettungsdienst neu auf
Der Rettungsdienst steht vor einem Umbruch. Folgt die Politik den Empfehlungen von Gutachter Alexander Knie, werden alle Wachen ab kommendem Jahr rund um die Uhr besetzt sein. Streit bahnt sich um die nächtliche Versorgung in der Stadt Stade an.
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Gutachter Alexander Knie von der Forschungs- und Planungsgesellschaft für Rettungswesen hat die sieben Standorte untersucht und Empfehlungen für eine Neuausrichtung zusammengestellt. 25 000 Euro ließ sich der Kreis seine Expertise kosten. Wichtiges Kriterium ist die gesetzlich festgeschriebene Hilfsfrist. In 95 Prozent aller Ernstfälle muss der Rettungsdienst spätestens binnen 15 Minuten am Notfallort eintreffen. Aktuell halten die Sanitäter die Vorgaben ein, nach Umsetzung der Optimierungsvorschläge sollen sie noch früher ankommen. In Randlagen helfen auch Kräfte aus den Nachbarkreisen Rotenburg, Harburg und Cuxhaven aus. Versorgungslücken machte der Gutachter in Teilen des Alten Landes aus; hier wird die Hilfsfrist bisweilen nicht eingehalten.
Dezernentin Nicole Streitz konnte ein „positives Update“ vermelden: „Unsere sieben Standorte sind gesichert.“ Die Vertreter der Krankenkassen, die für die laufenden Betriebskosten des Rettungsdienstes aufkommen, haben ihre Zustimmung zur Umsetzung des vorgestellten Gutachtens signalisiert. Zuletzt hatten sie in den Verhandlungen noch gefordert, die beiden Kehdinger Wachen in Freiburg und Drochtersen aufzulösen und eine neue in Wischhafen zu errichten. Die Verantwortlichen vor Ort hatten diesem Ansinnen jedoch eine klare Absage erteilt; Streitz selbst hatte es als „Quatsch“ bezeichnet.
In den nächsten Jahren stehen Investitionen in Millionenhöhe an. Die Rettungswache in Stade, bisher in Wiepenkathen ansässig, platze aus allen Nähten. Erweiterungsmöglichkeiten seien nicht vorhanden. „Mittelfristig ist es notwendig, einen neuen Standort zu suchen“, sagte Knie bei der Vorstellung seines Gutachtens im Rahmen der Sitzung des Feuerschutzausschusses des Kreistages. Die Wache in Himmelpforten soll um eine Garage erweitert werden. Wenn es nach dem Gutachter geht, wird hier fortan rund um die Uhr ein Rettungswagen stationiert sein. Bisher ist der Standort nur von 7 bis 23 Uhr besetzt, bei nächtlichen Notfällen rücken die Sanitäter aus Stade an. Ab dem nächsten Jahr wird dafür in Stade nachts kein zweiter Rettungswagen mehr vorgehalten; die Himmelpfortener Kräfte müssen das Stadtgebiet dann bei Bedarf mitbedienen.
„Nicht zumutbar“ sei die Situation in der sehr beengten Rettungswache in Horneburg. Die Einsatzkräfte gelangen über eine Wendeltreppe zum Fahrzeug. Es gebe keine Erweiterungsmöglichkeiten. Eine Garage fehle, an den Rettungswagen seien bereits Radmuttern gelockert worden. Deshalb empfahl Knie, die Wache auf die andere Seite der Autobahn 26 zu verlagern. Von einem Standort im Nachbarort Guderhandviertel aus seien die Dörfer im Alten Land besser erreichbar. In der neuen Wache sollen zwei Rettungswagen vorgehalten werden; gegenwärtig ist in Horneburg einer stationiert.
Ebenfalls verlegt werden soll die Rettungswache in Bargstedt. Dort sollen dann zwei Rettungswagen rund um die Uhr im Einsatz sein, aktuell fährt das zweite Fahrzeug nur bis 23 Uhr. Es mangele an Stellplätzen und Ruheräumen. Knie regte an, den Standort aufzugeben und eine neue Wache im Flecken Harsefeld zu eröffnen. Von 1961 bis 1989 war sie bereits dort angesiedelt.
Geeignet seien die Standorte in Buxtehude und in Freiburg. Bei Letzterem müsse lediglich neben der Wache eine Garage gebaut werden. Platz sei vorhanden. Ein Sonderfall sei die Rettungswache in Drochtersen. Weil das Haus für die Seniorenbetreuung genutzt werden soll, müsse ein neuer Standort „in der näheren Umgebung“ her. Die Suche laufe auf Hochtouren.
Gutachter Knie sprach von Verbesserungen für alle Standorte. Das wollten die 30 Mitarbeiter des Rettungsdienstes, die der Ausschusssitzung beiwohnten, so nicht stehen lassen. Sie fürchten in den späten Abendstunden und nachts eine Versorgungslücke in den Bereichen Stade und Himmelpforten. Bisher sind hier in der Zeit von 7 bis 23 Uhr insgesamt drei Rettungswagen im Einsatz; von 19 bis 23 Uhr werden es ab kommendem Jahr voraussichtlich nur noch zwei sein. Weil aber auch in den Abendstunden regelmäßig Entlassungen oder Verlegungen aus dem Stader Elbe-Klinikum erfolgen, ist der Rettungswagen teilweise über zwei Stunden gebunden, was zu Engpässen bei Notfalleinsätzen führt. „Das wird nach hinten losgehen“, sagt ein Insider.
Ohnehin erscheint es den Praktikern nicht sinnvoll, nachts von Himmelpforten aus zu Einsätzen im Stader Stadtgebiet auszurücken. Der Anfahrtsweg ist wesentlich weiter als von Wiepenkathen aus. Außerdem drohe für die Oste-Region wieder eine Unterversorgung, wenn der Himmelpfortener Rettungswagen in Stade unterwegs ist. Vor allem die Bürger im Stadtzentrum seien die Gekniffenen; von den Wachen außerhalb Stades seien Fahrtzeiten von 15 bis 20 Minuten real. Schon jetzt müssten die Rettungswagen aus den Nachbargemeinden regelmäßig zur Gebietsabdeckung gen Stade fahren. In der Stadt sei in den Abendstunden eher ein dritter Rettungswagen vonnöten. Der Gutachter habe bei seinen Berechnungen ausschließlich auf ein Simulationsprogramm vertraut und nicht auf die Erfahrungen der Praktiker.
Die Ausschussmitglieder billigten das Gutachten einstimmig mit drei Enthaltungen. Das letzte Wort haben die Mitglieder des Kreistages. Wann und in welchem Umfang die Umbauten an den bestehenden Standorten erfolgen können, möchte Dezernentin Streitz im Rahmen der nächsten Sitzung des Feuerschutzausschusses im September erläutern. Was die Verlegung der Wachen nach Harsefeld und Guderhandviertel angeht, hänge ein Zeitplan vom Angebot an geeigneten Grundstücken oder Gebäuden ab. Streitz: „Wir haben noch nichts in petto.“
Der Landkreis ist Träger des Rettungsdienstes. Die Organisationen Deutsches Rotes Kreuz und Gard stellen Fahrzeuge und Personal. Die Elbe-Kliniken beschäftigen die Notärzte. Fürs Rote Kreuz arbeiten kreisweit 186 Mitarbeiter, Gard hat fünf Stellen geschaffen. 22 Fahrzeuge sind für die Notfallrettung und den qualifizierten Krankentransport im Einsatz. 43 000 Mal rückten die Retter 2016 aus, davon 19 700 Mal zu Notfällen. 8,4 Millionen Euro erstatten die Krankenkassen pro Jahr. 300 000 Euro investiert der Kreis in zwei zusätzliche Rettungswagen an den Standorten Buxtehude und Freiburg, um die Versorgung rund um die Uhr zu sichern.