Mahnmal für die Opfer der Hexen-Prozesse enthüllt

Die Stadt Buxtehude hat am Mittwochabend das Mahnmal für die Opfer der Buxtehuder Hexen-Prozesse am Alten Rathaus eingeweiht.
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Die Gästeführerinnen Sonja Kaiser und Marlies Hauschildt enthüllten die drei Bronzetafeln der Gedenkstätte. Im Anschluss entzündeten sie für jedes Opfer eine Kerze, Bürgermeisterin Katja Oldenburg-Schmidt verlas währenddessen jeden Namen.
„Dieser Tag wird in unseren Geschichtsbüchern ihren Niederschlag finden“, sagte Katja Oldenburg-Schmidt vor der Enthüllung. Auf der mittleren und unteren Bronzetafel des Hexen-Mahnmals werden alle 21 Frauen erwähnt, die in den Jahrzehnten zwischen 1540 und 1644 in Buxtehude der „Hexerei“ beziehungsweise der „Zauberei“ beschuldigt worden sind. „Von ihnen sind nachweislich 15 hingerichtet worden. Von diesen 15 haben 13 den schrecklichen Tod durch Verbrennen erlitten“, sagte Stadtarchivar Bernd Utermöhlen bei seiner Rede im voll besetzten Ratssaal. Es waren weltliche Urteile. Auch die historischen Hintergründe und der Ratsbeschluss werden genannt.
Mehr als 60 Städte, von Köln bis Wittenberg, haben bundesweit ihre „Hexen“ bereits rehabilitiert und Mahnmale in Form errichtet. Der Künstler Michael Jalowczarz aus Horneburg hat das Buxtehuder Mahnmal gestaltet. Es hat 22 500 Euro gekostet; Stadt, Sparkasse und der Sponsor Michael Bruns machten es möglich.
„Gewalt an Frauen hat eine lange Geschichte. Dazu gehören auch die Verbrennungen von Frauen, die als Hexen benannt wurden“, sagte Gleichstellungsbeauftragte Gabi Schnackenberg. Die vom Buxtehuder Rat am 8. April 2016 einstimmig ausgesprochene sozialethische Rehabilitierung der Opfer – von Schnackenberg und Utermöhlen vorangetrieben – sei ein erster Schritt gewesen. Seinerzeit hatte der der Rat festgestellt, dass den Frauen „großes Unrecht widerfahren ist“. Damit habe die Politik diesen Frauen ihre Würde zurückgeben. Das Mahnmal sei der zweite Schritt. Die Gleichstellungsbeauftragte beklagte, dass noch heute Frauen zu Opfern von Gewalt würden, auch in Buxtehude. Und immer noch gebe es Hexen-Verbrennungen, etwa in Papua-Neuguinea. Und so wirke das Mahnmal auch in die Zukunft, so Oldenburg-Schmidt.
Auf der unteren Tafel bekundet der Rat sein tiefes Mitgefühl und verurteilt die Gewalt, die den Frauen angetan wurde. Außerdem wird ein weiterer Satz aus dem Ratsbeschluss für die sozialethische Rehabilitierung vom 18. April 2016 zitiert: „Er stellt fest, dass ihnen großes Unrecht widerfahren und ihnen und ihren Familien unvorstellbares Leid zugefügt worden ist.“
„Durch die Hexenprozesse in Buxtehude ist großes Unrecht an 15 Frauen und deren Familien geschehen“, betonte Superintendent Dr. Martin Krarup. Auch wenn weltliche Gerichte entschieden haben, gehöre dieses dunkle Kapitel auch zur Geschichte der Kirche in Buxtehude. Im Jahr des Reformationsjubiläums sei es wichtig, auch diese Seite kirchlicher Tradition zu sehen. Dass sich Luther für die Todesstrafe bei Zauberei ausgesprochen hat, spielte bei dem Hexenwahn eine wichtige Rolle. Doch es gab auch schon im 16. Jahrhundert Theologen, die sich grundsätzlich gegen die Hexenprozesse ausgesprochen hätten. „Sie fanden leider wenig Gehör“, bedauerte der Superintendent. „Uns heute mahnen die Geschehnisse von damals, wachsam zu sein und die Stimme zu erheben, wo heute Menschen Opfer von Hetze werden“, sagte Krarup später in der Predigt zum Buß- und Bettag in der St. Petri-Kirche.
BUXTEHUDE. Sie gehören zu den dunkelsten Kapiteln der Stadtgeschichte – die Hexenprozesse von Buxtehude. Die Stadt an der Este war (neben Verden) in den Stiften Verden und Bremen eine Hochburg der Verfolgung. Erst im Jahr 1649 verbot die Landesherrin, die schwedische Königin Christine, weitere Hexenprozesse in ihren Territorien im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Schätzungsweise 50 000 Menschen wurden von 1430 bis 1780 in Europa zu Opfern, die Hälfte der Hexenverbrennungen fand im Reich statt, der Höhepunkt lag zwischen 1530 und 1630, so Stadtarchivar Bernd Utermöhlen.
Die Gerichtsverfahren fanden auf Grundlage der Strafprozessordnung Kaiser Karls IV. von 1532 statt – unter grausamster Folter. Die Constitutio Criminalis Carolina stellte den „Schadenzauber“ in Paragraf 109 unter Todesstrafe. Nach dem hochnotpeinliches Verhör („in der pyne“) in der Frohnerei (Altes Zollamt) gestanden die Opfer aufgrund der schlimmen Folter. Auf vier Punkte stützten sich die weltlichen Gerichtsherren: Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft, Schadenszauber und Teufelstanz. Die Folterwerkzeuge, von Fußschellen bis zur Bein- und Daumenschraube, sind im Buxtehude-Museum zu sehen. Auf den Treppenstufen zum Ratssaal („Stapelgericht“) verkündete der Rat die weltlichen HexenUrteile – und nicht die Kirche. Diese unterstand seit der Einführung der Reformation 1542 dem Rat. Die Kirche hatte mit geistigen Brandstiftern, wie dem Dominikaner Heinrich Kramer, Autor des Hexenhammers (1486), allerdings die Grundlagen gelegt.
Der Rat hatte, so das Selbstverständnis damals, für Recht und Ordnung zu sorgen und durch hartes Durchgreifen den Zorn Gottes, der sich durch Unwetter, Blitzeinschläge und Brandkatastrophen oder durch Pest-Epidemien äußern konnte, abzuwenden. Die Angst davor „war ganz real“. Schließlich, so Utermöhlen, war es damals unumstritten, dass es Hexerei und Zauberei gab. Auch Luther („Es ist ein überaus gerechtes Gesetz, dass die Zauberinnen getötet werden, denn sie richten viel Schaden an“) war von der Existenz von Teufel und Hexen überzeugt.
Nach dem Urteil wurden die Hexen auf der Gerichtsstätte außerhalb des Geesttores südlich des heutigen Bahnhofs verbrannt. Noch 1893 hieß dieses Flurstück Hexenwiese. 1558/1564 wurde mit Felix von der Hoya sogar ein Bürgermeister seines „Amtes entsetzt“ – wegen seines ‚Umgangs‘ mit Zauberinnen. Auch das bekannteste Opfer der Hexenverfolgung entstammte der Oberschicht. Die Bürgermeisterfrau Margarete Bicker und andere Frauen waren am 21. August 1555 unter Folter von Ahlcke Hedendorp bezichtigt worden, mit dem Teufel getanzt zu haben und „ihm zu Willen gewesen“ zu sein. Die Streckbank hatte ihre Wirkung gezeigt.
Als die Bürgermeisterfrau von diesen Vorwürfen erfuhr, schmiedete sie umgehend Fluchtpläne. Auch sie wusste: Wer im Verlies landet, ist dem Tode geweiht. Seit 1540 hatte der von der Kirche unterstützte Hexenwahn, der in ganz Deutschland wütete, auch in Buxtehude seinen Einzug gehalten – einer Stadt mit 1500 Einwohnern. Mit einem Kahn floh sie aus der Stadt, in Lüneburg fand sie Asyl bei ihrem Schwager, einem Mann von Adel. Doch die Sehnsucht nach Mann und Kindern war offenbar zu groß. Und so entschloss sich Bicker, zurückzukehren. Sie versteckte sich im Alten Kloster, inbrünstig hoffend, dass das Blatt sich wendet. In der Zwischenzeit versuchten ihre einflussreichen Verwandten Ludeleff van Warendorp, Dom-Dekan zu Bremen, und Christoph Bicker, Abt zu Harsefeld, ihr Leben zu retten. Sie baten die Richter Jacob Radeleves und Felix von der Hoyen, die Akten an auswärtige Rechtsverständige zu schicken, um den Fall zu prüfen. Ohne Erfolg. Dann beging Bicker einen folgenschweren Fehler.
Als sie an einem Sonntag im August 1556, nach einem Jahr des Exils, wieder ihr Haus betrat, nahmen sie Hexenjäger fest. Aus Rücksicht auf ihren Mann, der zum Gottesdienst in der St.-Petrikirche war, steckten die Häscher sie erst mal nicht in den Kerker, sondern fesselten sie ans Bett. Erst später landete sie im Gefängnis. Dort gestand sie unter Qualen, ihren Mann betrogen, Zaubertränke zubereitet und Schadenzauber ausgeübt zu haben.
Im Fall Bicker sind die Akten übrigens spurlos aus dem Stadtarchiv verschwunden. „Allerdings müssen sie 1873 noch existiert haben“, denn damals berichtete das Buxtehuder Wochenblatt, Vorläufer des TAGEBLATT, ausführlich über ihr Schicksal.
Der Text auf dem Mahnmal im Wortlaut:
„Hexenprozesse in Buxtehude
Zwischen 1540 und 1644 sind in Buxtehude nachweislich 21 Frauen wegen „Hexerei“ bzw. „Zauberei“ angeklagt worden. Von ihnen sind 15 nach grausamer Folter hingerichtet worden, davon 13 durch Verbrennen. Die Urteile wurden vor der versammelten Bürgerschaft von der Rathaustreppe aus verkündet und auf dem außerhalb der Stadt gelegenen Richtplatz vollstreckt.
Der Rat der Hansestadt Buxtehude hat in seiner Sitzung am 18. April 2016 sein tiefes Mitgefühl mit den Opfern bekundet und verurteilt die Gewalt, die den Frauen angetan wurde. Er stellt fest, dass ihnen großes Unrecht widerfahren und ihnen und ihren Familien unvorstellbares Leid zugefügt worden ist. Die öffentliche Anerkennung des Unrechts bedeutet zugleich eine sozialethische Rehabilitierung der Opfer und stellt ihre Ehre wieder her.“
Opfer der Buxtehuder Hexenprozesse 1540-1644:
1540 Metcke Wildenbrockes, „gerechtfertiget“ (= bestraft)
1545 Metcke Wildenbrockes, hingerichtet
1555 Gesche Kahlen, hingerichtet, Ahlcke Rolapp, „gerechtfertiget“
(= bestraft), Gretcke Timmen, „gerechtfertiget“ (= bestraft)
1556 Ahlcke Hedendorp, hingerichtet durch Verbrennen, Margareta Bicker, Frau des Bürgermeisters Segebade Bicker, hingerichtet durch Verbrennen
1558 Namentlich nicht genannte Frau, hingerichtet durch Verbrennen
1588 Ilsabe Meyers, hingerichtet durch Verbrennen
1590 Gretje Wüppers, hingerichtet durch Verbrennen
1598 Gesche Meyers, hingerichtet durch Verbrennen, Ahleke Hagens, hingerichtet durch Verbrennen
1607 Wöbcke Richers, hingerichtet durch Verbrennen
1608 Gesche von Schleiseln, hingerichtet durch Verbrennen, Becke Lohmanns, hingerichtet durch Verbrennen, Catharina Möllers, hingerichtet durch Verbrennen
1609 Wummel Dickgreve, der Zauberei verdächtigt,
Prozessausgang nicht belegt
1613 Anne Ropers, Verfahren aus Mangel an Indizien nicht fortgeführt
1614 Becke Kruse, hingerichtet durch Verbrennen, Ilse Dede, aus der Stadt gewiesen
1625 Else Meyer, hingerichtet durch Verbrennen
1643-1644 Elisabeth Hessel angeklagt, Prozessausgang nicht belegt