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Original Buxtehude

Marina Gehrmann ist eben eine geborene „Bierbaum“

Hier ist nicht der Name Programm, sondern die Persönlichkeit: Wirtin Marina Gehrmann, geborene Bierbaum, prägt die besondere Atmosphäre der Kneipe am Buxtehuder Fleth, die ihren Mädchennamen trägt.

Hier ist nicht der Name Programm, sondern die Persönlichkeit: Wirtin Marina Gehrmann, geborene Bierbaum, prägt die besondere Atmosphäre der Kneipe am Buxtehuder Fleth, die ihren Mädchennamen trägt.

Kneipen hat es am Buxtehuder Fleth schon viele gegeben. Aber so lange wie Marina Gehrmanns „Bierbaum“ ist noch keine durchgehend angesagt gewesen. Ihre Kundschaft wird sogar immer jünger. Hier gibt die Wirtin Auskunft über ihr Geheimnis.

Von Anping Richter Mittwoch, 27.03.2019, 09:00 Uhr

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Marina Gehrmanns Stil ist unverwechselbar, selbst morgens beim Kippenfegen. Ihre Lieblingsbeschäftigung sei das nicht, seufzt die Kneipenwirtin. Umso schöner sieht der Besen aus, den sie dafür benutzt: knalltürkis, mit großen, bunten Punkten. Er passt gut zu Gehrmanns flammend rotem Haar – und zu ihrer Kneipe. Drinnen blitzen die Flaschen und die Gläser hinter und über dem Tresen im Schein bunter Lichterketten. Die Decke ist komplett von glänzenden, alten Schallplatten bedeckt. Geöffnet wird erst um 17 Uhr, aber weil die Tür offen steht und jemand plaudernd am Tresen sitzt, wird das Gespräch ständig von Leuten unterbrochen, die hereinkommen und hoffnungsvoll fragen: „Machst Du heute früher auf?“

Die 61-jährige Marina Gehrmann, deren Kneipe „Bierbaum“ heißt, weil sie, wie sie unterstreicht, tatsächlich eine geborene Bierbaum ist, war nicht immer so bekannt. „Nach den ersten zwei Jahren wollte ich schon fast wieder aufhören“, berichtet sie. Dabei hatte Marina Gehrmann, die in Buxtehude auswuchs und mit 17 schon ein Kind bekam, viel Gastronomie-Erfahrung. Sie hatte bei Stubbe im Fährhaus Kirschenland gearbeitet und in der Buxtehuder Festhalle gekellnert, später dort, wo heute das McDonald’s steht, die Fritten-Ranch betrieben und beim Krümet in Dollern einen Imbiss. Doch der brannte ab, worauf sich 1990 die Chance ergab, am Fleth ein Lokal zu eröffnen. In den ersten zwei Jahren war dort nicht viel los.

„Es ging für uns dann darum, entweder aufzugeben oder noch einmal ordentlich zu investieren“, sagt Marina Gehrmann, die ihren Ehemann Jens Gehrmann damals am Fleth kennenlernte. Auch er war Gastronom und betrieb dort die „Galerie“ in der Mühle. Sie entschieden sich, in dem Haus am Fleth, in dessen oberstem Stockwerk sie bis heute auch wohnen, aufs Ganze zu gehen und zu renovieren. Auch ein neuer, größerer Tresen wurde eingebaut, auf der gegenüberliegenden Seite. Plötzlich lief der Laden. Marina Gehrmann, die anfangs vom Tresen bis zum Putzen alles allein gemacht hatte, stellte die ersten Mitarbeiterinnen ein. Es war die goldene Zeit der Kneipen in Buxtehude. Sie schwärmt heute noch: „Das Bistro, das Café Sahne, der Flethenkieker, die Funzel, das Comeback, die Wunderbar – es brummte überall, nicht nur bei uns.“

Die Gastronomen kannten sich gut und unterstützten sich gegenseitig. Inzwischen gibt es keines der aufgezählten Lokale mehr. „Inzwischen bin ich der letzte Mohikaner“, sagt Marina Gehrmann und klingt dabei traurig. Was das „Bierbaum“ angeht, hat sie allerdings keinen Grund zur Klage: Der Laden ist so angesagt wie eh und je.

Als 2007 das Rauchverbot in Kneipen in Kraft trat, hatte sie Angst. Aber Gehrmanns hatten schon 2004 die zweite Etage ausgebaut. Das wurde nun zur Rettung – und zur abgetrennten Raucherzone.
Die Kundschaft hat sich in letzter Zeit sogar verjüngt, berichtet Marina Gehrmann erstaunt: „Es kommen ganz viele junge Leute. Ich frage mich immer: Wat wollen die hier?“ Sie hat sie auch schon selbst gefragt und bekam die Antwort: „Hier ist es so schön wie bei Oma im Wohnzimmer.“

Bei einer sehr toleranten Oma, die niemandem den Eintritt verwehrt, müsste hinzugefügt werden. „Bei mir soll sich jeder angenommen fühlen, egal ab schwarz, weiß oder grün“, sagt die „Bierbaum“-Wirtin. Sie lebe das aus vollem Herzen: „Ich denke, dieses Karma kommt auch rüber.“ Sie und auch ihre Mitarbeiterinnen könnten aber auch mal dazwischenhauen, wenn es zu laut wird: „Im richtigen Ton, wie Mutti. Das klappt, die respektieren uns.“

Auch Rock’n’Roll kann so eine Oma-Sache sein, wie die Einrichtung des „Bierbaum“ zeigt, die über die Jahre gewachsen ist: Die kultigen Vinyl-Platten, die schwarz-weißen, gerahmten alten Star-Poster, der Kontrabass und andere Instrumente, die Decke und Wände schmücken: All das ist Marina Gehrmanns Handschrift. Sie hat die Sachen teilweise selbst auf Flohmärkten erstanden, teilweise geschenkt bekommen.

Die Sachen gefallen auch anderen – so gut, dass immer wieder Stücke verschwinden. Sogar Instrumente werden weggeschleppt. Am Traurigsten ist Marina Gehrmann über den Raub der Audrey Hepburn: „Mein Liebling, ich habe sie durch Sophia Loren ersetzt.“ Mit solchen Dingen hält Marina Gehrmann sich aber nicht gern auf. Lieber spricht sie über schöne Erinnerungen: „Wir haben hier unheimlich viele tolle Partys gefeiert.“

Die Enterprise-Party zum Beispiel, bei der die ganze Kneipe mit Alufolie verkleidet wurde. Manchmal ging das bis fünf, sechs Uhr morgens. Wollten die Gäste gar nicht gehen, spielte Gehrmann als Rausschmeißer Lieder von Hildegard Knef und Marlene Dietrich. „Manche fanden dann gerade das toll“, sagt sie schulterzuckend. Inzwischen lassen Marina und Jens Gehrmann es ruhiger angehen und machen oft Hintergrunddienst in der Küche, deren Bauernfrühstück, Schnitzel oder Sauerfleisch auch langjährige Anhänger haben. Vorne und oben machen „die Mädels“ Dienst. Junge Männer hat sie schon einige Male ausprobiert: „Drei Tage, dann waren die fertig mit der Welt.“ Auf ihre sieben patenten Mitarbeiterinnen lässt Marina Gehrmann nichts kommen – auch sie gehören zum „Bierbaum“-Geheimnis.

{picture1s} Das ist original Buxtehude: Mit diesem Stempel versieht das TAGEBLATT Porträts von Menschen, die typisch für ihren Ort sind, Typen, die nicht alltäglich sind – eine Serie nicht nur für die Stadt Buxtehude.

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