Mutter, Vater, Sternenkind

Lisa Acke sitzt im Zimmer ihrer Tochter. In der Hand hält sie ein Sternenbärchen , einen Seelentröster für Eltern, die ein Kind verloren haben. Foto Meybohm
Ein Kind, das stirbt, hinterlässt eine Mutter, einen Vater und unermesslichen Schmerz. Eine neue Selbsthilfegruppe soll Betroffenen helfen, ihre Trauer zu verarbeiten. Lisa Acke hat die Gruppe gegründet. Sie hat selbst ein Kind verloren.
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Behutsam hält Lisa Acke ihren acht Monate alten Sohn in den Armen und wiegt ihn langsam hin und her. Der kleine Jonathan gluckst und strahlt seine Mama voller Freude an. Sein großer Bruder Noah hat nie erfahren, wie es ist, geborgen in Mamas Armen zu liegen. Er ist noch im Mutterleib verstorben.
Lisa Acke verlor ihr erstes Kind in der neunten Schwangerschaftswoche. Kaum hatte das kleine Herz angefangen zu schlagen, war das Leben schon wieder vorbei. „Als ich begriffen habe, dass ich mein Kind die Toilette hinuntergespült habe, war ich erschüttert“, sagt die 27-Jährige. Aus der Vorfreude wurde mit einem Schlag Trauer. Sie hat lange gebraucht, die Fehlgeburt zu verarbeiten. Jetzt will Lisa Acke Eltern helfen, die Ähnliches erlebt haben: Sie hat eine Selbsthilfegruppe für Eltern von Sternenkindern ins Leben gerufen.
Als Sternenkinder werden Kinder bezeichnet, die noch im Mutterleib, während oder kurz nach der Geburt versterben. Sie sind in den Himmel gekommen, ohne vorher das Licht der Welt erblicken zu dürfen. Durch den Begriff soll, anders als durch Begriffe wie Fehl- oder Totgeburt, das Kind in den Vordergrund gerückt werden. Er drückt die enge Bindung und die Trauer der Eltern zu ihrem Kind aus – egal wie kurz das Leben war.
Kurz nach ihrer Fehlgeburt wurde Lisa Acke wieder schwanger. Ihre Tochter Jule ist jetzt zweieinhalb. Lisa Acke und ihrem Mann habe die erneute Schwangerschaft geholfen, die Trauer auszublenden. Als bei ihr der Entbindungstermin kurz bevorstand, hat eine Bekannte ihr Kind tot geboren. „Ich war schockiert“, sagt Lisa Acke.
Ihre eigene Fehlgeburt und die stille Geburt ihrer Bekannten haben Lisa Acke verändert. „Das Thema wird leider immer noch oft totgeschwiegen“, sagt sie. Eltern von Sternenkindern stünden oft mit ihrer Trauer allein da.
Niemand kann den Verlust eines Kindes mit sich selbst ausmachen“, sagt Lisa Acke. Sie hat Seminare zur Trauer- und Trauma-Verarbeitung belegt und möchte dieses Wissen in die Selbsthilfegruppe einbringen. In der Gruppe soll offen gesprochen werden, sagt sie. Betroffene sollen ihre Trauer und ihre Wut unter den Leidensgenossen rauslassen. Und wer sich nicht gleich öffnen möchte, muss es auch nicht. „Jeder soll kommen und gehen, wann er will.“
„Du bist doch noch jung. Es kommt bestimmt noch ein Kind“ – gut gemeinte Ratschläge wie diese helfen nicht, um über den Verlust eines Kindes hinwegzukommen, sagt Lisa Acke. „Es hilft, wenn Angehörige und Freunde einfach da sind. Wenn sie zuhören, im Haushalt anpacken oder die Beerdigung mit planen.“ Die Selbsthilfegruppe richtet sich an Mütter genauso wie an Väter oder Paare. Der Verlust eines Kindes stellt die Partnerschaft auf die Probe, weiß Lisa Acke. „Entweder man hält zusammen, oder die Beziehung zerbricht.“ Nicht selten haben Frauen nach einer stillen Geburt Probleme, sich berühren zu lassen, insbesondere an Bauch und Brüsten. Oder der Mann traut sich nicht mehr, seine Partnerin anzufassen. Lisa Acke hat in ihren Fortbildungen Übungen kennengelernt, mit denen sich Mann und Frau wieder näher kommen.
Die Selbsthilfegruppe trifft sich alle drei Wochen freitags in den Räumen der Hebammenpraxis Jork. Hebamme Iris Freyer wird bei den Treffen ebenfalls dabei sein. Lisa Acke hat außerdem die Heilpraktikerin für Psychotherapie, Beke Kramer, an ihrer Seite und stellt, wenn gewünscht, den Kontakt her. Bei ihrem eigenen Trauerprozess habe es ihr geholfen, dem verlorenen Kind einen Namen zu geben, sagt Lisa Acke. Das hat sie erst während der Seminare gelernt. „Wir hatten von Anfang an das Gefühl, dass es ein Junge ist. Sein Name ist Noah“, sagt die 27-Jährige.
Seit 2013 können Eltern ihr tot geborenes Kind beim Standesamt mit Namen, Geschlecht und Geburtstag anmelden, auch wenn es weniger als 500 Gramm gewogen hat. Sie können ihm damit offiziell eine Existenz geben, können das Kind beerdigen und Abschied nehmen und werden als Familien wahrgenommen. In vielen Bundesländern dürfen Eltern ihr tot geborenes Kind bis zu 36 Stunden mit nach Hause nehmen, um sich von ihm zu verabschieden.
Die kleinen Hände und Füße berühren, Fotos machen, Abschied nehmen – das alles helfe, die Trauer zu verarbeiten, sagt Lisa Acke. Früher wurden Sternenkinder über den Klinikmüll entsorgt. „Es fällt schwer, zu begreifen, wenn das Kind, das eben noch im Bauch getreten hat, auf einmal weg ist“, sagt die Jorkerin.
Lisa Acke will sich weiter fortbilden. Als Nächstes steht die Ausbildung zur Beckenbodentrainerin an. Sie möchte Rückbildungskurse speziell für Sternenmütter anbieten, damit sie die Übungen nicht zwischen lauter frischgebackenen Müttern machen müssen.
Die Selbsthilfegruppe trifft sich am Freitag, 20. Oktober, 19 bis 21 Uhr, in den Räumen der Hebammenpraxis Jork-Borstel, Kleine Seite 15. Der Unkostenbeitrag beträgt 10 Euro pro Abend. Weitere Informationen erhalten Interessierte unter kleine-sternchen@web.de oder auf Facebook: Sterneneltern-Treff Jork.