Neues Bauen im Alten Land gestalten
Die Baukunst im Alten Land ist geschichts- und kulturträchtig. Doch geht genau dieses Bewusstsein verloren? Das „Forum BauKulturLand zwischen Elbe und Weser“ hat in seinem Workshop ein Plädoyer für moderne Architektur mit Regionalbezug geliefert.
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Die Gestaltungsqualität in einigen Dörfern des Alten Landes lasse zu wünschen übrig – trotz des „bedeutenden“ architektonischen Erbes. Toskanavillen, Gabionen und Schottergärten hätten allerdings wenig mit der Altländer Baukultur zu tun – und seien austauschbar. Es gelte, so Stadtplaner Gerd Kruse, das „Wissen um die Herkunft der Siedlungsstrukturen“ und den „Stolz auf die Eigenheiten“ bei den Bauherren und den Architekten zu vermitteln beziehungsweise zu stärken. Das bedeute allerdings nicht, dass die Vergangenheit zum Maßstab werden müsse, denn „Moderne“ habe es immer gegeben, so Kruse bei dem Workshop des „Forums BauKulturLand“ in Kooperation mit der Gemeinde Steinkirchen im Dorfgemeinschaftshaus mit Verweis auf die Altländer Bau(stil)geschichte von Renaissance über Barock, Klassizismus und Historismus bis Heimatschutzarchitektur.
Ein Ziel von neuen oder novellierten Gestaltungssatzungen müsse es deshalb sein, die seit Jahrhunderten prägenden Strukturen wie giebelständiges Bauen (mit Backstein und steilen Satteldächern) an den Hauptstraßen zu erhalten und zugleich moderne Elemente einzubinden. Die Baukontinuität im Alten Land sei im Vergleich zu anderen Regionen nahezu einzigartig, führte die Kunsthistorikerin Kathrin Wittschieben-Kück aus Kiel in ihrem Vortrag aus. „Es herrschten zu allen Zeiten ähnliche Paradigmen vor, die Homogenität und die Kontinuität sind wichtige Eigenschaften der Altländer Baukultur“, so die Wissenschaftlerin.
„Es darf nicht falsch sein, sich auch in historischer Umgebung in der Architektursprache unserer Zeit auszudrücken“, erklärte auch Annette Krispin vom Bauordnungsamt des Landkreises Stade. Satzungen sollten das Historische wahren, aber auch Raum für moderne Architektur lassen – „im maßvollen Rahmen“. Schließlich seien die Ortskerne in Jork und in Steinkirchen mit ihren alten Gebäuden nicht nur für den Tourismus wichtig, sie seien auch wichtig für die Identifikation der Bürger mit ihren Kommunen und ihrer Kulturlandschaft. „Das architektonische Erbe ist in Gefahr, vielerorts gibt es keinerlei Bezug mehr zur traditionellen Ausgestaltung von Gebäuden und Fassaden“, klagte jüngst der Leiter des Museums Altes Land in Jork, Dieter-Theodor Bohlmann.
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Krispin und der Architekt Uwe Kappel waren sich einig, dass die Bauämter auf der Kreis- und der Gemeindeebene hier stärker in den Dialog mit Bauherren und Planern eintreten sollten. Denkbar seien auch Gestaltungsbeiräte auf kommunaler Ebene als Hüter der Baukultur und Vermittler in Sachen Gestaltung, so wie sie in Jork diskutiert werden. Das gemeinsame Verstehen im Dialog sei besser als (nur) auf abstrakte Vorschriften zu setzen. Das trage zu mehr Akzeptanz und Verständnis bei, betonte Krispin. Die Leiterin des Bauordnungsamtes versprach, in Zukunft eine frühzeitigere Abstimmung zwischen Planer, Kommunen und Bauaufsicht zu gewährleisten – ein Wunsch, den Architekten bei dem Workshop geäußert hatten.
Eine moderne Architektur mit Regionalbezug, das sei – nicht nur bei Neubauten – auch für das Alte Land eine große Chance, um die Eigenheit und die Schönheit der Kulturlandschaft zu wahren. Darin waren sich Samtgemeindebürgermeister Michael Gosch (CDU) und Bürgermeisterin Sonja Zinke (CDU) einig. Zinke verwies auf die zum Teil ungenutzten, zum Teil vom Verfall bedrohten Altländer Fachhallenhäuser. Hier, betonte die Bürgermeisterin von Steinkirchen, dürfte auch die Verwendung von Glas und Stahl oder Solaranlagen kein Tabu sein, um Licht in alte Bauernhäuser zu bringen und diese durch Umwandlung in Wohn- oder Büroräume für die Nachwelt wirtschaftlich zu erhalten. Kritisch wurde die Vorgabe der Niedersächsischen Bauordnung gesehen, bei mehrgeschossigen Bauten nun Türme für Aufzüge vorzusehen – ein (ungelöster) Konflikt zwischen Barrierefreiheit und Gestaltungssatzung.
Dass Altes und Neues in der Architektur harmonieren können, zeigten Beispiele aus Österreich und der Schweiz. Der Vorsitzende des Vereins „Forum BauKulturLand“, Architekt Lothar Tabery, sowie die Architekten und Vertreter der Bauämter sowie Kommunalpolitiker wie Michael Gosch plädierten unisono nicht für „Disneybauten“, sondern für moderne Architektur – mit einem Regionalbezug. Dadurch, so ist Tabery überzeugt, könnten sich auch die Chancen erhöhen, die wertvolle regionale historische Baukultur als gewichtigen Aspekt des potenziellen Weltkulturerbes Altes Land zu verankern. Mit neuen Lösungsansätzen könne deutlich gemacht werden, „dass die regionale Bauhistorie kein abgestorbener Ast ist, sondern sich hieraus eine qualitätsvolle, zeitgemäße, moderne, regionale Architektur entwickeln lassen kann“.
Mit dem Workshop, ergänzt um einen Kreativteil, sollten Impulse für eine Weiterentwicklung der Baukultur in der Region gesetzt werden. Der Verein wird in Kürze eine Dokumentation vorlegen. Bürgermeisterin Sonja Zinke (CDU) regte an, dass die Samtgemeinde Lühe und die Gemeinde Jork mit dem Verein und den örtlichen Architekten das Thema vertiefen sollten. Auch die Kommunalpolitiker Anke Priester-Wolf (CDU, Jork) und Silvia Hotopp-Prigge (FDP, Jork) wollen sich für einen Gestaltungsbeirat in Jork stark machen.