Nur Hans Rinck nutzt noch den Stader Stadthafen

Die 55 Meter lange und sieben Meter breite „Dagmar“ liegt am Ende des Hafenbeckens in Stade . Fotos von Borstel
Im Stadthafen von Stade spielen nur noch Traditionsschifffahrt und Motorsportboote eine Rolle? Könnte man meinen. Stimmt aber nicht ganz. Alle 10 bis 14 Tage kommt „Dagmar“ die Schwinge hinaufgeschippert. An Bord: 300 Tonnen Heizöl für Hans Rinck.
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Um Viertel vor 9 ist es bibberkalt auf dem Deck von „Dagmar“. Rentner Alois Krause nimmt das Schiff im Stadthafen in Empfang, wenn die Heizöltanks der Firma Hans Rinck mal wieder leer sind. Alle 10 bis 14 Tage ist das der Fall. Beim Oiltanking-Tanklager in Hamburg wird sie vollgeladen, dann nimmt die „Dagmar“ direkt Kurs auf die Schwinge. Sie ist das einzige Schiff, das den Hafen in Stade noch regelmäßig anfährt – gewerbsmäßig jedenfalls.
Alois Krause lebt in Wiepenkathen und war selbst Kapitän des Tankers, bevor er 2011 in den Ruhestand ging. Zwei Jahrzehnte gehörte er der Crew an. Seine Patente hat er heute noch. Immer, wenn das Schiff nach Stade kommt, begrüßt er die alten Kollegen und hilft beim Abpumpen des Heizöls. 300 Tonnen kann „Dagmar“ laden. Hinzu kommt noch mal dieselbe Menge an Schweröl für Schiff-zu-Schiff-Betankungen auf einer Elb-Reede.
Das Zeitfenster für die Lieferung nach Stade ist eng. Nur bei Flut kann das 55 Meter lange und sieben Meter breite Schiff die verschlammte Schwinge passieren. Vier Stunden Zeit hat das Team fürs Ein- und Auslaufen. Bei Ostwind wird das Wasser schnell mal zu flach. Ab Elbmündung braucht die dreiköpfige Crew rund um Kapitän Jan Schmahl noch eine halbe Stunde bis zum Liegeplatz am Ende des Hafenbeckens. Den nimmt „Dagmar“ nach einem Wendemanöver rückwärts per Bugstrahl ein. Neben dem Ersten Offizier ist noch ein Schiffsmechaniker als Decksmann an Bord. „Der Weg über die Schwinge ist eine schöne Abwechslung, wenn man sonst nur im Hamburger Hafen unterwegs ist“, sagt Schmahl.
Knapp zwei Stunden dauert es, bis die schmierige Flüssigkeit durch die Leitungen geflossen ist. In Stade wird manchmal noch Material auf das Schiff geladen oder die Frischwassertanks aufgefüllt – so auch heute. Auf dem modernen Kartenplotter zur Linken von Kapitän Schmahl sind alle Gefährte auf der Schwinge zu erkennen. „Greundiek“ und „Wilhelmine von Stade“ steht auf dem Navigationsgerät geschrieben.
Neben diesen aufgehübschten Traditionsschiffen im Hafen kommt „Dagmar“ äußerlich eher wie der Typ Arbeiterfrau daher. Sie wurde 1964 auf der Werft Scheel & Jöhnk in Harburg gebaut. In den 90ern kaufte Rinck Senior den kleinen Tanker – in Afrika. Gerade erst hat das Schiff die „große Klasse“ bekommen, quasi der fünfjährige Schiffs-Tüv.
Außer dem Horneburger Unternehmen nutzt den Stader Hafen heute keiner mehr kommerziell. Der ausgediente Hafenkran von 1927 ist längst ein technisches Baudenkmal, das im Winter ein Weihnachtsbaum ziert. Auf der anderen Beckenseite erinnert der knorrige Baumstamm in einer Sägevorrichtung an alte Zeiten. Jene Ära, in der hier noch Holz, Kohle, Kies und Sand von den Küstenmotorschiffen „gelöscht“ wurden – so der Fachjargon.
Heute gibt es kaum Bedarf für gewerbsmäßige Schifffahrt im Stadthafen. Der Umschlag wurde schon vor Jahrzehnten nach Stadersand verlagert, wo deutlich größere Schiffe anlegen. Außerdem werden immer mehr Transporte in Deutschland direkt auf die Straße gebracht. „Für viele Firmen ist ihr Lager inzwischen die Autobahn“, sagt Alois Krause. Für Hans Rinck rechnet sich das Heizöl-Depot in der Stadtlage noch. Krause: „Wir halten hier als einzige noch die Fahne hoch.“
Um Viertel vor 11 braust ein Lkw auf den kopfsteingepflasterten Platz. Krause gibt den Einweiser, damit der Laster punktgenau Position einnehmen kann. Mit einem beweglichen Verladearm wird das Heizöl in die Tanks gepumpt. Es dampft. In einem Büro zwischen den Tanks rattert in der Zwischenzeit ein Zähler, der die Abfüllung litergenau erfasst. 25 Tonnen kann der Lkw aufnehmen und per Straße zu den Haushalten im Landkreis liefern.
Draußen sind es Minusgrade. Der erste Schnee ist gefallen. Der Hafenmeister hat die Fenster bereits für die Wintermonate abgehangen. Die Crew wärmt sich mit einem Kaffee auf der Brücke, während die letzten Tonnen Öl strömen. „Wenn man bedenkt, dass die Wikinger vor hunderten von Jahren hier noch im Dunkeln hochgefahren sind“, sinniert Krause. Der 69-Jährige ist fasziniert von der vielseitigen Nutzung des Hafens. Obwohl heutzutage der touristische Gedanke ja schon überwiege, wie er betont.
Das Rinck-Tanklager im Zentrum der Stadt gibt es seit Mitte der 70er Jahre. Damals sah das Areal rund um das Hafenbecken noch völlig anders aus. „Den Parkplatz gab es nicht“, erinnert sich Krause. Parallel zur Hansestraße verlief ein Industriegleis. Heute braucht das keiner mehr. Dass an dieser Stelle eine Hafencity am Wasser und Häuser mit riesigen Glasfronten entstehen, konnte 1974 keiner ahnen. Damals, als hier noch Holz, Kohle, Kies und Sand von den Küstenmotorschiffen gelöscht wurden.

Blick von der Brücke auf den Stadthafen in Stade. Rechts die neue Hafencity, davor Traditionsschiffe und hinten der Gasometer.

Rentner Alois Krause nimmt die „Dagmar“ im Hafen in Empfang.