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Nur einer schafft es Sonntag in den Landtag

Helmut Dammann-Tamke (links) und Alexander Paatsch. Foto: Wisser

Helmut Dammann-Tamke (links) und Alexander Paatsch. Foto: Wisser

Sie streiten sich und finden Gemeinsamkeiten: der CDU-Landtagsabgeordnete Helmut Dammann-Tamke aus Ohrensen und der SPD-Landtagskandidat Alexander Paatsch aus Buxtehude. Nur einer wird am Sonntag in den Landtag einziehen, über die Liste sind sie nicht abgesichert.

Von Karsten Wisser Sonntag, 08.10.2017, 20:15 Uhr

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Was nehmen Sie vom Ergebnis der Bundestagswahl mit?

Paatsch: Das gute Abschneiden der AfD hat mich erschreckt und natürlich das schlechte SPD-Ergebnis. Die Entscheidung, in die Opposition zu gehen, ist richtig. Allerdings haben wir in Niedersachsen das beste SPD-Ergebnis aller Bundesländer eingefahren. Niedersachsen ist das neue Kernland der SPD. Mir macht Mut, dass es Lars Klingbeil bei der Bundestagswahl geschafft hat, den Heidekreis zu gewinnen. SPD-Siege sind auch in einem konservativen Umfeld möglich.

Dammann-Tamke: Die CDU stellt die stärkste Fraktion und Angela Merkel bleibt Bundeskanzlerin. Das Ergebnis der AfD hat mich auch erschreckt. Aber wir sind eine gefestigte Demokratie und werden damit fertig. Die erste Zeit nach der Wahl zeigt auch, dass sich die AfD selbst zerlegt. Das Rennen für Niedersachsen ist offen.

Wie umgehen mit der AfD?

Dammann-Tamke: Wenn es zu rassistischen Äußerungen kommt, dürfen wir Demokraten nicht wegtauchen. Dass die Mehrheit im Buxtehuder Rat bei einer provokanten AfD-Rede den Saal neulich verlassen hat, sieht nach außen gut aus, ist aber der falsche Weg. Wir müssen dagegen halten.

Ihr Konkurrent hat den Wahlkreis mit 17 Prozent beim letzten Mal gewonnen. Hoffen Sie auf ein Wunder Herr Paatsch?

Paatsch: Helmut Dammann-Tamke ist der Favorit, aber ich halte es mit Berthold Brecht. Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Die CDU hat bei der Bundestagswahl ihre dominierende Stellung im Nordwesten bestätigt. Sobald das Umfeld aber städtisch wird, gehen die Ergebnisse nach unten. Kann Helmut Dammann-Tamke Stadt?

Dammann-Tamke: Die großstädtischen Milieus sind für die CDU ein Problem, aber dazu würde ich Buxtehude nicht unbedingt zählen, auch wenn wir im Hamburger Umland sind. Im Übrigen habe ich es in den vergangenen 14,5 Jahren tunlichst vermieden, mich bei den städtischen Entscheidungen einzumischen. Ich habe ein Landtagsmandat.

Paatsch: Mir passiert bei der Vertretung der Interessen von Buxtehude und des südlichen Landkreises zu wenig. Nimmt man das TAGEBLATT, findet man öfter den Namen der SPD-Abgeordneten Petra Tiemann als Ihren. Sie hat den Südkreis engagierter vertreten als der amtierende Abgeordnete. Man findet Sie dagegen schnell wenn es um Jäger und Landwirtschaft geht.

Dammann-Tamke: Abgeordnete von regierungstragenden Fraktionen haben den direkten Zugriff auf Informationen bis in die Spitzen der Ministerien hinein. In der Opposition ist das Agieren und Gestalten schwieriger.

Welche Themen werden die Landtagswahl entscheiden?

Dammann-Tamke: Im Hamburger Umland ist die Einbruchskriminalität hoch. Wir brauchen eine Stärkung der Polizei, denn die ist hier unterbesetzt. Wir haben einen Verdichtungsschlüssel, der Großstädte bevorzugt. Wir haben im Bereich der Polizeidirektion Lüneburg aber keine niedersächsische Großstadt. Der benachbarte Stadtstaat Hamburg fällt bei dieser Betrachtung runter.

Unterrichtsversorgung und allgemein die Bildung ist ein wichtiges Thema. In Niedersachsen fällt jede zehnte Unterrichtsstunde aus, und wenn wir uns die Alterspyramide der Lehrerschaft ansehen, wird sich das Problem verschärfen.

Paatsch: Innere Sicherheit und Bildung sind die zwei zentralen Themen des Wahlkampfs. Bildung muss kostenlos sein. Da fangen wir mit der frühkindlichen Bildung an, reden über das erste und zweite Kita-Jahr. Wir reden aber auch über Ausbildungsberufe, bei denen die Auszubildenden noch Geld mitbringen müssen. Und wir reden über eine kostenfreie Meisterausbildung. Wir haben vor viereinhalb Jahren ein Bildungssystem vorgefunden, das am Boden lag. Wir haben das gescheiterte Turbo-Abitur-Experiment beendet. Niedersachsen war das letzte Land, das Studiengebühren eingeführt hat, das haben wir auch wieder rückgängig gemacht. Es gab noch nie so viele Polizisten und so viele Lehrer in Niedersachsen wie 2017. Wir haben 800 Lehrer mehr als beim Ende von Schwarz-gelb. Man darf auch nicht vergessen, dass wir über Nacht plötzlich 33 000 Schüler auf Einladung von Frau Merkel mehr im System haben.

Dammann-Tamke: Da liefern Sie der AfD Munition und die SPD war in der großen Koalition an der Entscheidung beteiligt.

Paatsch: Dazu stehen wir, aber ich fordere Sie auf, uns nicht des Versagens zu bezichtigen, weil diese Menschen jetzt da sind.

Dammann-Tamke: Die Einführung von G 8 wurde von einer SPD-geführten Landesregierung in der Kultusministerkonferenz beschlossen. Die CDU hat es später umgesetzt. Wenn ich G 9 wieder einführe, muss ich mir im Klaren sein, dass ich einen kompletten neuen Jahrgang bekomme. Wenn ich parallel dazu die Inklusion einführe und verbindlichen Nachmittagsunterricht will, dann muss ich wissen, dass ich dafür die entsprechenden Lehrerkapazitäten brauche.

Wie wollen Sie die Lehrerversorgung sicherstellen?

Dammann-Tamke: Die abstrakten Zahlen der Unterrichtsversorgung interessieren mich nicht. Wenn Lehrer krank oder in Mutterschutz sind, wird das gar nicht erfasst. Was wir brauchen, sind Verwaltungskräfte und pädagogische Hilfskräfte, damit sich die Lehrer wieder auf ihren Job konzentrieren können, das Unterrichten. Und wir müssen weg davon, dass es in erster Linie Lehrer sein müssen, die am Nachmittag unterrichten –dazu fehlen derzeit definitiv die Kapazitäten. Wir brauchen beim Thema Inklusion ein Moratorium. Wenn Eltern von Kindern mit Förderbedarf sagen, sie möchten angesichts der angespannten Situation in den Schulen, dass ihr Kind weiter an einer Förderschule unterrichtet wird, dann müssen wir den Elternwillen respektieren.

Paatsch: Das ist der falsche Weg. Man sieht in einigen Ländern, dass Inklusion wunderbar funktioniert. Zum Beispiel in den skandinavischen Ländern und Südtirol. Warum funktioniert das dort? Weil das seit über 30 Jahren gemacht wird. Die Inklusion jetzt auszusetzen, stoppt den Prozess. Wir investieren gerade in Buxtehude und anderer Orts viel Geld in unsere Schulen.

Wieso ist die SPD bei dem Thema Landwirtschaft abgetaucht?

Paatsch: Das ist tatsächlich nur in der öffentlichen Wahrnehmung so, vor Ort aber nicht. Gerade Petra Tiemann wird im Alten Land von den Obstbauern eine hohe Wertschätzung entgegengebracht. In einer Koalition gibt es eine Aufgabenteilung. Dass der Grüne Landwirtschaftsminister da präsenter ist, ist normal. Wir haben einen deutlich pragmatischeren Ansatz als die eher dogmatisch ausgerichteten Grünen und wollen zwischen Landwirtschaft und Verbrauchern vermitteln. Die CDU ist dagegen auf die Interessen der Landwirtschaft fixiert.

Dem würden Sie wahrscheinlich nicht einmal widersprechen?

Dammann-Tamke: Die Landwirtschaft und die Ernährungsbranche stellen in Niedersachsen nach der Fahrzeugindustrie den zweitwichtigsten Wirtschaftszweig dar. Das ist ein wichtiges Thema, aber wir sind keine reine Bauernpartei.

Die Tendenz dass immer mehr Betriebe aufhören, konnte keiner von Ihnen stoppen.

Dammann-Tamke: Das Ansehen der Landwirtschaft ist durch den Grünen Landwirtschaftsminister Christian Meyer beschädigt worden. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass mehr als die Hälfte der befragten Betriebe in der Elbe-Weser-Region keine Zukunft für sich sehen. Zu den genannten Gründen gehört neuerdings die mangelnde Akzeptanz. Das beginnt an den Schulen. Kinder von Landwirten werden gemobbt. Exemplarisch dafür steht, dass der Landwirtschaftsminister wieder ausgegraben hat, dass im Bier Pflanzenschutzmittel sind. Darunter Glyphosat, das laut Minister im Verdacht steht Krebs zu erregen. Der Zusatz „im Verdacht stehen“, bedient Ängste. Fakt ist, bei Alkohol steht fest, dass er krebserregend ist. Fakt ist, dass laut Bundesamt für Risikobewertung eine gesundheitliche Gefahr ab dem Konsum von 1000 Litern pro Tag beginnt. Das ist Bauernbashing.

Paatsch: Das Bauernbashing kommt weitgehend aus dem urbanen Raum. Ich habe viele junge Landwirte kennengelernt, die mit Liebe und Leidenschaft dabei sind, und wer das so handhabt, macht seinen Job in der Regel gut. Die müssen unterstützt werden und Wertschätzung erfahren. Da sind wir auf einer Linie.

Thema Wolf. Wie mit der Rückkehr umgehen?

Paatsch: Das Thema Wolf wird emotional diskutiert. Es ist schwer, da mit Argumenten durchzudringend. Für den Menschen ist der Wolf keine Gefahr. Es gab seit 1951 30 Wolfstote, davon 17 allein in Sibirien. Es kommen mehr Menschen durch Kühe als durch den Wolf um. Wichtig ist, dass betroffene Nutztierhalter schnell entschädigt werden. Das jetzige Verfahren ist zu langwierig. Das zweite Thema ist, wie wir mit Wölfen umgehen, die sich nicht arttypisch verhalten. Um den Problemwolf Kurti schießen zu können, mussten über 20 Genehmigungen eingeholt werden. Das ist zu aufwendig.

Dammann-Tamke: Unser Lebensraum ist für den Wolf geeignet. Die Population verdoppelt sich alle drei Jahre und die Konflikte werden zunehmen. Es wird immer mehr Nahbegegnungen zwischen Wolf und Mensch geben. Wir müssen einen vernünftigen Weg zwischen dem Artenschutz und der Akzeptanz in der Bevölkerung finden. Parteien am rechten Rand bedienen sich schon dieses Themas. Ich habe mit Wohlwollen festgestellt, dass sich die SPD in dieser Frage deutlich bewegt und unsere Forderungen übernommen hat.

Ist der Wolf für den Menschen eine Gefahr?

Dammann-Tamke: Der Wolf ist ein intelligentes Tier. Wenn wir ihm weiterhin nur mit friedlicher Koexistenz begegnen, wird der Wolf den Wildschweinen in Berlin bis auf den Alexanderplatz folgen. Wenn er keine Angst vor dem Menschen hat, gibt es keinen Grund, das nicht zu tun. Spätestens dann gibt es einen Aufschrei, und das hilft niemandem.

Was für Mehrheitsoptionen wird es nach der Wahl geben?

Dammann-Tamke: Kein Grüner Landesverband ist so fundamentalistisch aufgestellt wie der niedersächsische. Die Fundis haben auch Elke Twesten aus der Partei gedrängt. Mit diesen Grünen dürfte ein Zusammenkommen in Themenbereichen wie der Infrastruktur und der Landwirtschaft fast unmöglich sein. Ich schließe aber keine Koalition aus. Ich schließe aber eins aus: Es wird keinen Grünen Landwirtschaftsminister in einer CDU geführten Regierung geben. Bündnisse mit der AfD und den Linken sind ebenfalls tabu.

Paatsch: Zu Twesten. Listenaufstellung ist ein kompliziertes Thema. Sie sind auch nicht über die Liste abgesichert und trotzdem nicht aus der CDU ausgetreten.

Damman-Tamke: …war ich noch nie.

Paatsch: Wenn jemand nicht den Listenplatz bekommt, den er sich wünscht, ist das kein Grund, die Partei zu wechseln.

Dammann-Tamke: Das Verhalten von Elke Twesten ist auch aus meiner Sicht grenzwertig. Wenn ich in die Entscheidung eingebunden gewesen wäre, hätte ich den Rat geben, dass Elke Twesten gerne ihre Fraktion verlassen kann, sich dann aber als Fraktionslose in die letzte Reihe des Parlaments setzt. Da hätte sie ihre Inhalte kommunizieren können, und das wäre auch für die CDU besser gewesen. Sie ist auf uns zugegangen und wir haben ihr leider nicht gesagt, wir wollen dich – auch in deinem eigenen Interesse – erst einmal gar nicht. Stephan Weil hat diese Vorlage des kompletten Seitenwechsels geschickt genutzt, um sich in eine Opferrolle zu bringen.

Paatsch: Ich habe auch Kontakte zur CDU und da ist man über das „Geschenk“ von Twesten auch nicht glücklich. Es gibt aber die Aussagen von Twesten von einem unmoralischen Angebot und von Mandaten auf Europa- und Bundestagsebene. Entweder ist die Frau extrem instinktlos oder es gab Angebote. Das Thema Koalitonsmöglichkeiten: Wir schließen nur die AfD aus. Die Linken sind keine Ex-Kommunisten, mit denen ist eine Zusammenarbeit möglich. Das sind oft ehemalige Jusos mit einer sehr idealistischen Weltsicht und Gewerkschaftler.

Weil Sie beide nicht auf der Liste abgesichert sind, ist das eine theoretische Frage. Könnten Sie miteinander koalieren?

Paatsch: Ich schätze Herrn Dammann-Tamke, weil er sich engagiert, auch wenn eine bestimmte Klientel wie die Bauern und die Jäger im Fokus stehen. Er ist ein angenehmer Zeitgenosse, menschlich habe ich überhaupt keine Probleme mit ihm.

Dammann-Tamke: Das Kompliment kann ich zurückgeben und ein agrarpolitischer Sprecher freut sich über so viel Anerkennung.

Helmut Dammann-Tamke (55, CDU) aus Ohrensen ist seit 2003 Mitglied des Landtags und aktuell agrarpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er konnte den Wahlkreis Buxtehude dreimal direkt gewinnen. Der dreifache Familienvater ist diplomierten Argar-Ingenieur und seit 2008 Präsident der Landesjägerschaft in Niedersachsen. Seit 1986 sitzt er außerdem im Gemeinderat Bargstedt und ist seit 1992 Mitglied des Kreistages und dort seit 2011 Vorsitzender der CDU-Fraktion.

Alexander Paatsch (48, SPD) stammt aus Berlin. Er ist geschieden und alleinerziehender Vater eines 15-jährigen Sohnes. Nach seinem Studium der Luft- und Raumfahrtechnik in Berlin und Moskau hat er in verschiedenen technischen Beratungsfirmen gearbeitet, zuletzt als Bereichsleiter für eine Unternehmensberatung. Seit 2010 ist er Angestellter im gehobenen Dienst der Bundesagentur für Arbeit. Er ist Gewerkschafter und Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Buxtehude.

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