Rocker-Clubs streiten offenbar nicht vor Gericht
Die Staatsmacht vor dem Landgericht in Stade: Das Drumherum ist spektakulärer als der Prozess. Foto Stephan
Es ist ein ungewöhnlicher Prozess: Da werden drei Männer bei einer öffentlichen Veranstaltung krankenhausreif geprügelt, und am Ende will niemand etwas gesehen haben – auch nicht die Opfer.
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Vor Gericht schweigen sie ebenso wie die Angeklagten. Die Erklärung dafür: Alle Beteiligten werden Rocker-Clubs zugerechnet, und die vertrauen gemeinhin der Staatsmacht nicht.
Es war am Donnerstagmorgen einer der vielen Verhandlungstage im sogenannten Rockerprozess vor dem Stader Landgericht. Wieder einmal schirmte die Polizei mit 20 Einsatzwagen und zahlreichen Polizisten das Landgerichtsgebäude ab. Offenbar wollten die Beamten ein Zusammentreffen der Protagonisten vermeiden – auf der einen Seite auf der Anklagebank Mitglieder des Motorradclubs „Mongols MC“ und als Opfer drei Mitglieder von „Gremium“.
Die Tat ist hinlänglich bekannt: Bei einem Bikerfest in Freiburg wurden die drei Gremium-Mitglieder im September vergangenen Jahres so attackiert, dass sie alle im Krankenhaus landeten, einer war lebensgefährlich verletzt.
Das ist so ziemlich der einzige Sachverhalt, der feststeht. Die wegen Totschlags angeklagten Männer schweigen vor Gericht, die bisher befragten Zeugen haben auch nicht sehr viel Erhellendes berichten können, so dass die Aussage der Opfer am Donnerstag mit Spannung erwartet wurde.
Doch schon bei der ersten Befragung war klar, dass auch dies nichts bringen wird, denn alle drei Opfer berufen sich auf den Paragrafen 55 in der Strafprozessordnung und nehmen ihr Auskunftsverweigerungsrecht in Anspruch, vorwiegend mit der Begründung, dass sie sich mit ihrer Aussage möglicherweise selbst belasten würden. Der Kammervorsitzende Matthias Bähre gewährte ihnen dieses Recht, so dass sie nur Aussagen zur Schwere ihrer Verletzung machen mussten. Im Kern wurde bestätigt, was zuvor auch im TAGEBLATT stand: Es gab einen Messerstich in den Oberschenkel, viele Schläge auf Kopf und Körper. Eines der Opfer landete auf der Intensivstation. Gegenüber einem Polizisten soll es von einem der Geschlagenen die Aussage gegeben haben, dass bei den tumultartigen Szenen keine Person erkannt wurde und zu den Tätern keine Aussagen gemacht werden können. Allerdings liegt diese Polizei-Aussage dem Gericht nicht schriftlich vor. Die Staatsanwaltschaft hat die drei Geschädigten nicht vernommen, was die sechs Verteidiger scharf kritisieren. Freilich: Schon im Vorfeld der Verhandlung hatten zwei der Gremium-Opfer im TAGEBLATT-Interview deutlich gemacht, dass sie nicht mit den Ermittlungsbehörden kooperieren wollen, weil sie sich von denen verfolgt fühlen.
Warum Polizei und Staatsanwaltschaft vor vier Wochen die „Symphonie“, den Sitz des Rocker-Clubs in Stade, durchsucht haben, ist nicht bekannt, für deren Mitglieder aber ein Indiz mehr, um von einer Verfolgung zu reden. Für Prozess-Beobachter interessant: Mit der Inanspruchnahme des Paragraf 55 könnte der Tathergang bei dem Bikerfest eine Wendung bekommen. Bisher sah es nach einem „Rollkommando“ aus, jetzt könnte vermutet werden, dass auch die Geschlagenen an dem Geschehen mehr als nur als Opfer beteiligt waren – mit was sollten sie sich sonst belasten?
22 Verhandlungstage sind in diesem Prozess noch bis Mitte Januar angesetzt. Am Ende könnte es eine Erkenntnis geben, die schon jetzt absehbar ist: Die Rocker-Clubs tragen ihren Streit nicht vor Gericht aus – schon gar nicht mit Hilfe von Polizei und Justiz.
Derlei Fehden werden anders geregelt – siehe die Tat in Freiburg.