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Interview

Schauspielerin Victoria Trauttmansdorff: „Mich interessiert das Abgründige“

Hat einen Stammplatz am Thalia Theater: Victoria Trauttmansdorff. Foto: imago images/Sven Simon

Hat einen Stammplatz am Thalia Theater: Victoria Trauttmansdorff. Foto: imago images/Sven Simon

Corona brachte für die Schauspielerin Victoria Trauttmansdorff nicht nur Herausforderungen. Sie kann die Entschleunigung der vergangenen Wochen auch genießen, zum Beispiel mit viel Zeit und Nähe für ihre Mutter.

Sonntag, 02.08.2020, 18:30 Uhr

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Oder eben für ein langes und sehr persönliches Interview mit Manfred Ertel, das für sie viel zu schnell vorbei war.

TAGEBLATT: Wann haben Sie eigentlich das letzte Mal „Reis Trauttmansdorff“ gegessen?

Victoria Trauttmansdorff: Ach, als Kind, glaube ich. Das war bei uns so eine Art Notspeise. Wenn am Sonntag nichts im Haus war, dann hat meine Mutter den gemacht und uns vorher in die Konditorei um die Ecke geschickt, um Himbeersaft zu holen. Den braucht man dazu. Aber für viele ist das eigentlich ein etwas ekliger Reispudding und nichts, was moderne Menschen heute gerne essen.

Welche Rolle spielt die Adels-Geschichte Ihrer Familie für Sie heute überhaupt noch?

Ich bin sehr in dem Bewusstsein dieser Geschichte aufgewachsen. Das bleibt einfach haften, aber nicht dass ich täglich stundenlang drüber lese. Mein Vater hat sich noch sehr mit der Geschichte der Familie identifiziert, der fuhr zum Beispiel nach Münster oder Osnabrück, wo die Verträge des 30-jährigen Krieges unterzeichnet wurden. Da gab es frühere Antiquitätenhändler mit alten Stichen und Porträts, auf denen die Trauttmansdorffs drauf waren, wie zum Beispiel Maximillian von und zu Trauttmansdorff, der als diplomatischer Unterhändler Österreichs dabei war. So was mache ich nicht (lacht). Aber irgendwie bin auch stolz auf die Familie, die ja alles Diplomaten waren und nie Krieger.

Wie sind Sie bei der Familiengeschichte und Ihren vielen Fremdsprachen auf die Idee gekommen ans Theater zu wollen?

Ich hatte immer so eine komische Sehnsucht nach dem Theater. Meine Eltern waren sehr offene Menschen mit vielen Freunden, ihr Haus war immer offen und sie waren sehr beeindruckt von Schauspielern. Meine Mutter hatte auch Schauspiel studiert, musste aber als sie meinen Vater heiratete versprechen, nie wieder eine Bühne zu betreten. Für meinen Großvater war das ein wichtiger Akt. Aber in meiner Familie gab’s diese Einschränkungen nicht. Ich war nach dem Abitur bei einer befreundeten jüdischen Familie in London, die Eltern einer guten Schulfreundin, die jeden Freitag gesungen und Texte gelesen hat, und habe dort den österreichischen Maler, Dichter und Sänger Arik Brauer getroffen, der den frühen Austro-Pop geprägt hat. Der hat eines Tages zu mir gesagt: Du musst Schauspielerin werden. Das ist dann irgendwie in mir gewachsen. Nach dem Abitur habe ich mir viele Theater angeschaut und dann habe ich es probiert.

Was bedeutet nach Ihren vielen Lebensstationen Heimat für Sie?

Das ist eine sehr gute Frage (lacht). Ich bin schon Österreicherin. Ich bin da meinem Vater sehr ähnlich, die Identifikation mit einem Land ist schon die zu Österreich. Aber das ist natürlich zugleich eine Migrantenillusion. Ich lebe seit fast 40 Jahren in Deutschland, und bin jetzt mehr Hamburgerin als Wienerin. Hier habe ich meine Kinder großgezogen. Hier arbeite ich an einem tollen Theater, hier habe ich meinen Mann. Aber im Hinterkopf denke ich manchmal: Irgendwann gehe ich zurück nach Hause.

Was hat Sie nach Hamburg verschlagen?

Die Familie. Ich hatte in Stuttgart meinen Mann Wolf-Dietrich Sprenger kennengelernt, der war damals am Thalia Theater ein sehr renommierter Schauspieler und Regisseur. Dann hat Jürgen Flimm mich gesehen und gefragt, ob ich nicht auch kommen will. Der hat so eine Art Familienzusammenführung gemacht. Vielleicht wollte er auch nur meinen Mann nicht verlieren, aber so hat das angefangen. Der Anfang war dann etwas schwierig. Ich kam ja vergleichsweise aus der Provinz und traf hier diese ganzen fantastischen Schauspieler. Das hat mich ein bisschen eingeschüchtert. Aber ich habe hier am Theater auch am meisten gelernt, indem ich einfach den großartigen Kolleginnen zugeschaut habe. Die Flimm-Jahre waren fast so etwas wie Lehrjahre, das war eine ganz andere Art Theater zu spielen.

Wie groß ist eigentlich Ihr Corona-Koller?

Ich habe überhaupt keinen Koller. Ich habe noch gedreht, als Corona losging. Dann haben mein Mann und ich in der ZDF-Comedyserie „Drinnen – Im Internet sind alle gleich“ gespielt, über die Auswirkungen von Corona auf unseren Alltag, da war ich beschäftigt. Dann habe ich mit meiner Freundin und Kollegin Theresita Lieben-Seutter die Aktion „Bei Anruf Kunst“ organisiert, um freiberufliche Schauspieler zu unterstützen, weil Corona für die eine totale Katastrophe ist. Prominente Kollegen haben Spender zu Hause angerufen und ihnen vorgelesen. Das war großer organisatorischer Aufwand, dafür haben wir irrsinnig viel gearbeitet aber immerhin rund 16 000 Euro für das Ensemble-Netzwerk gesammelt. Ich habe inzwischen auch schon wieder geprobt, ich hatte keine Zeit für einen Koller.

Sie spielen oft mysteriöse oder geheimnisvolle Frauenfiguren. Sind Sie ein schwer durchschaubarer Mensch?

Ich glaube überhaupt nicht (lacht). Man kann das ja selber schwer beurteilen, aber ich würde von mir selber sagen, dass ich eher unkompliziert bin. Mein Mann würde wahrscheinlich das Gegenteil sagen (lacht).

Sie haben aufgrund der Filmfiguren, die Sie oft spielen, mal gesagt, Sie müssten etwas Verschlagenes ausstrahlen. Wie meinten Sie das?

Ich glaube, ich strahle irgendwas aus, was mir selbst gar nicht bewusst ist. Ich denke immer, ich bin die Ehrliche, die Gerade. Aber irgendwie komme ich so nicht rüber (lacht), keine Ahnung. Andererseits finde ich die komplizierten Rollen und Charaktere auch besonders interessant, nicht immer nur die guten und lieben Menschen. Mich hat immer mehr das Abgründige interessiert, weil ich das interessanter fand.

Nervt so ein „Stempel“ manchmal oder ist das eine Art spezielles Gütesiegel?

Ich find’s total nervend. Jetzt ändert sich das gerade komplett. Aber ich habe eine Zeit lang nur noch diese Psycho-Frauen gespielt. Dabei will ein Schauspieler doch gerne verschiedene Charaktere spielen. Ich bin gern die toughe Geschäftsfrau, die freundliche, bisschen frustrierte Bäuerin, die leidende Mutter oder die Königin, die alle verflucht. Stempel und Klischees schränken ein, sie legen Schauspieler so lahm und nehmen ihnen die Freiheiten und Wildheit.

Nach schwerer Krankheit haben Sie vor vielen Jahren gesagt: Keine Mädchenrollen mehr und keine romantischen Rollen. Warum eigentlich?

Ich glaube, das war auch ein bisschen leicht daher gesagt. Aber es gab schon so ein Gefühl, dass ich vor meiner Krankheit vielleicht auch einer Idee nachgelaufen bin, wie ich zu sein hätte. Ich bin schließlich in großbürgerlichen Konventionen aufgewachsen, in einer Welt, die vielleicht bunter war als bei vielen anderen, aber schon sehr verhaftet in einer Schicht, die es jetzt kaum noch gibt. Meine Krankheit war auch ein bisschen wie eine Befreiung, dass ich dachte: Ich muss nichts, ich bin. Ich hatte in diese Welt nie ganz reingepasst und mich immer nach was anderem gesehnt. Und hatte jetzt das Gefühl, egal was andere von mir denken, ich will jetzt erst mal mich spüren.

Sie gehören zu den dienstältesten Mitgliedern des Ensembles. Warum sind Sie nie der Versuchung erlegen, irgendwo neue Herausforderungen zu suchen?

Gute Frage: Ich hatte 2009 eine richtig große Möglichkeit, mit Intendant Ulrich Khuon zum Deutschen Theater nach Berlin zu gehen. Und hatte auch jetzt wieder Anfragen. Aber mir war immer die Familie das Wichtigste. Karriere war super, kam aber immer an zweiter Stelle in meinem Leben. Als Khuon mich fragte, war meine Kleine 16 Jahre alt, und ich dachte, was für ein Blödsinn, nach Berlin zu ziehen und entweder die Tochter kurz vor dem Abi zu verpflanzen oder die letzten Jahre dieses wertvollen Abschnitts nicht mehr mitzuerleben.

Haben Sie das jemals bereut?

Nein, das Thalia ist schon die große Stringenz in meinem Leben. Erst war es mehr ein Zufall, wie ich hingekommen bin, dann bin ich geblieben und geblieben. Es kamen neue und gute Intendanten, ich habe mich immer wohlgefühlt. Wir haben ein ganz tolles Ensemble. Aber ich hatte immer diese Sehnsucht nach ein bisschen Freiheit, deshalb war das Drehen von Vorteil. Drehen und Theaterspielen, diese Kombi ist eigentlich wie die Königsklasse für einen Schauspieler. Du kommst raus, du bist nicht dein ganzes Leben auf dunklen Probenbühnen, du lernst neue Leute kennen. Und du hast das Stammhaus, wo du hingehörst, wo du praktisch deine Familie hast. Das ist das Thalia.

Bislang ist kaum absehbar, wann ein normaler Theaterbetrieb mit Aufführungen vor vollen Häusern wieder möglich ist. Thalia hofft auf einen Wiederbeginn Ende August. Verlieren Sie manchmal die Geduld?

Ich werde nicht nervös. Wir erleben mit der Pandemie gerade so etwas wie einen historischen Moment. Wir müssen abwarten, vorsichtig sein und überprüfen, was geht. Und schauen, dass so viele Menschen wie möglich gesund bleiben, da bin ich ganz realistisch. Aber ich habe natürlich einen unglaublichen Vorteil: Ich bin fest engagiert und ich drehe schon wieder, das geht inzwischen ja unter bestimmten Bedingungen. Ich drehe zum Beispiel mit Axel Milberg im Kieler „Tatort“. Da spiele ich seine Haushälterin, die als neue Rolle da eingeführt wird. Oder eine Komödie in München. Ich bin im Moment ausgelastet.

Bitte ergänzen Sie ...

Mein Lieblingsplatz in Hamburg ... ist der Elbstrand, je weiter man rauskommt nach Rissen desto lieber.

An Hamburg stört mich am meisten ..., dass es zu wenig Caféhäuser mit Zeitungen gibt.

Wenn ich mich im Fernsehen sehe ... denke ich immer, warum rolle ich so oft mit den Augen.

Unter der Regie meines Mannes zu spielen ... kann ich mir jetzt wieder vorstellen. Aber ich habe schon eine Pause gebraucht. Das hat wahrscheinlich unsere Ehe gerettet, dass wir nicht zusammen gearbeitet haben. Denn das ist schon eine ziemliche Herausforderung.

Mein bester Charakterzug ist ... dass ich gut lieben kann.

Mein unangenehmster ist ... dass ich so leicht manisch werde und zum Beispiel manchmal nicht von einem Thema runterkomme.

Zur Person

Victoria Trauttmansdorff (59) ist in Wien geboren und hat dort ihr Abitur gemacht und hat Schauspiel in Salzburg studiert. Nach Engagements in Düsseldorf, Mannheim und Stuttgart holte sie Intendant Jürgen Flimm 1993 ans Hamburger Thalia Theater. Seit vielen Jahren zählt die Schauspielerin zu den prominenten Gesichtern des Ensembles. Parallel ist sie Stammgast in Film und Fernsehen, zuletzt zum Beispiel in der aktuellen ZDF-Reihe „Nord Nord Mord“, im „Tatort“ oder in der Krimi-Reihe „Der Pass“. 2007 war sie als prügelnde Ehefrau neben Matthias Brandt in „Gegenüber“ als beste Hauptdarstellerin für den Deutschen Filmpreis nominiert.

Trauttmansdorff ist mit dem Regisseur und Schauspieler Wolf-Dietrich Sprenger verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Sie lebt im Hamburger Stadtteil Uhlenhorst.

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