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Biografie

So lebte Helmut Schmidt 90 Jahre Leidenschaft am Klavier

Helmut Schmidt bezeichnete sich selbst stets als einen laienhaften Klavierspieler. Foto: Körber-Archiv

Helmut Schmidt bezeichnete sich selbst stets als einen laienhaften Klavierspieler. Foto: Körber-Archiv

Die Musikliebe Helmut Schmidts (1918-2015) mag bekannt sein. Doch nie wurde sie so ausführlich und nachvollziehbar beschrieben wie von Reiner Lehberger. In seinem Buch „Helmut Schmidt am Klavier“ schildert er, wie Schmidt zum Klavier spielen kam.

Von Markus Lorenz Dienstag, 16.11.2021, 12:00 Uhr

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Der Biograf erzählt auf 300 Seiten, wie Schmidt durch alle Lebenswirren daran festhielt und warum das so war. „Nichts“, sagt der Autor, „hat Helmut Schmidt so lange gemacht wie Klavier spielen – fast 90 Jahre.“

Der Leser erfährt: Mit sieben erhält der Steppke ersten Unterricht, als Sextaner spielt er erstmals öffentlich vor – Schumann in der Musikhalle.

In Archiven stieß Lehberger auf Mietverträge für Leihklaviere. Als das erste 1943 bei einem Bombenangriff in Hamburg zerstört wird, mietet sich der Musikliebhaber ein zweites. Auch nimmt der junge Leutnant in Berlin regelmäßig Orgelunterricht. „Wenn sich jemand im Krieg so der Musik zuwendet“, schlussfolgert Lehberger, „dann hat das für ihn offenbar eine hohe Bedeutung.“

Regelmäßige Hauskonzerte

Und dabei blieb es. Auch, als sich der aufstrebende Politiker auf den Karriereweg begab. So gesehen ein Glücksfall, dass im Bonner Kanzler-Bungalow ein Schiedmayer-Flügel zum Inventar gehörte. Helmut und Loki Schmidt luden in den Kanzlerjahren (1974-1982) regelmäßig zu Hauskonzerten ins Palais Schaumburg, mit teils hochkarätigen Virtuosen klassischer Musik, darunter Yehudi Menuhin.

Auch dem letzten Deutschen wurde die Leidenschaft ihres Regierungschefs für die Tastenkunst klar, als dieser 1981 in London eine professionelle Tonaufnahme eines Mozartkonzerts einspielte. Schmidt übernahm das dritte Klavier, die anderen beiden spielten Justus Frantz und Christoph Eschenbach.

Weitere zwei Schallplattenaufnahmen folgten, auch mit Schmidts Lieblingskomponisten J.S. Bach. Warum strebte er mit seinem Hobby derart in die Öffentlichkeit? „Er wollte seine Kunstliebe zeigen“, vermutet Lehberger. Dem Image des unterkühlten Pragmatikers etwas entgegen setzen.

Nach langem Kanzlertag saß Schmidt am Flügel

Was bedeutete Helmut Schmidt die Klaviermusik und das eigene Spiel? „Für ihn war das ein außerordentliches Kraftzentrum, eine lebenslange Bereicherung und Balsam für die Seele“, sagt der Buchautor. Wenn der Kanzlerarbeitstag nach 14, 15 Stunden zu Ende ging, habe sich der Politiker in Bonn fast jeden Abend an den Flügel gesetzt. Auch und gerade in den so belastenden Monaten des deutschen Herbstes 1977, mit „Lufthansa“-Entführung und Schleyer-Ermordung.

Hätte aus dem Vollblutpolitiker auch ein Profi-Musiker werden können? „Er war kein verkanntes Musikgenie, aber er hatte Potenzial“, glaubt Lehberger. Justus Frantz urteilte über das Können seines Freundes: „Wenn er sich richtig konzentrierte, konnte er am Flügel Dinge schaffen, die anderen nicht gelangen.“

Und Schmidt selbst? Der übte sich in hanseatischer Bescheidenheit, sprach von sich als einem „laienhaften Klavier- und Orgelspieler“. 1987, Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Kanzleramt, kaufte sich Helmut Schmidt einen Steinway-Flügel – für 45 000 Mark –, der noch heute im Wohnzimmer der heimischen Doppelhaushälfte in Langenhorn die Blicke der Besucher auf sich zieht. Dort, berichtet Reiner Lehberger, habe der greise Mann bis kurz vor seinem Tod im Jahr 2015 noch regelmäßig gespielt –- „obwohl er da schon nicht mehr hören konnte“.

Das Buch

Reiner Lehberger: Helmut Schmidt am Klavier. 336 Seiten, Hoffmann und Campe, 24 Euro; ISBN: 978-3-455-01225-5.

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