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Gottlieb Wilhelm Freudentheil

Stade widmet sich einem besonderen Bürger

Ein großer Politiker und Demokrat und seine Bücherschätze rückt das Staatsarchiv zum Tag der Archive in den Mittelpunkt: (von links) Dr. Thomas Bardelle, Dr. Gudrun Fiedler und Dr. Beate Fiedler. Foto Klempow

Ein großer Politiker und Demokrat und seine Bücherschätze rückt das Staatsarchiv zum Tag der Archive in den Mittelpunkt: (von links) Dr. Thomas Bardelle, Dr. Gudrun Fiedler und Dr. Beate Fiedler. Foto Klempow

Zum Tag der Archive stellt das Landesarchiv Stade Gottlieb Wilhelm Freudentheil in den Mittelpunkt. Der Jurist gilt als Vater des modernen Anwaltsstandes.

Von Grit Klempow Donnerstag, 01.03.2018, 08:00 Uhr

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Dieser Mann hat Geschichte geschrieben. Gottlieb Wilhelm Freudentheil reiste zum König, um ihm die deutsche Kaiserkrone anzubieten. Er war ein liberaler Demokrat und der erste Abgeordnete, der in der Nationalversammlung einen Antrag stellte. Der charismatische Stader Jurist hat tiefe Spuren hinterlassen. Zum Tag der Archive erinnert das Landesarchiv Stade an ihn.

Wer sonst könnte besser im Mittelpunkt stehen, wenn es um „Demokratie und Bürgerrechte“ geht? Das Motto des landesweiten Tags der Archive scheint wie auf Dr. Gottlieb Wilhelm Freudentheil zugeschnitten. Der Stader Ehrenbürger, wortgewandte Redner und überzeugte Demokrat war im 19. Jahrhundert „als Politiker eine echte Nummer“, sagt Dr. Thomas Bardelle, stellvertretender Archivleiter. Mit einer Ausstellung will das Archiv den Bürgerrechtler in den Vordergrund rücken. „Außerdem zeigen wir einen ganz besonderen Schatz“, sagt Bardelle. Einige Bände aus der Freudentheil-Bibliothek werden im Lesesaal zugänglich sein. Wer sich weiße Baumwollhandschuhe überstreift, darf durchaus darin blättern.

Die Freudentheil-Bibliothek ist „schön, groß – und in prekärem Zustand“, erläutert Bardelle. Deshalb werden die 4000 Bände im Magazin verwahrt, zur Nutzung freigegeben sind sie nicht. Zu sehr haben sie unter der falschen Lagerung in feuchten Räumen gelitten. Dr. Emil Freudentheil hatte den Bücherschatz seines Vaters der Stadt Stade vermacht. 1910 wurde die Bibliothek in den Keller des Rathauses gebracht, 1926 wurden die Bände an das Landgericht Stade übergeben, zum großen Teil sind es juristische Fachbücher. Sie stammen aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. In mehr als 60 Bänden sind knapp 1700 juristische Dissertationen gebunden. Erst seit 1968 wird die Freudentheil-Bibliothek im Staatsarchiv verwahrt. Die historischen Bände zu restaurieren, scheiterte bisher an den Kosten. „Dabei wäre die Bibliothek für Juristen sicher eine Fundgrube.“

Die 4000 Bände spiegeln nicht nur das Wirken als Anwalt wider, sondern auch, woran Freudentheil außerdem Interesse hatte. „Er war tiefreligiös, humanistische Bildung war ihm wichtig, er besuchte auch philosophische und historische Vorlesungen und schrieb Gedichte“, weiß Dr. Beate Fiedler, die zum Tag der Archive eine kleine Ausstellung zum Leben des überzeugten Demokraten zusammenstellt.

Schon sehr jung, fünf Jahre nach seinem Jura-Studium in Göttingen, wurde er 1819 in Stade zum Bürgerworthalter bestimmt. Damit war er das Sprachrohr der Bürgerschaft gegenüber dem Rat. „Sein Ziel war die Volkssouveränität“, erklärt Fiedler. Anfang 1831 wurde er Abgeordneter in der Hannoverschen Ständeversammlung. Ihm wird ein großer Anteil an der Fassung des 1833 publizierten liberalen Staatsgrundgesetzes zugeschrieben. Er kämpfte für die Pressefreiheit, musste Schikanen der Regierung hinnehmen. Zusammen mit den Mitstreitern Holtermann und Wyneken brachte er 1846 umfassende Reformvorschläge in die Ständeversammlung ein. Zeitgleich widmete er sich der Erneuerung seines Berufsstandes und gilt seither „als Vater des modernen Anwaltsstandes“.

Auch politisch habe er „die Zeichen der Zeit erkannt“, sagt Fiedler. Zur Zeit der März-Revolution von 1848 formulierte er eine Eingabe, die von 99 weiteren Bürgern unterzeichnet wurde. Zu den Forderungen gehörten Pressefreiheit, eine militärische Organisation des Volkes und eine deutsche „Volkskammer“. In der Nationalversammlung in Frankfurt gehörte er zum linken Zentrum und vertrat den Stader Bezirk. „Den ersten Antrag in der Nationalversammlung stellte der Stader Freudentheil“, betont Fiedler. Denn er unterbrach den Alterspräsidenten bei der Eröffnung mit dem Hinweis, die Versammlung müsse sich zunächst konstituieren. Schließlich gehörte er zur Gesandtschaft, die nach Berlin reiste, um Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone anzubieten, die dieser ablehnte. Im Mai 1849 war der Bürgerrechtler Freudentheil wieder zurück in Stade. 1864 wurde ihm, 50 Jahre nach seiner Promotion, die Ehrenbürgerwürde verliehen.

Gelebt und gearbeitet hat Freudentheil übrigens seit 1822 am Wasser West in Stade, in seinem Haus, das heute noch als Goebenhaus bekannt ist. Bemerkenswert: Auch August Karl von Goeben, der in Stade geboren wurde, hatte mit der März-Revolution zu tun, allerdings auf der Gegenseite. Er war Mitglied des Generalstabs des Prinzen von Preußen beim Badischen Feldzug, dessen Ziel die Niederschlagung der Revolution war.

Das Niedersächsische Landesarchiv, Am Staatsarchiv 1, öffnet am Sonnabend, 3. März, von 10 bis 16 Uhr. Zu sehen ist die Ausstellung „Gottlieb Wilhelm Freudentheil und sein Beitrag für Demokratie und Bürgerrechte“ mit Archivalien zu Freudentheil und seiner Bibliothek. Es gibt eine Sprechstunde zur Begutachtung von Schriftstücken, zu Lesehilfen und Forschungsanfragen, eine Einführung in die Archivrecherche mit dem Archivinformationssystem Arcinsys, außerdem Einblicke in Buchbindetechniken und Führungen durch das Archiv, jeweils um 10.30, 12.30, 13.30 und um 15.30 Uhr, und durch die Dienstbibliothek (um 11.30 und 14.30 Uhr).

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