Sturmschäden: „Zeynep“ kostet Versicherer über 900 Millionen Euro

Die Trapezbleche der Dachkonstruktion an der BBS in Stade sind vom Sturm abgetragen worden. Foto: Vasel
Mehr als 500 Einsätze verzeichneten Polizei und Feuerwehren im Kreis Stade. Das Ausmaß der Schäden zeigte sich bei den Aufräumarbeiten. Am schwersten traf der schlimmste Sturm seit 15 Jahren die Berufsbildenden Schulen I in Stade.
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Um 17 Uhr am Sonnabend wurde in der örtlichen Einsatzzentrale der Feuerwehr Stade das Licht ausgemacht. Die Einsatzkräfte kehrten nach ihrem 24-stündigen Bereitschaftsdienst zu ihren Familien zurück. Zuvor waren sie im Dauereinsatz gefordert.
Die Bilanz der Sturmnacht: Über 500 Mal rückten allein die 92 Ortsfeuerwehren im Kreis von Freitag, 19 Uhr, bis zum späten Sonnabendnachmittag, 17 Uhr, aus, um Schäden oder Behinderungen zu beseitigen, die Orkan „Zeynep“ angerichtet hat, oder um bei der Sturmflut an den Elbdeichen zu helfen. Zusammen mit der Polizei im Landkreis dürfte sich die Einsatzbilanz auf gut 800 Alarmierungen erhöhen.
Landkreis warnt vor dem Betreten von Wäldern
Die erste Entwarnung war am Morgen erfolgt. Zwar hat das Orkantief erhebliche Sachschäden angerichtet, doch Landrat Kai Seefried war am glücklich darüber, „dass bei uns keine Menschen zu Schaden gekommen sind“. Er dankte allen Kräften für ihren verantwortungsvollen Einsatz.
Die Freiwilligen Feuerwehren im Kreis hatten vor allem mit umgekippten Bäumen auf Straßen, Wegen und Häusern sowie herunterfallenden Dachziegeln zu tun. In Buxtehude etwa blockierte ein Baum die viel befahrene Hansestraße. Auf der B 73 stürzte ein Baum unmittelbar neben einem Einsatzfahrzeug der Feuerwehr Stade auf die Straße. Die Einsatzkräfte waren gerade dabei einen weiteren Baum, der zu kippen drohte, zu sichern.
Noch am bis zum Sonnabendnachmittag waren die Einsatzkräfte unterwegs, denn immer wieder drohten beim Sturm geschädigte Bäume umzufallen oder auseinander zu brechen, an der B 73 (Thuner Straße) hing eine Ampel nur noch auf halb acht.
Weil zahlreiche Bäume beschädigt sind, warnt der Landkreis ausdrücklich vor dem Betreten von Wäldern.
Schadensmathematiker: Intensivster Sturm seit 15 Jahren
Die Polizei schätzt die entstandene Schadenssumme im Kreis auf mehrere Hunderttausend Euro.
Nach einer ersten Schätzung wurden bundesweit Schäden von über 900 Millionen Euro verursacht. Der Sturm sei der intensivste seit „Kyrill“ im Jahr 2007 gewesen, teilte die auf Versicherungsmathematik spezialisierte Unternehmensberatung Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) mit. „Für Deutschland gehen wir von versicherten Schäden von über 900 Millionen Euro aus“, sagte MSK-Geschäftsführer Onnen Siems. Die versicherten Schäden des vorangegangenen Sturms „Ylenia“ hatte das Unternehmen bereits auf 500 Millionen Euro geschätzt.
Versicherte Schäden sind ausschließlich die Schäden, die am Ende auch von einem Versicherer übernommen werden. Die Gesamtschäden sind bei Stürmen und anderen Naturkatastrophen in aller Regel höher, zum Teil ganz erheblich.
Dach der BBS in Stade schwer beschädigt
Die Schäden wurden im Laufe des Vormittags deutlich. An den kreiseigenen Berufsbildenden Schulen I, Jobelmannschule, in der Glückstädter Straße in Stade hat der Sturm das Dach eines Schultrakts auf 1500 Quadratmetern großflächig abgedeckt. Die umherfliegenden Trapezbleche haben auch die darunter liegenden Ausbildungsräume sowie Nebengebäude der Schule beschädigt. Menschen wurden in der Nacht dabei nicht verletzt. Über die Schadenshöhe konnte am Sonnabend noch keine Angabe gemacht werden.
„In der Nacht hat sich die Dachkonstruktion im Bereich der Metallwerkstätten durch Sturmeinwirkung gelöst. Dachelemente und Dämmmaterial sind im weiten Umkreis verstreut“, sagte Stades Erster Kreisrat Thorsten Heinze nach einer Besichtigung des Schadens am Sonnabendvormittag. Auf dem Dach befinden sich nach wie vor Metallteile, die der Wind nicht weggetragen hat. Diese sollen von einem Dachdecker möglichst über das Wochenende beseitigt werden.
Unterricht fällt aus, Kindergarten bleibt geschlossen
Das Abbruchunternehmen Buhrfeind ist mit den Aufräumarbeiten beschäftigt. „Es sieht aus wie nach einer Explosion“, sagte einer der Mitarbeiter.
Der Unterricht in den betroffenen Fachräumen kann bis auf Weiteres nicht stattfinden. Einschränkungen gibt es auch auf Zuwegungen und Parkplätzen der BBS I. Betroffen ist zudem der Betrieb des benachbarten „Seminarkindergartens“ des DRK.
Heinze: „Es ist nicht auszuschließen, dass nicht alle Elemente vom Dach entfernt werden können. Wegen der sich abzeichnenden neuen Sturmsituation in den nächsten Tagen ist daher die Entscheidung getroffen worden, dass zumindest am Montag der Kindergarten, der unmittelbar neben den Werkstätten liegt geschlossen bleibt.“ Es sei abzuwarten, inwiefern die Sicherungsmaßnahmen so ausgeführt werden können, dass ab Dienstag eine entsprechende Gefahr für die Kinder nicht mehr besteht. Das DRK als Träger wird die Eltern informieren.

Das Dämmmaterial an der Jobelmannschule (BBS I) liegt verstreut. Die Reparaturarbeiten am Dach werden mehere Tage anhalten. Foto: Landkreis Stade
In Buxtehude wurden an der Stader Straße weitere Sägearbeiten gegen 10 Uhr fällig. Eine Birke drohte auf das Dach der Kita von St. Maria zu stürzen. Die Feuerwehr rückte an, der Straßenabschnitt musste für die Arbeiten gesperrt werden.
In Harsefeld war ein Baum auf das Forstamt im Klosterpark gestürzt. Das Dach wurde stark beschädigt.
Sturmflut fällt höher als berechnet aus
Wie unberechenbar „Zeyneb“ war zeigte sich auch daran, dass das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie seine Sturmflutwarnung verschärfen musste. Tatsächlich stieg das Wasser in der Elbe gut einen halben Meter höher an als ursprünglich berechnet. Zur Hochwasserzeit in Stadersand um 5.25 Uhr stand das Wasser rund 3,30 Meter höher als normalerweise am Pegel – eine schwere Sturmflut, der die Deiche in Kehdingen und dem Alten Land aber sicher standhielten. Die Feuerwehr Stade verstärkte die Deichtore bei Stadersand zwischenzeitlich zusätzlich mit Sandsäcken.
Inzwischen macht sich der Ebbstrom deutlich bemerkbar. In Hamburg war die Situation zu einer „sehr schweren Sturmflut“ (mehr als 3,50 Meter über dem mittleren Hochwasser) hochgestuft worden. Die Hamburger Feuerwehr rettete am frühen Morgen gegen 5.30 Uhr zwei Männer, die mit ihrem Auto in der überfluteten Speicherstadt eingeschlossen waren. Nach Angaben der Polizei kam die Feuerwehr den beiden Männern mit einem Schlauchboot zu Hilfe. Laut Polizei waren die Männer stark unterkühlt und wurden vorsorglich in ein Krankenhaus gebracht.

Der Lühe-Anleger steht unter Wasser. Foto: Vasel
In der Nacht waren die Verantwortlichen der Deichverbände Kehdingen sowie I. und II. Meile Alten Landes mit den Gemeindebrandmeistern vor Ort, um die veränderte Lage zu sichten. Die Deichtore wurden mit Hilfe der Feuerwehren zusätzlich zu den Sperrwerken geschlossen. Es wird dringend davor gewarnt, die Deiche zu betreten.
Wetterdienst: Orkantief „Zeyneb“ zieht weiter
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) meldete am frühen Morgen sich abschwächenden Wind an der Nordsee. Das Orkantief habe die Ostsee erreicht und ziehe dann unter Abschwächung weiter in Richtung Russland, sagte eine Sprecherin.
Die stärkste Böe wurde mit rund 162 Kilometern pro Stunde am Nordsee-Leuchtturm „Alte Weser“ in der Deutschen Bucht vor der Wesermündung gemessen, wie eine DWD-Sprecherin mitteilte. Der 1141 Meter hohe Brocken im Harz meldete rund 146 Stundenkilometer.
Der Wetterdienst warnte allerdings davor, dass es zunächst unbeständig und stürmisch bleiben wird. „Der Wind kommt nicht längerfristig zur Ruhe“, sagte die Sprecherin. „Noch so ein Kaliber“ wie das Orkantief werde es aber nicht geben. Am Sonntag dürften demnach im Flachland Niedersachsens erneut Sturmböen auftreten, aber kein Orkan – an der Küste auch schwere Sturmböen. All dies werde aber „eine Nummer schwächer als in der Nacht“ zum Sonnabend ausfallen, sagte die Sprecherin.
Heruntergefallener Ast durchbohrt Auto in Groß Sterneberg
Der spektakulärste Vorfall im Kreis Stade ereignete sich in Groß Sterneberg in der Samtgemeinde Oldendorf-Himmelpforten. Eine 54-jährige Autofahrerin aus Hammah war mit ihrem VW Tiguan am Kanal unterwegs. Eine Birke kippte auf die Straße, die Frau fuhr mit dem Auto direkt in den Baum. Ein Ast hätte beinahe den Motorraum komplett durchstoßen. Die Frau hatte Glück und blieb unverletzt. Auch ihr Hund, der mit ihr im Auto unterwegs war, wurde nicht verletzt. Im Einsatz waren 30 Feuerwehrleute der Wehren aus Hammah und Groß Sterneberg.

Bei einem Unfall in Groß Sterneberg durchbohrte ein Ast das Auto einer 54-Jährigen aus Hammah. Foto: Vasel
In der Gemeinde Wurster Nordseeküste im Landkreis Cuxhaven starb in den Abendstunden ein 68-Jähriger beim Sturz vom Dach seines Stallgebäudes. Laut Polizei wollte der Mann durch den Sturm angerichtete Schäden beseitigen. Dabei brach er durch das Dach und stürzte zehn Meter tief. Der Notarzt konnte nur noch den Tod des Mannes feststellen.
Straßen voll gesperrt, Waldsiedlung in Neu Wulmstorf von Außenwelt abgeschnitten
Fünf Straßen mussten wegen zahlreicher umgekippter Bäume im Landkreis zeitweise gesperrt werden, darunter die K 44 zwischen Helmste und Horneburg und die L 114 zwischen Elm und Behrste. Auch zwischen Hollenbeck und Ahlerstedt ging nichts mehr. Diese Straßen sind wieder frei.
Noch am Sonnabendabend gesperrt waren die K 73 zwischen Immenbeck und Moisburg sowie die L 124 zwischen Kreisel Linah und Harsefeld.
Bereits am Freitagabend musste am Harsefelder Ortsausgang/Richtung Kreisel Linah ein umgestürzter Baum entfernt werden. Landwirte aus Ohrensen unterstützen die Feuerwehr. Auch auf der B 73 gab es mehrere Einsatzpunkte, an denen Bäume und Äste auf der Fahrbahn lagen. Die Feuerwehr Horneburg war zudem erneut damit beschäftigt, einen Baum aus der S-Bahn-Oberleitung bei Agathenburg zu entfernen.
Die Freiwilligen Feuerwehren im Landkreis Harburg arbeiteten bis zum Sonnabendvormittag fast 1100 Einsatzstellen ab, wie Kreispressewart Mathias Wille berichtete. Ein Einsatzschwerpunkt war auch die A 7 in Richtung Süden. Die Feuerwehren Brackel, Egestorf, Garlstorf und Hanstedt mussten mehrere umgestürzte Bäume von den Fahrbahnen räumen. Unangenehm fielen laut Wille mehrere Lkw-Fahrer auf, die teilweise mit unverminderter Geschwindigkeit die anfahrenden Einsatzfahrzeuge überholten und nahezu ungebremst durch Trümmerfelder fuhren.
In Elstorf in der Gemeinde Neu Wulmstorf waren die Bewohner einer Waldsiedlung durch 17 umgestürzte Bäume von der Außenwelt abgeschnitten. Aufgrund der Gefährdung der Einsatzkräfte durch weitere Bäume, die umzustürzen drohten, wurde das Gebiet zunächst abgesperrt. Nach Tagesanbruch und bei nachlassendem Wind wurden dann mit einem großen Kräfteaufgebot die Zuwegungen freigeräumt.
Elbfähre: Keine Fahrten während des Hochwassers
Die Bahn hatte bereits am Morgen angekündigt, den Zugverkehr im Norden nach und nach einzustellen. In Hannover strandeten Hunderte Reisende in der Nacht am Hauptbahnhof. Sie mussten voraussichtlich die Nacht über dort ausharren. Die Bahn stellte am frühen Abend einen Aufenthaltszug mit Essen und Trinken zur Verfügung, später sollte ein zweiter hinzukommen.
Wegen des bevorstehenden Hochwassers fuhren am Freitag ab 17 Uhr keine Fähren mehr zwischen Glückstadt und Wischhafen. Am Sonnabend ist die erste Abfahrt für 7.30 Uhr geplant. Schon am Donnerstag hatte die Elbfähre während des Hochwassers Pause gemacht. Die Betreiber weisen auch noch einmal darauf hin, dass Fahrzeuge rechtzeitig vom Anleger in Glückstadt und Wischhafen entfernt werden müssen - sonst werden sie abgeschleppt.
Autobahn 7 in Hamburg teilweise überspült
Starkregen als Vorbote des Orkantiefs hat die Autobahn 7 in Hamburg am Freitagnachmittag südlich des Elbtunnels teilweise so stark überflutet, dass eine Spur gesperrt wurde. Ehe das Wasser nicht abgepumpt worden sei, könne die Spur nicht genutzt werden, sagte ein Sprecher der Verkehrsleitzentrale.
Bei einem viergeschossigen Wohnhaus im Hamburger Stadtteil Eilbek sind am Freitagabend Teile der Fassade eingestürzt. Insgesamt seien im Giebelbereich rund 25 Quadratmeter Verbundmauerwerk abgefallen, sagte ein Feuerwehrsprecher. Der Dachstuhl sei stark beschädigt. Verletzt worden sei niemand. Insgesamt habe die Feuerwehr zwischen 17 und 23 Uhr 211 sturmbedingte Einsätze abgearbeitet.
In Hamburg stürzte ein Baum im Sturm auf zwei parkende Autos und verletzte ein Kind leicht. Es sei mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, als der Baum umgefallen sei, sagte ein Polizeisprecher.
In Bremen stürzte ein 55 Meter großer Baukran während des Sturmtiefs eint. Der Kran sei dabeiin ein im Rohbau befindliches Bürogebäude gekracht, sagte ein Feuerwehrsprecher. „Es sieht verheerend aus“, so der Sprecher. Auch ein gerade vorbeifahrender Laster sei von dem Kran erwischt worden. Der Fahrer sei unverletzt geblieben. Die Trümmerteile blockieren nun die umliegenden Straßen. Die Beseitigung des Krans werde noch bis zum Anfang der kommenden Woche dauern.
Demonstration gegen Querdenker in Buxtehude abgesagt
Kurzfristig war sie geplant, kurzfristig musste sie nun wieder abgesagt werden: Die für Sonnabend geplante neuerliche Demo gegen die Querdenker-Szene in Buxtehude fällt wegen des Sturmtiefs und seiner möglichen Auswirkungen aus. Das Bündnis für „Abstand, Anstand & Solidarität“ hatte für 13 Uhr zur Bildung einer Menschenkette am Fleth aufgerufen, um abermals ein Zeichen gegen die Respektlosigkeit und Hetze der sogenannten Querdenker-Szene und deren „Montagsspaziergänge“ zu setzen.
Schon Anfang Februar war das breit aufgestellte Bündnis, das von vielen Organisationen, Gruppen, Bürgern und Kulturschaffenden getragen wird, zu einer Gegendemo am Fleth zusammengekommen, an der sich mehr als 500 Bürger beteiligt hatten. Da aber nicht absehbar war, wie sich der Sturm entwickeln würde, haben die Organisatoren die Demo aus Sicherheitsgründen vorerst abgesagt. (mit dpa)
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In der Buxtehuder Bahnhofstraße Lösten sich Dachteile und prallten auf Fußweg. Foto: Vasel

Blick auf das geschlossene Lühe-Sperrwerk. Foto: Vasel

Ein großer Baum ist in Buxtehude auf die Hansestraße gestürzt. Foto: Timm Gerken

Das Abbruchunternehmen Buhrfeind ist mit den Aufräumarbeiten an der BBS beschäftigt. Foto: Vasel

Die örtliche Einsatzleitung der Feuerwehr Grünendeich. Foto: Vasel

Vor allem umstürzende Bäume können beim Sturm - wie hier beim gerade erst vorbeigezogenen Sturmtief Ylenia - zur großen Gefahr werden. Foto: Timm Gerken

Übersetzen mit der Elbfähre. Die FRS Elbfähre Glückstadt-Wischhafen kehrt zum Regelbetrieb zurück. Die vier Fähren verkehren wieder nach dem Fahrplan, der bis zum März 2020 gegolten habe, teilte das Unternehmen mit. Die Reederei und ihre Kunden hätten lan

Die Feuerwehr Stade verstärkte kurz vor 5 Uhr die geschlossenen Deichtore bei Stadersand mit Sandsäcken. Foto: Feuerwehr Stade