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Gründe für Tat weiterhin unklar

Tödlicher Angriff in Fredenbeck: Haftbefehl erlassen

Am Tag nach der Bluttat im Umfeld der Asylbewerberunterkunft mitten in Fredenbeck gibt es viele offene Fragen und nach wie vor eine große Betroffenheit. Wie berichtet ist das Opfer am Dienstag vor dem örtlichen Rewe-Markt tödlich verletzt zusammengebrochen.

Mittwoch, 27.11.2019, 19:19 Uhr

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Von Daniel Beneke und Karsten Wisser

Erst im Juni hatte ein 23-jähriger Sudanese einen gleichaltrigen Landsmann in Fredenbeck erstochen, beide lebten in der Unterkunft.

Der mutmaßliche Täter, den die Ermittler noch am Dienstagnachmittag festnehmen konnten, sitzt seit dem gestrigen Mittwochabend in einer niedersächsischen Justizvollzugsanstalt ein. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Stade hatte ein Haftrichter beim Amtsgericht Stade einen Haftbefehl erlassen, so dass der Mann die Untersuchungshaft antreten musste. Der Vorwurf lautet: Totschlag. Bei dem 29-jährigen Tatverdächtigen handelt es sich um einen Sudanesen, der ebenfalls in der Asylbewerberunterkunft auf dem Gelände des ehemaligen Hotels Fredenbeck an der Dinghorner Straße in Fredenbeck untergebracht war.

Er war „nicht herausragend auffällig“, sagt Polizeisprecher Rainer Bohmbach. Am Mittwoch haben die Ermittler die anderen Bewohner und Zeugen vernommen. Die Gespräche gestalteten sich schwierig, da stets Dolmetscher zur Hilfe genommen werden mussten. Die Tatwaffe – ein größeres Küchenmesser – konnten die Ermittler noch am Dienstagnachmittag im Umfeld der Unterkunft sicherstellen. Nach TAGEBLATT-Informationen lassen sich die Fingerabdrücke und andere Spuren eindeutig dem 29-Jährigen zuordnen. Mehr war über den Täter bis Redaktionsschluss noch nicht bekannt.

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„Räte und Verwaltung sind tief betroffen und wir fühlen besonders mit den Menschen, die Zeugen dieses schlimmen Ereignisses geworden sind“, sagt Samtgemeindebürgermeister Ralf Handelsmann (parteilos). „Das ist ein schwerer Schlag für uns.“ Weder Täter noch Opfer seien der Rathaus-Mannschaft bisher als gewaltbereit aufgefallen. Grundsätzlich gelte: Wenn Vorfälle bekannt werden, informieren die Mitarbeiter der Verwaltung die Polizei, die Ausländerbehörde, das Gesundheitsamt und die mit der sozialpädagogischen Betreuung der Flüchtlinge beauftragte Arbeiterwohlfahrt. „Wir geben solche Informationen immer weiter“, unterstreicht der Verwaltungschef. „Wir sind da sehr sensibel.“ Dennoch soll geklärt werden, ob die Kommunikation zwischen Kommune und Landkreis intensiviert und verbessert werden kann.

In Einzelfällen seien auffällige Bewohner getrennt und in andere Einrichtungen gebracht worden. Das gelinge aber nicht gegen den Willen der Betroffenen. Denn selbst zu Fuß könnten die Asylbewerber wieder in ihre alten Unterkünfte zurückkehren. Spätestens beim Einkaufen würden sie sich ohnehin wieder begegnen. Außerdem forciere die Samtgemeinde eine dezentrale Unterkunft, habe Wohnungen angemietet und Häuser erworben und suche weiter nach Wohnraum. In den Unterkünften habe sich die Zahl der Bewohner in den vergangenen drei Jahren halbiert.

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„Die meisten Asylbewerber sind auf einem guten Weg der Integration“, sagt Handelsmann. Zurück blieben einige, die auf ihre Abschiebung warten („da passiert nichts“ ) oder nicht arbeiten wollen. „Bei ihnen steigt die Frustration“, weiß der Samtgemeindebürgermeister. Da sei der Weg zum Alkohol nicht weit. Die Aggressivität nehme zu.

Die meisten Asylbewerber kämen aus Kriegsgebieten, brächten Traumata mit. „Sie haben Situationen erlebt, die wir nicht erleben möchten“, sagt Handelsmann. Es gebe keine ausreichenden Kapazitäten bei der sozialpädagogischen Betreuung und psychologischen Beratung. Die Arbeiterwohlfahrt habe ihr Angebot jedoch ausgeweitet, besuche jetzt auch die Unterkünfte. „Das ist kein Allheilmittel, dessen sind wir uns bewusst“, sagt der Verwaltungschef.

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Das Hotel ist bis auf zwei Zimmer wieder freigegeben, der Wohncontainer auf dem Außengelände ist noch als Tatort gesperrt. Die betroffenen Bewohner seien bei Freunden in anderen Unterkünften untergekommen, sagt Handelsmann. Sollte der Bedarf bestehen, sorge die Verwaltung für Schlafmöglichkeiten. Im Hotel leben bis zu 20 Asylbewerber, im Container sieben. Für alle stehen Einzelzimmer zur Verfügung. Sie stammen überwiegend aus dem Sudan.

In Fredenbeck werden Stimmen laut, die Unterkunft an der Dinghorner Straße aufzulösen und die Asylbewerber außerhalb des Ortszentrums unterzubringen. Viele Bürger wollen nicht mehr mit den schrecklichen Taten im Umfeld der Einrichtung konfrontiert werden. Menschlich könne er diese Forderungen verstehen, sagt Handelsmann. „Aber damit lösen wir keine Probleme.“ Gewalttäter würden sich dann an anderen Orten treffen und etwa zum Einkaufen weiterhin in die Ortsmitte kommen.

Das Opfer (47) lebte bereits seit 2009 in Fredenbeck. Er besaß den Aufenthaltstatus „geduldet“. Seine Identität war unklar. Tests, die in solchen Fällen unternommen werden, haben ergeben, dass er wohl aus Nigeria stammte. Er selbst hatte sich als Sudanese ausgegeben. Im Landkreis Stade gibt es 535 Duldungen, diese Größenordnung ist seit einigen Monaten stabil. Asylbewerber gibt es im Landkreis Stade derzeit 907. Während der Flüchtlingskrise lebten 3700 Menschen im Landkreis, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fielen.

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