Uhren riefen die Altländer zum Gebet

Turmuhren spielen eine wichtige Rolle im neuen Jahrbuch des Altländer Archivs, das seine Macher hier präsentieren: Jürgen Hoffmann und Pastor i. R. Hans-Heinrich Tegtmeyer (beide Autoren), Archivarin Susanne Höft-Schorpp und Gafikerin Silvia Hotopp-Prigge.
Die Geschichte der Turmuhren im Alten Land ist spannend – und wurde bisher sträflich vernachlässigt, sagt die Jorker Archivarin Susanne Höft-Schorpp. Jetzt wird das anders, und zu verdanken ist das dem Cranzer Heimatforscher Jürgen Hoffmann.
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Der ist von Haus aus Uhrmachermeister. Sein umfangreicher Beitrag über die Geschichte der Turmuhren im neuen Altländer Jahrbuch ist deshalb sowohl historisch, als auch für Freunde der Technik aufschlussreich.
Wie spät ist es? Auf diese Frage ging der Blick der Altländer früher in aller Regel nicht zum Handgelenk. Armbanduhren haben sich erst im 20. Jahrhundert durchgesetzt. Aber Kirchturmglocken schlugen den Altländern schon seit dem 12. Jahrhundert den Takt ihrer Tage, auf bischöfliches Geheiß, weil die Menschen wissen sollten, wann Zeit zum Beten ist. Schon im Mittelalter wurden dann Kirchturmuhren eingebaut.
Der Geschichte dieser Turmuhren gilt Jürgen Hoffmanns Interesse. Seine Neugier erwachte, als er 2002 die Uhr der Alten Schule in Cranz reparierte. Nach der Instandsetzung zog er die Schuluhr elf Jahre lang jeden Sonnabend auf. Mittlerweile hat Hoffmann die mehr als 100 Jahre alte und 130 Kilo schwere Uhr ausgebaut, vollständig restauriert und wieder in die nun zum Wohnhaus umgebaute alte Schule installiert.
1911, als die Schuluhr angeschafft wurde, unterstand die Schule noch der St.-Martini-Kirche in Estebrügge. Hoffmann machte sich auf Spurensuche – und wie er herausfand, wurde die heutige Kirchturmuhr nur ein Jahr zuvor gefertigt und eingebaut. Wie die meisten Altländer Turmuhren war auch diese ein Fabrikat der Firma Weule.
Die ersten Altländer Kirchturmuhren sind in Borstel und Estebrügge nachweisbar, und zwar seit mindestens 1580. Gestellt wurden sie oft nach einer Sonnenuhr, weiß Jürgen Hoffmann. Eine dieser Sonnenuhren ist heute noch an der Neuenfelder Kirche zu bewundern. Ob Schuluhr, Sonnenuhr oder Kirchturmuhr: In seinem umfangreichen Beitrag über elf Altländer Turmuhren von Cranz bis Twielenfleth erläutert Hoffmann mit detailreichen Fotografien und Texten deren Geschichte und ihr komplexes Innenleben.
Der frühere Jorker Pastor Hans-Heinrich Tegtmeyer lobt Jürgen Hoffmanns Beitrag als eine Arbeit „voller Fleiß und Fülle, Klarheit und Kompetenz“. Wie andere Beiträge des Jahrbuchs zeige sie deutlich: „Die Marschen waren eine Sorte für sich.“ Im Alten Land wurden neueste Errungenschaften wie Orgeln und Uhren zur gleichen Zeit wie in den Städten eingeführt.
In Estebrügge beispielsweise gab es, wie erst jetzt bekannt wurde, schon eine Orgel, bevor 1702 die Schnitger’sche errichtet wurde, deren Prospekt bis heute erhalten ist. Wie Robert Gahde vom Staatsarchiv in Stade herausgefunden hat, wurde sie von dem Buxtehuder Matthes Mahn, einem der führenden Orgelbaumeister seiner Zeit, erbaut. Gahde hat das fast zufällig beim ausgiebigen Stöbern in jahrhundertealten Akten und Handschriften aus dem Alten Kloster in Buxtehude entdeckt. Der Propst des Nonnenklosters war Patron der Estebrügger Kirche. Der Nachweis der Mahn-Orgel datiert auf 1583 – da war das gute Stück zwar längst gebaut, aber nicht für gut befunden worden. Mahn verspricht in dem Dokument, die Mängel zu beheben. Mit Mahn beschäftigt sich auch Professor Konrad Küster – und damit, wie Mahns Orgeln in der Folge des 30-jährigen Krieges größtenteils verschwanden. Allerdings nicht ganz: In Mittelnkirchen und Borstel erklingen bis heute möglicherweise Orgelpfeifen aus der Mahn’schen Werkstatt.
„Uhren und Orgeln waren die technisch anspruchsvollsten Apparate des 16. Jahrhunderts“, sagt Hans-Heinrich Tegtmeyer. In seinem Jahrbuch-Beitrag, der die Niederschrift eines gleichlautenden Vortrags vom Februar 2015 ist, geht es aber um die 350 Jahre alte, wunderschöne und gut erhaltene Jorker Kanzel – und um Tegtmeyers Vorgänger Franciscus Fexerus. Dessen Wahlspruch „Tue das Werk eines evangelischen Predigers recht“ steht an einem Bild in der Kanzel und gab dem Beitrag die Überschrift.
Altländer Jahrbuch
Mit 153 Seiten ist das Altländer Jahrbuch diesmal besonders umfangreich und dank Unterstützung der Altländer Kulturstiftung auch mit zahlreichen farbigen Bildern illustriert. Für 10 Euro ist es ab sofort erhältlich in der Altländer Drogerie in der Bürgerei, im Altländer Archiv in Westerladekop, im Museum Altes Land, im Jorker Rathaus und in der Tourist-Info in Jork.

Kirchturmuhr von Neuenkirchen.

Kirchturmuhr von Twielenfleth.

Kirchturmuhr von Mittelnkirchen.


