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"Vergessene Orte": Der alte Friedhof in Brobergen

Eine historische Aufnahme zeigt den Friedhof Brobergen vor 50 Jahren. Fotos Klempow (3)

Eine historische Aufnahme zeigt den Friedhof Brobergen vor 50 Jahren. Fotos Klempow (3)

Das Licht bricht sich an diesem Satz, der in dunklen Stein gemeißelt ist: „Hier ruht unser Liebling Ella Rohde.“ Um den Grabstein wächst das Gras hoch. Der Dorffriedhof war einst vergessen, ist noch immer verborgen und wunderbar verwunschen.

Von Grit Klempow Donnerstag, 20.07.2017, 14:00 Uhr

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Feine Fäden schmücken im Gegenlicht das Kreuz aus Sandstein. Grabpflege, das gibt es auf dem alten Bauernfriedhof nicht. Die Reihen der Gräber sind nur durch die Steine zu erkennen, das Gras wuchert hoch und taucht das Areal in helles Grün. Ein einmaliger Ort im Kreisgebiet, der Zeugnis ablegt von der Bestattungskultur im 19. Jahrhundert und damit auch von den Lebensumständen der Verstorbenen.

Wucherndes Gras an einem einmaligen Ort im Landkreis.

„Dorffriedhöfe wie in Brobergen entstanden Ende des 18. und mit Beginn des 19. Jahrhunderts überall auf der Geest. Sie beendeten einen rund 1000-jährigen Brauch beziehungsweise die Pflicht, die Verstorbenen ausschließlich auf den Kirchhöfen der Kirchspielskirchen zu bestatten“, begründet Dietrich Alsdorf von der Kreisarchäologie die Besonderheit.

Brobergen erhielt die Erlaubnis für einen eigenen Friedhof im Jahr 1832. Zuvor hatten die Broberger ihre Toten über Jahrhunderte hinweg auf dem Oldendorfer Kirchhof begraben. Im Hochmittelalter aber wurden die Toten der Broberger Dammsiedlung auf dem Friedhof der Broberger Burgkapelle begraben. Zwischen 1830 und 1930 wurden in Brobergen rund 550 Verstorbene begraben. In Reihengräbern – in der Reihenfolge ihres Todes. Zunächst schmückten noch keine Grabmäler die Gräber. Diese seien erst Mitte des 19. Jahrhunderts aufgestellt worden. „Als die Bauern infolge der Ablösung von der Gutsherrschaft wohlhabender und selbstbewusster wurden“, so Alsdorf. Eine Grabpflege gab es nicht. Das Gras auf dem Friedhof fraßen die Ziegen und Hühner scharrten in der Erde. Eine Dornenhecke schützte das Areal. Erst später setzte sich eine individuelle Grabpflege durch.

Doch irgendwann war die Zeit dieser Ruhestätte vorbei, für die neue Bestattungskultur war sie zu klein. Gleich nebenan legten die Broberger 1922 einen neuen Friedhof an, mit Familiengrabstätten und gepflegten Wegen. So wie überall in den Dörfern. Die alten Grabmäler, die verwitterten Sandsteinstelen und windschiefen Eisenkreuze wurden in den 70er Jahren mit dem Ende der letzten Ruherechte abgeräumt und in der benachbarten Sandgrube versenkt. Die alte Ruhestätte der Toten wurde in Brobergen mit Fichten bepflanzt.

In anderen Orten auf der Geest, zum Beispiel in Heinbockel und Kutenholz seien solche Friedhöfe später mit Häusern bebaut worden, schildert Alsdorf. In Buxtehude gebe es aber zwei Friedhöfe dieser Zeit, die unter Denkmalschutz stehen.

Vor rund zehn Jahren wurde der Friedhof „wiederentdeckt“ und mithilfe der Kreisarchäologie, der engagierten Mitstreiter vom Fähr- und Geschichtsverein Brobergen und der Jugendbauhütte wurde das Areal 2011 rekonstruiert, die Steine konnten wieder an Ort und Stelle gerückt werden, ein alter Plan des Friedhofs half dabei. Wochenlang puzzelten Vereinsmitglieder zerschlagene Steine zusammen und stellten sie in mühevoller Arbeit wieder auf.

So erzählen die verwitterten Zeugen des Todes nun vom Leben: Von der Frau, die schon mit 28 Jahren starb. Vom bescheidenen Wohlstand, der mit der Bauernbefreiung auch in Brobergen Einzug hielt und dazu führte, dass erste, aufwendige Grabmäler die Verstorbenen ehrten. Zuerst erinnerten gusseiserne Kreuze an die Verstorbenen, später aufwendig verzierte Sandsteinstelen und dunkle Steine, sogenannte Grottengrabmäler. Es soll ein prächtiger Dorffriedhof gewesen sein.

Seine Pracht ist immer noch zu erahnen, sie scheint mit den letzten kräftigen Strahlen der Abendsonne den verwunschenen Ort für einen Moment zu fluten. Aber sie vermag nicht den Moment des Innehaltens zu überstrahlen, beim Anblick der kleinen Grabsteine. Für die verstorbenen Kinder gab es gesonderte Bereiche. „Engel gehen zu Engeln“ steht auf dem blanken, schwarzen Stein der kleinen Erna Hinck. Die Kindersterblichkeit war hoch – wer genau hinsieht, entdeckt viele kleine Grabsteine im dichten Grün. So wie den von Ella Rohde. Sie starb 1904, sie wurde noch nicht einmal zwei Jahre alt.

In der Reihe „Vergessene Orte“ berichtet das TAGEBLATT in loser Folge über Plätze und Einrichtungen, die einst eine Rolle spielten und heute verschwunden oder in Vergessenheit geraten sind.

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