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Umzug ins Museum

Von Stade ins Freilichtmuseum: Eine Tankstelle zieht um

Der Vater von Horst (links) und Klaus Mehrtens hat die Tankstelle in Stade gebaut und bis 1984 betrieben. Jetzt steht sie im Museum. Fotos: Lepél

Der Vater von Horst (links) und Klaus Mehrtens hat die Tankstelle in Stade gebaut und bis 1984 betrieben. Jetzt steht sie im Museum. Fotos: Lepél

Eine Tankstelle aus Stade steht jetzt in der „Königsberger Straße“ im Freilichtmuseum am Kiekeberg und macht einen prächtigen Eindruck. Das erste fertige Gebäude des Großprojekts zur Nachkriegsgeschichte soll Mitte September eröffnet werden.

Von Sabine Lepél Donnerstag, 15.08.2019, 17:01 Uhr

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Die 1950er-Jahre-Tankstelle aus Stade ist das erste von sechs Gebäuden im Großprojekt „Königsberger Straße“, das eröffnet und für die Museumsbesucher bereits ab Mitte September zugänglich wird. Sie ist inzwischen komplett restauriert und ausgestattet, lediglich das Tankwärterhäuschen ist noch nicht ganz fertig. Jetzt statteten die beiden früheren Inhaber der Tankstelle, die Brüder Horst und Klaus Mehrtens aus Stade, dem einstigen Familieneigentum einen Besuch ab – und sie waren tief berührt von dem Ergebnis, das ihnen präsentiert wurde.

„Das ist für mich ein stolzer Moment“, sagte Klaus Mehrtens. „Mein Vater hat diese Tankstelle gebaut, als ich im Kinderbett lag. Später durfte ich ihn dort vertreten.“ Und sein Bruder Horst ergänzte: „Dass die Tankstelle jetzt hier im Museum steht, ist fast wie im Märchen. Danke an das Team vom Kiekeberg, das dies Projekt realisiert hat. So schön hätte ich mir das nicht träumen lassen.“

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Die beiden Brüder sind froh und glücklich, dass das einst hypermoderne Gebäude gerettet werden konnte und nun im Museum steht. Auch für die „Königsberger Straße“, mit der das Kiekeberg-Museum ein bundesweit einmaliges Projekt gestartet hat und die Zeit von 1949 bis 1979 ins Museum holt, ist die „Tanke“ aus Stade ein Glücksfall.

Im vergangenen Jahr kam der Verkauf zustande, und Ende Oktober 2018 wurde die Tankstelle in drei Teilen transloziert. „Ein Jahr später hätten wir sie abgerissen“, sagte Klaus Mehrtens. In Stade endete der Tankbetrieb bereits 1984. Die Anlage wurde jedoch ohne gravierende Veränderungen bis 2018 verpachtet.

Im Museum erfolgte der Wiederaufbau durch die Museumsexperten und durch den Architekten Christoph Frenzel aus Buxtehude. „Das war eine besondere Herausforderung“, so der Architekt. „Es gab einige Überraschungen.“ In den 1950er Jahren sei Baumaterial teuer gewesen, und deshalb habe man sich etwas einfallen lassen, um beispielsweise Zement zu sparen. „Das auffällige Dach etwa ist eine mit Draht umspannte und verputzte Holzkonstruktion“, so Frenzel.

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Auch beim Betrachten der Ausstattungsgegenstände wurden bei Klaus und Horst Mehrtens viele Erinnerungen wach, denn die Museumsmitarbeiter haben sich dabei so weit wie möglich an das Original gehalten. Ermöglicht wurde dies durch einen Sammler aus Rotenburg/Wümme, der seine umfangreiche Gasolin-Sammlung an das Museum abtrat: Frank Schumann gab nicht nur die Zapfsäulen her, sondern auch einen Ölschrank, der zuvor in seinem Wohnzimmer gestanden hatte, sowie viele authentische Kleinigkeiten wie Öldosen, Rechnungsblöcke und eine Werbetafel mit dem Gasolin-Spruch, der ihn einst zum Sammeln brachte: „Nimm Dir Zeit und nicht das Leben!“ Zunächst habe ihm schon das Herz geblutet, gab Schumann zu. „Aber jetzt bin ich begeistert. Meine Sachen sind hier gut aufgehoben und bleiben für die Nachwelt erhalten.“

„An so einem Tankstellengebäude lassen sich viele historische und gesellschaftliche Entwicklungen ablesen“, erklärte Museumsdirektor Stefan Zimmermann. „Sie erzählt nicht nur etwas zur Zeitgeschichte, sondern auch über die Technik- und Architekturgeschichte.“ Die Tankstelle habe im Dorf der 1950er Jahre den gesellschaftlichen Wandel auch baulich angekündigt und verweise auf die zunehmende Mobilität. „Mit ihrem Bau zog die Moderne in die Provinz.“ Dabei sei die Tankstelle viel mehr gewesen als der Lieferant für den Treibstoff in die mobile Gesellschaft: „Hier wurden Informationen ausgetauscht, sie war ein Kristallisationspunkt des Ortes.“

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Auch die Tankstelle aus Stade, zunächst noch im selbstständigen Dorf Campe gelegen, zeigt beispielhaft die Entwicklung von der Dorfschmiede zu einer serviceorientierten, modernen Tankstelle. Schon in den 1910er Jahren verkaufte Familie Mehrtens in der Schmiede Benzin an die wenigen Automobilisten. Ab 1928 gab es eine einfache, gegen Witterungseinflüsse ungeschützte Zapfsäule, die per Hand betrieben wurde. Mit dem Einzug der Gasolin AG 1953 begann schließlich die „moderne“ Zeit. Sie darf nun im Museum weiterleben.

Mit dem Großprojekt „Königsberger Straße“ errichtet das Freilichtmuseum am Kiekeberg in den kommenden Jahren eine Baugruppe mit Gebäuden, die typisch für das Leben in der Nachkriegszeit sind und bis heute das Erscheinungsbild von Dörfern in ganz Deutschland prägen. Für die „Königsberger Straße“ wählte das Museum sechs regionaltypische Gebäude mit aussagekräftigen Geschichten aus: Neben der Tankstelle mit angeschlossener Werkstatt und einem fast fertigen Siedlungsdoppelhaus wird eine Ladenzeile mit modernen Geschäften entstehen, ein weiteres Doppelhaus, wie es Flüchtlinge, Vertriebene und Ausgebombte mit eigenen Händen aufbauten, ein typischer Aussiedlerhof und ein Quelle-Fertighaus . Die Investitionen betragen mehr als sechs Millionen Euro. Etwa die Hälfte trägt der Bund. Das Gesamtprojekt soll im Frühjahr 2023 fertig sein.

Blick auf das Mehrtens-Wohnhaus und die 1953 erbaute Tankstelle .

Blick auf das Mehrtens-Wohnhaus und die 1953 erbaute Tankstelle .

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