Warum die Pfähle in der Ostemarsch nicht halten

Christian Fröhling und Nils Glaesener (beide vom Ingenieurbüro Fröhling&Rathjen) besichtigen mit Jürgen Goldenstein von Bürgerwindpark Oederquart (von links) die Baustelle für den Windpark Wetterdeich. In unterschiedlichen Tiefen wurden dor
Längst sollten sich die sieben neuen Windräder am Wetterdeich in Oederquart drehen. Doch die Gründung mit Pfählen rutschte im durchnässten Marschboden weg. Jetzt scheint eine Lösung in Sicht.
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Der Bereich, wo der Windpark Wetterdeich entsteht, heißt Im See. Ein richtig nasses Loch in der Ostemarsch. Wie nass der Boden dort ist, wurden die Windbauer auf der Cuxhavener Seite gewahr, als sie vor einem Jahr damit anfingen, die Pfähle für die Fundamente zu rammen und die Baugruben auszuheben. Das Erdreich und damit die Pfähle verschoben sich einfach. Zunächst wurde das Problem mit dem extrem nassen Jahr 2017 erklärt. Doch dann kam das Jahr 2018 mit extremer Trockenheit. Und die Baugruben waren weiter instabil.
Während die Windanlagenbauer auf der Cuxhavener Seite viel Stahlbeton in der weichen Erde versenkten, zog Jürgen Goldenstein, Geschäftsführer des Bürgerwindparks Oederquart, im Frühjahr die Reißleine. Die Zuwegung zur Baustelle, 4,5 Kilometer Wege, war fristgerecht zum 1.April fertig geworden. Eigentlich sollte unmittelbar mit dem Bau der Anlagen begonnen werden, aber die Entwicklung bei den Cuxhavenern war höchst alarmierend. „Ich wollte nicht unnötig Geld in der Erde versenken.“
Der Bürgerwindpark und die Oberndorfer Windpark-Gesellschaft zogen das Ingenieurbüro Fröhling & Rathjen aus Harsefeld, das sich auf Fundamentdesign spezialisiert hat, hinzu. „Leider erst, als man nicht mehr weiter wusste“, so Bauingenieur Nils Glaesener.
Über Jahrtausende war die Ostemarsch Überschwemmungsgebiet. „Hier hat sich ein Klei gebildet, ohne je zu verdichten. Der Boden hat eine extrem breiige Konsistenz“, beschreibt Glaesener das Problem. „Das gibt es öfter in Norddeutschland, aber so breiig habe ich das noch nie erlebt. Das Oberflächenwasser fließt in jede Ritze der Baugrubenböschungen und erzeugt Druck. So verschoben sich auch die Pfähle, die eigentlich die Windenergieanlagen halten sollten. „Wir mussten bautechnisch erfassen, wie wir diese Kräfte ableiten können.“
Es wurde gerechnet, gerammt und gemessen. Proben bis 27 Meter Tiefe wurden gezogen. Probepfähle in unterschiedlichen Tiefen gerammt. Die Ingenieure holten sich Verstärkung von einem Spezialisten, Dr. Harry Harder vom Ingenieurbüro für Geotechnik (IFG) aus Bremen. Gemeinsam wurde mit Hilfe eines Inklinometers ein Nachweisverfahren entwickelt, das Gefälle und Neigung der Pfähle misst und damit die Standfestigkeit prüft. Wieder wurde gerechnet, optimiert und neu gemessen. Auch ökologische Aspekte mussten einbezogen werden, so Herr Glaesener: „Es sollte nicht zu viel Fläche versiegelt werden, Grundwasserleiter durften nicht gestört werden.“
Nils Glaesener und sein Chef Christian Fröhling sprechen von einer Teamlösung, an der neben dem eigenen Ingenieurbüro das IFG aus Bremen und der Windanlagenbauer Enercon beteiligt seien. „Der entscheidende Meilenstein war, die Baugruben wegzulassen, weil die Böschungen sonst sofort wieder anfingen zu laufen“, erklärt Glaesener. Ein Großteil der Fundamente werden nun nicht in die Erde gesetzt – denn durch das Baggern im breiigen Boden entsteht Instabilität –, sondern direkt auf das Gelände gestellt. Da die Anlagen so höher würden – und damit nicht mehr genehmigt wären –, musste Enercon die Türme entsprechend kürzen und dafür neue Statiken und Prüfungen vorlegen. Der zweite wichtige Schritt sei ein auf Messungen basiertes Nachweisverfahren gewesen.
Der Bauablauf wird jetzt minutiös geplant und ständig geotechnisch überprüft, bis dahin, wo die schweren Lkw ihr Material ablegen. Jede Last muss in die Berechnungen eingepflegt werden. „Es muss allen klar sein, dass wir hier nicht einfach loslegen können“, sagt Goldenstein. „Das, was wir gerechnet haben, muss unbedingt umgesetzt werden“, betont auch Fröhling. Üblicherweise könne für jeden Windenergieanlagentyp von einem spezifischen Fundamentdesign ausgegangen werden. Für den Wetterdeich seien fünf verschiedene Designs für ein und denselben Typ entwickelt worden.
Für die ersten Anlagen werden jetzt die Fundamente gebaut. Um die 5.300 Tonnen schweren Windenergieanlagen standfest zu kriegen, werden pro Anlage 84 Stahlbetonpfähle, 45 mal 45 Zentimeter dick, über 20 Meter tief in die Erde gerammt. Aber auch die 600 Tonnen schweren Kräne, mit denen die Anlagen errichtet und später vielleicht auch repariert werden, müssen fest stehen: Pro Anlage werden weitere 64 Pfähle für den Kranstellplatz in den Boden getrieben. Insgesamt wird der Windpark Wetterdeich mit 1.036 Pfählen aus Stahlbeton gesichert.
Wenn die Anlagen einmal zurückgebaut werden, werde das Fundament entfernt und die Pfähle ein bis zwei Meter darunter gekappt, damit dort wieder geackert werden könne, so Goldenstein. So stehe es auch in den Pachtverträgen. Die Pfähle könnten nicht aus über 20 Meter Tiefe komplett herausgezogen werden. Sie bleiben also in der Erde. Der Rückbau ist finanziell abgesichert: Pro Meter Nabenhöhe und Anlage müssen hierfür bei der Landkreisverwaltung 1.000 Euro hinterlegt werden. Für die sieben Windmühlen sind das 1,043 Millionen Euro.
„Es war auch kaufmännisch ein Drahtseilakt“, sagt Jürgen Goldenstein in der Rückschau auf die vergangenen sechs Monate. Der Geschäftsführer war einmal von 39 Millionen Euro Investitionskosten ausgegangen. „Das erhöht sich jetzt deutlich“, sagt er, ohne eine konkrete Zahl zu nennen. Er geht davon aus, dass es noch bis zu einem Jahr dauern wird, bis alle sieben Anlage des Bürgerwindparks am Wetterdeich laufen.
In dem Gebiet zwischen Geversdorf, Oberndorf und Oederquart sollen insgesamt 22 neue Windkraftanlagen errichtet werden. Auf Geversdorfer Gebiet werden fünf Anlagen gebaut, sieben in Oberndorf. Im angrenzenden Gebiet des Landkreises Stade werden sechs Altanlagen durch drei neue ersetzt. Hinzu kommen sieben neue Windenergieanlagen im bereits bestehenden Bürgerwindpark Oederquart. Die Gesamthöhe der Anlagen wird 208 Meter betragen. Jede der Anlagen des Herstellers Enercon wird 3,2 Megawatt Nennleistung erzeugen.