Weltstar Karl-Heinz Rummenigge plaudert Rücktritt aus

Karl-Heinz Rummenigge im Trikot der deutschen Nationalmannschaft. Seinen Rücktritt nach der WM 1986 plauderte der Weltstar einst im Bus nach Kehdingen aus. Fotos dpa
Der langjährige TAGEBLATT-Fußballberichterstatter Dieter Albrecht hat am 23. Mai 1985 einen historischen Moment erlebt und unfassbares Glück gehabt. Als weltweit erster Journalist erfuhr Albrecht vom Rücktritt Karl-Heinz Rummenigges aus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.
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Mai 1985 sollte für mich als freier Sport-Mitarbeiter unerwartet zu einem unvergesslichen Tag werden. Italiens Spitzenverein Internationale Mailand kam mit dem deutschen Nationalspieler Karl-Heinz Rummenigge nach Freiburg an die Elbe, um gegen die Spielgemeinschaft Freiburg/Oederquart zu spielen. Der ortsansässige Bäckermeister Hans-Jürgen Kühlcke hatte das Spektakel eingefädelt. Seine vertraglich vereinbarte Bedingung: Rummenigge muss dabei sein. Der Sport-Informations-Dienst (SID) beauftragte mich, über das Spiel einen kurzen Bericht telefonisch zu übermitteln. Was niemand ahnen konnte, dabei sollte es nicht bleiben.
Kühlcke, zu dem ich guten Kontakt hatte, fragte mich, ob ich im Bus mitfahren wolle, um die Mailänder vom Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel abzuholen. Plätze wären noch frei. Auf einem Stader Parkplatz in der Freiburger Straße stieg ich zu, ausgerüstet mit meiner Spiegelreflexkamera. Der Flieger aus Mailand landete gegen 13 Uhr. Die Freiburger Abordnung mit dem Ortsbürgermeister Günther Schild an der Spitze, begrüßte am Hallenausgang die Inter-Delegation, wartete aber vor allem auf Karl-Heinz Rummenigge.
Noch ein kurzer Moment, dann tauchte er auf. Seine Ankunft musste sich herumgesprochen haben. Sofort wurde er umringt von Jugendlichen, die ein Autogramm vom Kapitän der deutschen Nationalmannschaft haben wollten. Beim Einsteigen in den Bus blieb der Platz neben Rummenigge frei. Für mich die Gelegenheit, ganz dicht an ihn heranzukommen. Er reagierte höflich, streckte mir zur Begrüßung gleich die Hand entgegen. Die Fahrt, vorbei an den Obstbäumen im Alten Land, sollte einen Höhepunkt erlangen, der für ein gewaltiges Rauschen im Blätterwald sorgte.
Wir unterhielten uns über allgemeine Dinge. Von Freiburg an der Elbe habe er noch nichts gehört, Freiburg im Breisgau sei ihm dagegen geläufig. Überhaupt wäre ihm diese Region im Norden völlig unbekannt, dieses sei aber eine sehr schöne Landschaft. Was er von derartigen Auftritten in der Provinz halte, beantwortete er schlicht und einfach. Das bereite ihm keine Probleme. Er wäre Profi, müsse dort spielen, wo sein Verein ihn hinschickt. Prompt kam meine nächste Frage, wie lange er noch in der Nationalmannschaft spielen wolle? Rummenigges Antwort war klar und unmissverständlich. Er werde in Kürze 30 Jahre alt und wolle als Nationalspieler nach der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko aufhören. Mir war sofort klar, das ist ein Knaller, denn davon war zu diesem Zeitpunkt nichts bekannt. Wieder in Stade angekommen, verließ ich den Bus, setzte mich sofort an das heimische Telefon und übermittelte dem SID in Hamburg die wichtigsten Details meines Gesprächs mit Rummenigge. Redaktionsleiter Andreas Frank verfasste gleich eine Meldung, die an die Zentrale nach Neuss ging. Der Rückruf des dortigen Chefredakteurs ließ nicht lange auf sich warten. Wolfgang Niersbach, später von 2012 bis 2015 Präsident des Deutschen Fußballbundes, wollte wissen, ob die Nachricht aus einer seriösen Quelle stammt. Frank bestätigte unsere bestehende gute Zusammenarbeit. Niersbach gab grünes Licht zur Veröffentlichung.
Das Dementi am nächsten Tag, als Rummenigge wieder in Mailand angekommen war, kam nicht unerwartet. Zuvor hatte die Deutsche Presse-Agentur die Richtigkeit der SID-Meldung bereits stark in Zweifel gezogen. Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Ein bundesweit unbekannter Mitarbeiter als Informant, das passte nicht in den Rahmen einer Nachricht mit derartiger Tragweite. Ich muss allerdings gestehen, mich bei Rummenigge auch nicht als Mitarbeiter des SID geoutet zu haben.
Der von Verletzungen geplagte Nationalmannschaftskapitän nahm im darauffolgenden Jahr an der WM 1986 teil, wurde mit der deutschen Mannschaft – wie schon 1982 – Vizeweltmeister. Nach dem Finale (2:3 gegen Argentinien) erklärte er nun offiziell, in der vom DFB anberaumten Pressekonferenz in Frankfurt am Main, seinen Rücktritt, den er schon ein Jahr zuvor am Elbdeich angekündigt hatte. Für mich war es die Bestätigung der Richtigkeit meiner Information.
Das Honorar des SID in Höhe von 200 Mark fiel gemessen an der Bedeutung der exklusiven Nachricht, dazu noch den Bericht vom abendlichen Spiel, angemessen aus, hatte für mich an diesem 23. Mai vor 33 Jahren aber eine völlig nebensächliche Bedeutung. Ich war mir bewusst, für einen Moment mit am Rad der Fußballgeschichte gedreht zu haben.
Das Spiel zwischen Inter Mailand und der SG Freiburg/Oederquart, vor mehr als 3000 Zuschauern, die für ein Eintrittsgeld von 19 bis 23 Mark fünf teilweise schön herausgespielte Tore von Karl-Heinz Rummenigge erleben durften, endete mit 14:1 standesgemäß. Glücklichster Akteur auf dem Platz war der 19-jährige Delf Waltersdorf, der als Schütze des Kedinger Treffers in der 65. Minute plötzlich in den Blickpunkt rückte und das Tor überschwänglich mit seiner Mannschaft und den Fans abfeierte. Nach dem Abpfiff war die Enttäuschung aber groß, weil der Torschütze Rummenigges heiß begehrtes Trikot nicht ergattern konnte.
Bei einem Treffen am Ort des Geschehens – 30 Jahre danach – konnte Waltersdorf die Entstehung seines denkwürdigen Tores noch immer bis ins letzte Detail schildern. Allergrößten Wert legte er auf die Feststellung, es sei kein großherziges Geschenk des Gegners gewesen. Sein dabei strahlendes Lächeln verriet den besonderen Moment in seinem fußballerischen Leben. Die Autogramme von Waltersdorf waren nach dem Abpfiff ebenso gefragt, wie die des Weltstars Rummenigge.
Am 25. September 1955 in Lippstadt in Nordrhein-Westfalen geboren, ging Karl-Heinz Rummenigge aus der Fußballjugend des Vereins Borussia Lippstadt hervor. Von 1976 bis 1986 absolvierte er 95 Länderspiele für Deutschland und erzielte dabei 45 Tore. Mit der Nationalmannschaft holte er 1980 in Italien durch einen 2:1-Sieg im Finale gegen Belgien den Europameistertitel und wurde zweimal, 1982 in Spanien und 1986 in Mexiko, Vizeweltmeister. Als Profi spielte Rummenigge von 1974 bis 1984 beim FC Bayern München, brachte es auf 310 Bundesligaeinsätze und 162 Tore. Hinzu kommen 30 Tore in 64 Europacup-Spielen. Mit den Bayern wurde er 1975 und 1976 Europapokalsieger der Landesmeister, 1976 auch Weltpokalsieger, 1980 und 1981 Deutscher Meister sowie 1982 und 1984 DFB-Pokalsieger. Dreimal wurde er Bundesliga-Torschützenkönig, jeweils einmal in seinem letzten Profijahr 1989 in der Schweiz und 1981 im Europapokal der Landesmeister, dazu Fußballer des Jahres in Deutschland und in Europa.
Von 1984 bis 1987 setzte Rummenigge seine Karriere bei Inter Mailand fort, verzeichnete in Italien 64 Einsätze in der Serie A und schoss 24 Tore. Von 1987 bis 1989 spielte er bei Servette Genf in der Schweizer Nationalliga A mit 60 Spielen und 34 Toren. Seit 2002 ist Karl-Heinz Rummenigge Vorstandsvorsitzender der FC Bayern München Aktiengesellschaft.