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Wo bleibt eigentlich unser Müll? Das TAGEBLATT geht der Spur unseres Abfalls nach

Foto dpa

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Wir packen unseren Müll in eine Tonne, fahren ihn zum Container oder bringen ihn zu den Abfall­annahmestellen. Doch was passiert danach?

Von Rainer Schwartau Dienstag, 08.07.2014, 16:51 Uhr

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Das TAGEBLATT begab sich auf die nicht immer ganz einfache Spurensuche. Etwa 100000 Tonnen privaten Müll produzieren die Bewohner des Landkreises Stade alljährlich (ohne Altautos und Bauschutt). Zumin­dest der Großteil wird im Auftrag des Landkreises eingesammelt. Doch dort enden die Entsorgungs­wege des Mülls nicht und die Verwerter legen ihre Karten nicht immer offen.

Das heißt nicht, dass hier Illegales geschieht, sie wollen sich auf dem freien Markt der Entsorger aber nicht immer in die wirtschaftlichen Karten schauen lassen. Allerdings muss es sich um zertifizierte Partner handeln. Aber natürlich gibt es auch die illegalen Pfade. Wenn zum Beispiel beim Sperrmüll oder bei den Altmetallsammlungen geklaut wird. Sobald die Teile zur Abholung an den Straßenrand gestellt werden, werden sie nicht herrenlos, mithin ist die Entnahme ein Diebstahl und kann angezeigt werden. Und natürlich landet manches Schrottauto, als fahrbereit deklariert, irgendwo in Asien oder Afrika, genau so wie mancher Elektromüll und wird dort unter zum Teil menschenunwürdigen Umständen ausgeschlachtet. Doch auch schon die legalen Pfade unseres Mülls sind spannend und um die soll es hier vor allem gehen. Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass an der Wiederverwertung noch vieles verbessert werden muss. Denn ein Großteil des Mülls wird nach wie vor verbrannt.

Hausmüll

Wird vom Landkreis Stade durch die Firma Karl Meyer Kommunalentsorgungs GmbH eingesammelt. 2013 kamen 23.249 Tonnen zusammen. Die Abfälle aus der Samtgemeinde Nordkehdingen und der Gemeinde Drochtersen werden mit Wechselbehältertechnik eingesammelt. Die Abfälle aus der Stadt Buxtehude werden aufgrund der geringen Entfernung direkt mit den Sammelfahrzeugen zur Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm (MVR) gefahren. Alle anderen Abfälle werden in der Umschlaganlage Stade-Süd beim Recyclingcentrum in Großcontainer verladen und anschließend zur MVR transportiert.

Sperrmüll

Im Landkreis Stade darf Sperrmüll nur der Kreis selbst annehmen. 2013 waren es 4.820 Tonnen. Die Einsammlung erledigt die Firma Karl Meyer Kommunalentsorgungs GmbH. Er kann aber auch direkt bei den Abfallwirtschaftszentren (AWZ) Stade-Süd und Buxtehude Ardestorf sowie den Wertstoffhöfen geführenfrei angeliefert werden. Der Müll wird komplett zur Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm (MVR) gefahren.

Medikamente

Gehören laut Bundesgesundheitsministerium in den Hausmüll (auch Flaschen mit Restinhalten) und nicht in den Ausguss oder die Toilette (Verunreinigung unter anderem mit Antibiotika). Sie können auch beim Schadstoffmobil oder dem AWZ Stade abgegeben werden. Auch die Sammlungen von Apotheken landen letztlich in der Müllverbrennung.

Gelber Sack

Die Säcke, 2013 waren es 6.083 Tonnen, werden eingesammelt von der Karl Meyer Umweltdienste GmbH und landen über das Recycling-Zentrum Stade (RZS) der Karl Meyer AG bei insgesamt vier Firmen: bei der Firma Cohrs Soltau, GAR Bassum, Nehlsen Bremen und der
Veolia Umweltservice GmbH in Hamburg.    Fotos dpa

Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm

Die Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm (MVR) am Hamburger Köhlbrand ist ausgelegt für jährlich 320.000 Tonnen Siedlungsabfälle. Verbrannt und zum Teil aufgearbeitet werden hier Abfälle aus Hamburg und vier Landkreisen in Niedersachsen, darunter die Landkreise Stade und Harburg. Jeden Tag kippen etwa 150 Müllfahrzeuge ihre Fracht in den Bunker. Bei einer Temperatur von 900 bis 1000 Grad sollen die Dioxine und Furane thermisch geknackt werden. Selbst die Umweltorganisation Greenpeace bescheinigt den modernen Müllverbrennungsanlagen in Deutschland inzwischen eine hohe Effizienz mit Verweis auf eine Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung aus Heidelberg, wonach die Anlagen der Luft sogar Giftstoffe "entziehen". Etwa 2 Prozent der ursprünglichen Müllmenge geht als Sondermüll in die Endlagerung unter Tage. Die MVR gehört zu 25 Prozent der Hamburger Stadtreinigung, zu 55 Prozent Vattenfall Europe New Energy und zu 20 Prozent der EWE Aktiengesellschaft. Der Vertrag des Landkreises Stade mit der MVR läuft noch bis 2019.


Foto: MVR
Die nach Hamburg zur MVR Rugenberger Damm liefernden Landkreise Harburg, Heidekreis, Rotenburg und Stade haben bei der MVA ein Verbrennungskontingent von jährlich 120.000 Tonnen. Darüber hinausgehende Mengen gehen gemäß einer Zweckvereinbarung mit dem Landkreis Diepholz zur Restabfallbehandlungsanlage (RABA) Bassum bei Bremen. Dies nutzt aktuell aber nur der Heidekreis für seinen Müll; wegen der Nähe zur MVR wird der Müll aus dem Kreis Stade komplett zur MVR gebracht.


Gelbe Säcke - am Beispiel der Veolia Umweltservice GmbH


Foto Veolia
Leichtverpackungs-Sortieranlage
Im Hamburger Süden, in der Werner-Siemens-Straße, werden die aus dem Kreis Stade angelieferten gelben Säcke geöffnet und vollautomatisch sortiert. (Als Video zu sehen unter http://www.youtube.com/watch?v=38d3HgdtZ0Q)
Die Firma
Die Veolia Umweltservice GmbH in Hamburg war bis Ende 2009 am Recycling-Zentrum-Stade (RZS) gemeinsam mit der Karl Meyer AG beteiligt. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die Gelben Säcke in der RZS-Anlage in Stade sortiert. Seither holt die Veolia sie ab, sortiert selbst. Veolia ist eine 100%ige Tochter des französischen Mutterkonzerns Veolia Environnement, der 2012 mit mehr als 220.000 Mitarbeiten einen Umsatz von 29,4 Milliarden Eruo erwirtschaftet hat und als Weltmarktführer in Umweltdienstleistungen gilt.
Andere Verwerter
Die drei anderen Verwerter für die Gelben Säcke aus dem Kreis Stade arbeiten ähnlich. Dabei ist die Firma GAR in Bassum laut RZS der größte Abnehmer mit einem Anteil von rund 50 Prozent der Gelben Säcke.

Abgase (3990 Norm-Kubikmeter je Tonne Müll) Die Abgaswerte liegen laut MVR alle unterhalb der genehmigten Werte. Den Hauptanteil machen
/Stickoxide mit 135 Tonnen, Kohlenmonoxid mit 31 Tonnen, und Schwefeldioxid mit 5 Tonnen pro Jahr aus.

Strom (215 Kilowattstunden je Tonne Müll) Der erzeugte Strom von maximal 29 Megawatt wird teils zum Eigenbedarf der Anlage verwendet (5 MW), der Rest wird ins Netz eingespeist.

Wärme (1900 Kilowattstunden je Tonne Müll)
Die Abwärme versorgt das Industriegebiet Neuhof über einen 380 Meter langen Tunnel mit Fernwärme. Bei Bedarf wird mit Erdaas nachgefeuert.

Stäube (27 kg je Tonne Müll)
Der Staub aus der Abgasreinigung gilt als Sondermüll und wird vollständig als Versatz in Salzbergwerken endgelagert.

Schlacke (220 kg je Tonne Müll)
Die Schlacke dient im Straßenbau als Untergrund für Asphalt. Sie wird vom Hanseatischen Schlackenkontor vermarktet.

Gips (3,5 kg je Tonne Müll)
Die Entschwefelungsanlage liefert Gips, der auf eine Feuchte von weniger 10 % gebracht wird. Er wird in der Bauindustrie zur Herstellung von Putzgips verwendet.

Salzsäure (12,4 kg je Tonne Müll)
Bei der Abgasreinigung entsteht 10 bis 12%ige Roh-Salzsäure. Sie wird zu 30%iger Salzsäuere aufbereitet. Geht an die chemische Industrie und Kraftwerke.

Mischsalzsole (6,5 kg je Tonne Müll)
In der Salzsäure-Anlage fallen Mischsalze an, durch die Halogene wie Brom, Jod, Fluor und Ammoniumverbindungen abgetrennt werden. Sie landen in alten Salzkavernen.

Rohsäure
Reste aus der Salzsäure-Anlage müssen entsorgt werden. Aufgrund größerer Reparaturarbeiten und zum Teil hoher Chlorfrachten waren dies 2012 rund 1100 Tonnen.

Nicht-Eisen-Metalle (3,4 kg je Tonne Müll) Werden aus der Schlacke zu über 90 % ausgesondert. Aluminium, Kupfer, Messing, Chromstahl. Sie gehen an Metallhütten.

Schrott (24,2 kg je Tonne Müll)
Grobe Metallteile werden per Hand aussortiert. Die meisten sperrigen Teile bestehen aus Eisen. Sie werden extern vermarktet. (Quelle: MVR)

 

Wertstoffliche Verwertung
Folien, Kunststoffe, Metalle, Papier und Tetrapacks werden möglichst sortenrein aussortiert. Dies sind etwa 40 Prozent der gelieferten Mengen. Infrarotdetektoren trennen Tetrapackungen, Papier und Kunststoffe heraus, Alluminium, Kupfer und Edelstahl werden von einem Nichteisen(NE)- Abscheider aussortiert, sie werden zerkleinert und gewaschen. Aus den Kunststoffschnipseln werden laut Grünem Punkt mit einer Dichtetrennung letzte Fremdkunststoffe gelöst. Der Ausscheider hilft auch die Verschlusskappen auszusortieren.
Aus den sortierten Fraktionen entstehen neue Produkte wie Autoteile, Rohre, Getränkekästen, Plastikflaschen, Fensterrahmen, Kunststoffspielzeug, Pflanzpaletten oder Folien.
Aus alten PET-Flaschen wird zum Beispiel in einer Anlage in Rostock Rohstoff für neue PET-Flaschen gewonnen. (Ähnlich läuft übrigens auch die Verwertung von PET-Flaschen bei Aldi, Lidl und Co.)
Weiter kommen monatlich 700 bis 800 Tonnen Alteisen bei Veolia zusammen, die an die norddeutschen Stahlhütten verkauft werden.

Rohstoffliche Verwertung
Nicht eindeutig identifizierbare Kunststoffe (Mischkunststoffe) werden bei Veolia an Vertragspartner weiterverkauft und dort stofflich oder als Ersatzbrennstoffe speziell für Zementwerke verwendet. Insgesamt geht es um etwa 26 Prozent der angelieferten Mengen.
Energetische Verwertung
Die restlichen 34 Prozent der angelieferten Mengen werden bei Vertragspartnern weiter behandelt, zur Herstellung verschiedener Ersatzbrennstoffqualitäten.

Neuregelung
Am 1. Juni 2012 ist das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz in Kraft getreten. Es legt fest, dass ab Januar 2015 alle Metall-und Kunststoffabfälle getrennt vom Restmüll zu erfassen sind. Wie der Landkreis Stade mit dieser neuen Lage umgehen will, ist noch völlig offen. Eine Möglichkeit wäre, dass eine weitere Wertstofftonne für diese Abfallsegmente eingeführt wird.

 

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