24-Stunden-Reportage: Die Meister der Verpackung
Industriemechaniker Andreas Holst richtet nach Mitternacht in der Nachtschicht eine Maschine ein. Der 36-Jährige ist bereits seit 15 Jahren bei RPC Verpackungen in Kutzenholz. Fotos Vasel
Die Hela-Ketchup-Flasche ist vermutlich das bekannteste Beispiel für Kunststoffverpackungen made in Kutenholz. Doch es gibt noch viele mehr. Die Verpackungen von RPC stehen in jedem Haushalt. Das TAGEBLATT hat zum Auftakt der 24-Stunden-Reportage für eine Stunde einen Blick in die Produktion geworfen.
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Ob Duschgel, Marmelade, Sonnencreme, Salz, Desinfektionsmittel, Dünger, Salat oder Gurken, für fast alles finden die rund 200 Mitarbeiter eine Lösung. Die Nachfrage ist groß, gearbeitet wird rund um die Uhr.
Kurz nach Mitternacht macht Schichtführer Manni Bartel (49) nach einem ersten Blick in das elektronische Schichtbuch seine Runde durch die Hallen des RPC-Werkes in Kutenholz. Auf großen Bildschirmen hat der 49-Jährige alle Anlagen im Blick. Überall leuchtet es Grün. Es läuft. Acht Kollegen arbeiten heute Nacht mit ihm. Unter ihnen ist der Industriemechaniker Andreas Holst (36). Der richtet gerade die Prüfgeräte einer Maschine ein. „Für die Produktion von Salzstreuern“, sagt der Mulsumer.
In wenigen Stunden werden alle 5,9 Sekunden vier Salzstreuer das Licht der Welt erblicken. Bei den Ketchup-Flaschen sind es acht, alle 6,8 Sekunden. „Ich bin seit 33 Jahren bei RPC“, erzählt Bartel, während Holst schraubt. Hier gehe es „sehr familiär“ zu. Das Betriebsklima stimme. Früh-Spät-Nacht, das ist sein Lebensrhythmus. Um 22 Uhr war Schichtbeginn – und Bartel ist immer noch putzmunter.
Qualitätssicherung I: Schichtleiter Manni Bartel prüft eine rote Flasche, auch die bekannte Hela- Ketchup-Flasche ist made in Kutenholz .
Von den 44 Linien laufen 34. Es ist laut. Gehörschutz und Haube sind Pflicht, vor dem Betreten muss sich jeder die Hände desinfizieren. „Wir arbeiten schließlich auch für die Lebensmittelindustrie“, sagt Bartel. Die kommt auf einen Anteil von 60 Prozent, Health & Beauty und Home & Garden machen den Rest aus. 80 Prozent der Kunden sitzen in Deutschland. Unilever, Beiersdorf, Elsdorfer Molkerei, Stada, Hela, Schwartauer Werke und viele mehr gehören zu den RPC-Kunden.
Industrie 4.0, in Kutenholz ist die Zukunft längst Gegenwart. Roboter verpacken nicht nur die Duschgel-Flaschen in Packzellen in Mehrweg-Kartons. Durch die Hallen düsen „Fahrerlose Transportfahrzeuge“. Mit einem Laser tasten sie die Umgebung ab und stoppen sofort, wenn sich jemand in den Weg stellt. Doch in der Hightech-Fabrik ist kaum ein Mensch zu sehen. Wie von Geisterhand gesteuert, spucken die Maschinen immer neue Flaschen aus. Einige der Anlagen schaffen locker 100 000 Stück am Tag.
„2017 haben wir 388 Millionen produziert“, sagt Geschäftsführer Andreas Köhnen. Der Umsatz liegt bei rund 35 Millionen Euro. Weltweit gibt‘s 194 Standorte in 34 Ländern, 25 000 Mitarbeiter hat der britische Konzern, der auf einen Umsatz von mehr als vier Milliarden Euro kommt. Keimzelle des Kutenholzer Standorts war die im Jahr 1947 von Gustav Weide gegründete Glaswarenfabrik. Damals wurden Glasröhren zum Abfüllen von Benzin gefertigt, seit 1997 gehört das Werk zur RPC-Gruppe.
Im Konzernverbund sind die Kutenholzer die Meister des Extrusionsblasverfahrens. Und wie funktioniert’s? Aus riesigen Silos wird das Kunststoffgranulat angesaugt und im Materialbahnhof unter dem Dach zusammengestellt. 37 Tonnen am Tag, zum Teil vorgewärmt, um Energie zu sparen. Dann geht es weiter. Der Kunststoff wird bis zu 180 Grad erhitzt, die Schmelzeschläuche werden vertikal ins Freie „extrudiert“ (hinausgetrieben) und von einer zweiteiligen Negativ-Form aus Stahl- und/oder Alu „mit einer Schließkraft von zwölf Tonnen“ umschlossen. Dann wird der Schlauch mit Druckluft aufgeblasen und legt sich an die Wandung. Rasend schnell wird dieser Hohlkörper in der Form heruntergekühlt und erstarrt. Fertig ist die Verpackung.
Industrie 4.0: Fahrerlose Transportfahrzeuge sind im Lager im Einsatz.
Ständig wird die Qualität überprüft, Mensch und Technik ergänzen sich. Um 0.30 Uhr überprüft Bartel mit der Hilfe einer elektronischen Messlehre, ob die Flaschengröße stimmt. Auch das Gewicht wird auf der Waage gecheckt, der PC automatisch mit den Prüfergebnissen gefüttert. Hightech-Kameras durchleuchten die Behältnisse, vor dem Einpacken scannt ein Metalldetektor die Produkte. Der Ausschuss wird zermahlen und wieder verwendet. Umweltschutz. Doch das ist nicht der einzige Grund. Der Rohstoff ist teuer. Die Devise lautet: Null Granulat-Verlust.
Im Werk gibt es eine eigene Design- und eine Entwicklungsabteilung (eine von 32 im RPC-Konzern). Auch den Formen- und Werkzeugbau haben die Kutenholzer nicht aus der Hand gegeben. Dadurch kann RPC schnell Kundenwünsche erfüllen. Das stärkt im Wettbewerb. Diese Abteilung liegt jetzt im Dunkeln. Die Kollegen arbeiten tagsüber. Holst ist begeistert von seinem Job und der Technik. Hydraulik, Mechanik, Elektronik und Pneumatik: „Ich habe einen sehr abwechslungsreichen Arbeitsplatz.“
Bartel setzt seinen Gang durch die Produktion fort. Sein Blick fällt auf eine der MultilayerAnlagen. Die sind der ganze Stolz der RPCler. Sechs Schichten inklusive einer Sauerstoff- und UV-Barriere sind möglich. Dadurch ist der Inhalt länger bei Raumtemperatur haltbar, so Produktionsleiter Arndt Steffens. Ein Beispiel: Bei Premium-Tomatenketchup werden der Geschmack und die Farbe dadurch erhalten. Diese Verpackungen sind auch weltweit gefragt, rund 20 Prozent der Produktion gehen in den Export, die Niederlande sind ein wichtiger Markt.
Qualitätssicherung II: Eine Hightech-Kamera durchleuchtet rasendschnell die Kunststoffflaschen auf dem Band, Mensch und Technik ergänzen sich.
Doch auch am Persischen Golf schwören Unternehmer auf die Kutenholzer. Im Königreich Bahrain wird flüssiger Käse in eine solche Verpackung gefüllt. Viele Produkte sind saisonabhängig, bei super Grillwetter müssen im Sommer schon mal Extraschichten gefahren werden, auf Leiharbeit wird verzichtet. Es gibt einen Extra-Pool für die Spitzen. Was auffällt: Fast alle haben bereits bei RPC gelernt.
„Wir legen großen Wert auf Ausbildung“, sagt Geschäftsführer Köhnen. Vom Maschinenbauer im Dualen Studium, Produktdesigner, Industriekaufmann- oder -mechaniker, die Bandbreite ist groß. Die Beschäftigten freut es, das Unternehmen wächst und investiert. Im Herbst, das hat Köhnen im Vorgespräch verraten, wird eine neue Maschine für mehr als eine Million Euro eingerichtet. Es läuft – und läuft.
Serie: Die 24-Stunden-Reportage
Für die Serie „24 Stunden: Reportagen rund um die Uhr“ verbringen TAGEBLATT-Redakteure je eine Stunde an einem Ort in der Region. Start und Ende der Serie ist 0 Uhr, was 24 Stunden und damit 24 Serienteile ergibt. Und das sind die Folgen:
Teil 1: In der Verpackungsindustrie
Teil 2: Im Altenheim
Teil 3: Im Musikladen Heinbockel
Teil 4: Im Elbe Klinikum
Teil 5: Mit dem Bevern-Bus on Tour
Teil 6: Auf dem Wochenmarkt
Teil 7: Im Tower bei Airbus
Teil 8: Der Hausmeister
Teil 9: Die Wasserschutzpolizei
Teil 10: Bei Stackmann
Teil 11: Auf der Baustelle
Teil 12: Der Parkplatzwächter
Teil 13: Am Bratwurststand
Teil 14: Der Tierpfleger
Teil 15: In der Demenz-WG
Teil 16: Am Strand
Teil 17: Bei der Orgelführung
Teil 18: Der Streetworker
Teil 19: Bei der Ernte
Teil 20: Beim Party-Service
Teil 21: Im Freibad
Teil 22: Beim Kampfsport
Teil 23: Im Einzelhandel
Teil 24: In der Kneipe