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Mohr wird 70 Jahre

More Moden aus der Traumfabrik in Dollern

Stolz auf die Vergangenheit und keine Angst vor der Zukunft: Beke und Volker Mohr . Foto: Stephan

Stolz auf die Vergangenheit und keine Angst vor der Zukunft: Beke und Volker Mohr . Foto: Stephan

Das Modehaus Mohr feiert 70-jähriges Bestehen. Im TAGEBLATT-Interview zu diesem Anlass verraten die Inhaber Beke und Volker Mohr unter anderem, was sich in 70 Jahren Firmen-Geschichte geändert hat und warum die Mode heute so viel schnelllebiger ist

Von Wolfgang Stephan Samstag, 03.03.2018, 18:00 Uhr

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Es ist kein alltäglicher Termin. Ein Pressegespräch im Hause Mohr. Beke und Volker Mohr zum Interview zu treffen, gehört zu den Raritäten des Journalismus, denn die beiden Inhaber des gleichnamigen Modehauses in Dollern gehören zur Gattung der eher zurückhaltenden Menschen. Lieber einmal mehr schweigen, als über sich selbst reden. Und es ist typisch für die Mohrs, dass wir uns im entferntesten Winkel des Hauses getroffen haben. Im Büro von Gerhard Mohr. Einem Raum, in den der vor drei Jahren verstorbene Seniorchef jeden Moment eintreten könnte. So, als ob er noch immer wirken würde. Letztlich tut er das, denn Tradition und Familie spielen bei den Mohrs eine ganz große Rolle. Heute wird Geburtstag gefeiert. 

TAGEBLATT: Das Modehaus Mohr feiert den 70. Geburtstag. 70 gute Jahre liegen hinter ihnen, glauben Sie, dass die nächsten 70 Jahre auch erfolgreich sein werden oder haben sie angesichts der Bedrohung durch den Internethandel eher Angst vor der Zukunft?

Volker Mohr: Angst ist wohl eher ein schlechter Ratgeber. Wir haben keine Angst vor der Zukunft, wir versuchen, nur ständig wachsam zu sein. Dieser 70. ist ein runder Geburtstag und ein runder Geburtstag kann und sollte gefeiert werden. Mit Kunden und Mitarbeitern. Auf eine 70-jährige Firmen-Geschichte zu blicken, das ist heutzutage sicherlich auch etwas Besonderes. Häuser unserer Art gibt es nicht mehr viele. Es gibt viele kleine Geschäfte und es gibt die ganz Großen, die Konzerne und Filialisten. Aber Häuser unserer Art, die inhabergeführt sind und individuell ihr Sortiment, ihren Ladenbau, ihre Beratungskompetenz und die Werbung auf die Kunden abstimmen, verschwinden immer mehr. Insofern ist ein 70. Geburtstag für uns ein guter Grund zum Feiern.

Sind die Zeiten für das Modehaus Mohr in den vergangenen zehn Jahren härter geworden?

Volker Mohr: Die Zeiten sind sehr schnelllebig, deutlich schnelllebiger als noch vor zehn oder vor zwanzig Jahren. Die Dinge ändern sich in einem rasanten Tempo und wir müssen darauf deutlich schneller reagieren.

Beziehen Sie das auf die Mode?

Volker Mohr: Nicht nur. Nehmen Sie nur die Medien: Früher haben wir die Werbung für die Saison einmal festgelegt und dann entsprechende Anzeigen geschaltet und Prospekte der lokalen Tageszeitung beigelegt. Das machen wir heute auch noch, aber zusätzlich versenden wir wöchentliche Newsletter und sind bei Facebook sehr aktiv. Wir reagieren sehr viel schneller auf Marktveränderungen. Natürlich betrifft das in erster Linie die Mode …

Beke Mohr: … wir handeln mit Produkten, die kurzlebig sind. Die Mode wird immer vielfältiger, ausdrucksstärker, sodass wir auch innerhalb einer Saison Veränderungen vornehmen müssen. Das war in der Vergangenheit anders. Wir handeln heute mit einem extrem sensiblen Produkt, das viel stärker den Marktmechanismen unterworfen ist.

Nennen Sie uns ein Beispiel für diese Mechanismen?

Beke Mohr: Das sind Einflüsse, die von Promis oder Bloggern kommen, die kurzfristig Trends setzen. Früher hat die Industrie die Trends gesetzt, die galten dann für eine ganze Saison, heute verändert sich die Mode viel schneller. Nehmen wir ein Beispiel aus der Jeansmode. Da gab es in der letzten Saison Fashion-Jeans mit ausgefranstem Saum an den Enden. Die hatten uns gut gefallen, die hatten wir im Sortiment, aber die liefen nicht besonders gut. In dieser Saison machten ein paar Blogger und in der Folge die Zeitschriften diese Jeans zum Trend und die Nachfrage war groß. Wir reagieren in diesen Fällen, also können Sie diese Jeans dann auch bei Mohr kaufen. Wir ergänzen unser Sortiment fortlaufend. Sie können sicher sein: Wir beobachten den Modemarkt ganz genau und vor allem reden wir mit unseren Kunden. Die sagen uns schon, was hip ist. Übrigens ist das ein großer Vorteil von einem Haus unserer Größe in dieser Struktur: Wir können schnell reagieren und wir reagieren auch ganz schnell.

Die Eingangsfrage betraf auch den Online-Handel. Letztlich hat das Modehaus Mohr sein Fundament im Versandhandel …

Volker Mohr: Gut, dass Sie das erwähnen.

Die Großeltern der heutigen Inhaberfamilie kamen gebürtig aus dem Alten Land und wollten das elterliche Textilgeschäft in Steinkirchen nicht übernehmen. Sie sind nach Mecklenburg gezogen und haben dort ein Geschäft erst gepachtet und dann erworben. Später kam noch ein landwirtschaftlicher Betrieb dazu, vor allem Obstbau. Nach dem Krieg verließen die Großeltern wegen der russischen Willkür ihr Domizil und kamen mit den Kindern zurück in die alte Heimat. Der Großvater fuhr mit dem Rad über das Land und betrieb einen kleinen Handel, er hat vor allem Dinge getauscht, bis er von einem Landwirt die Möglichkeit bekam, ein Stück Land in Dollern zu bekommen.

Die Geschäftsidee von Bodo Mohr und seiner Frau Gesine bestand aus einem Bettengeschäft. Letztlich ist aus dieser Idee dann ein Versandhandel mit einem kleinen Ladengeschäft entstanden. Mit dem Eintritt von Gerhard und Elli Mohr Mitte der 50er Jahre wurde das Sortiment um Berufs- und Sportbekleidung, Wäsche, Damen- und Herren-Oberbekleidung erweitert und der erste 42-seitige Versandkatalog erschien 1954 erstmals überregional.

Bis zu 350 Beschäftigte arbeiteten damals in dem Versandhandel – der sich zu dieser Zeit in der Republik zum großen Hit entwickelte: Quelle, Otto, Schöpflin – alles große Namen der Branche. Anfang der 70er Jahre erfolgte unter der Führung von Gerhard und Elli Mohr die erfolgreiche Umstellung vom Versandhandel zum Einzelhandel. 1989 stieg Volker Mohr, wenige Jahre später auch seine Frau Beke, in das Unternehmen ein, das gemeinsam mit den Eltern Mitte der Neunzigerjahre um 4500 Quadratmeter und 2004 um ein Sporthaus erweitert wurde.

Vom Versandhandel zum Internet-Handel – das wäre doch eine nahtlose Fortsetzung der Historie in die Zukunft?

Volker Mohr: Wir sind in erster Linie klassische Einzelhändler und haben kurzfristig nicht vor, das zu ändern. Was nicht heißt, dass wir uns mit dem Thema Online-Geschäft nicht intensiv beschäftigen. Der Umgang mit digitalen Medien ist zur Kommunikation mit dem Kunden unerlässlich.

Die Frage ist aber: Wie sehr leidet auch das Modehaus Mohr unter der Konkurrenz des Online-Handels?

Volker Mohr: Wir haben in den letzten Jahren eine positive Entwicklung bei Umsatz und Ertrag. Das ist das Entscheidende. Wie viel mehr Umsatz wir machen würden, wenn es den Online-Handel nicht geben würde, ist immer schwer zu beantworten. Natürlich denken wir darüber nach, bestimmte Sortimente online darzustellen. Der Kunde würde dann auf unserer Homepage auch Artikel sehen, die er dann sofort reservieren und bei uns abholen kann. Derlei Modelle gibt es. Aber noch einmal: Unsere Kernkompetenz ist der stationäre Einzelhandel. Wir wollen die Menschen beim Einkauf in unserem Haus begeistern, sie kompetent beraten. Wir wollen, dass sie sich bei Mohr wohlfühlen. Wir wollen ein Erlebnis schaffen, der Kunde kann schöne Ware anfassen und natürlich auch erwerben.

Das sind schöne Slogans, aber was bedeutet das in der Praxis?

Volker Mohr: Das bedeutet, dass wir aus den vielfältigen Kollektionen der Hersteller die Dinge aussuchen, die unseren Kunden gefallen oder gefallen könnten. Wir stellen ein Angebot zusammen, das wir unseren Kunden anbieten. Und damit haben wir bisher Erfolg gehabt. Wir könnten und wollten auch überhaupt nicht alle Teile einer Kollektion anbieten, weil es auch viel gibt, was wir gar nicht gebrauchen können. Wir versuchen aber permanent auf unseren 19 000 Quadratmetern das schönste und individuellste Angebot für unsere Kunden auf die Fläche zu bringen. Unsere Kunden sollen, wenn sie nach ihrem Einkauf nach Hause kommen, sich an den gekauften Produkten erfreuen und nicht das Gefühl bekommen, sie wieder umtauschen zu müssen.

Sie kennen die Psyche ihrer Kunden?

Beke Mohr: Ob wir die Psyche kennen, weiß ich nicht. Aber wir kennen den Geschmack unserer Stammkunden und die machen mit fast 70 Prozent den größten Teil unseres Kundenstammes aus. Unsere guten Verkäufer kennen den Kleiderschrank ihrer Kunden. Wenn wir bei den Herstellern einkaufen, haben wir unsere Kunden vor Augen.

Wie sieht der klassische Kunde von Mohr aus?

Beke Mohr: Den klassischen Kunden gibt es nicht. Wir bedienen die ganze Palette vom Klassiker bis zum High-Fashion-Kunden. Wir bieten ein Angebot von Anfangspreislagen bis hin zu Premium-Preislagen, sodass für jeden Geschmack und Geldbeutel das entsprechende Angebot vorhanden ist.

Also, alles gut beim 70. Geburtstag?

Volker Mohr: Ja, da würden wir nicht widersprechen. Wir sind ganz zufrieden. Aber Zufriedenheit darf nicht Stillstand bedeuten und deswegen werden wir das Haus wieder umgestalten, werden Marktveränderungen Rechnung tragen, so wie es in den letzten Jahrzehnten auch geschehen ist. Der größte Bereich wird auch in Zukunft die Mode sein, aber das Möbelangebot wird spezialisiert und der Sportbereich enorm erweitert. Mohr gestaltet Zukunft. Bevor Sie danach fragen: Das ist mehr als ein Slogan.

Wie sieht diese Zukunft aus?

Volker Mohr: Wir werden unseren Sportbereich deutlich verändern und erweitern. Von 1200 auf 2000 Quadratmeter, also fast verdoppeln. Wir werden den Bereich Küche verändern. Küche kann nicht jeder, wir können das gut, wir sind da mit unserer Mannschaft sehr kompetent, was Beratung, Aufmaß, Lieferung und Aufbau gleichermaßen betrifft. Und deshalb werden wir dem Bereich Küche auch mehr Fläche geben. Das gilt gleichermaßen auch für den Möbelbereich gesundes Schlafen im weitesten Sinne mit Boxspring-Betten, Matratzen, Bettwaren und Heimtextilien.

Wenn mehr Fläche gebraucht wird, muss es an anderer Stelle auch Veränderungen geben?

Volker Mohr: Das ist richtig, wir werden künftig Polstermöbel, Tischmöbel und Schrankmöbel in Zukunft im Haupthaus nicht mehr anbieten, aber in unserem externen Mitnahmemarkt in Dollern. Die so gewonnenen Flächen werden wir dem Möbelbereich Küche und Schlafen geben, auch der Sportbereich kommt ins Haupthaus. Mit ganz vielen neuen Elementen. Wir werden die Kernsegmente Fitness-, Teamsport, Bade-, Kinder-, Outdoor, Schuhe sehr zeitgeistig auf individuell und modern gestalteten Flächen darstellen. Das Thema Laufen wird auch eine deutlich größere Kompetenz bekommen. Wir werden demnächst Laufanalysen per 3 D-Scanner und auch per Videoanalyse anbieten. Der Markt im Bereich Sport und Freizeit wächst ständig und wir wollen dem hiermit Rechnung tragen.

Und was kommt in die ehemalige Sporthausfläche?

Volker Mohr: Da werden wir mit Budnikowski einen weiteren kompetenten Partner nach Dollern bringen.

Diese Konzentration auf die Stärken, ist das eine neue Linie für die Zukunft?

Volker Mohr: Im gewissen Sinne wäre das so zu sagen: Wir stehen für die Dinge, die wir besonders gut können, bei denen wir eine besondere Kompetenz haben. Der Kunde soll wissen, was ihn bei Mohr in Dollern erwartet. Wir blicken sehr gerne in die Vergangenheit, um uns bewusst zu machen woher wir kommen, wo unsere Wurzeln sind, aber wir sind natürlich sehr zukunftsorientierte und moderne Menschen, die auch weiterhin Zukunft gestalten wollen. Das alles geht natürlich nicht ohne unsere vielen guten und treuen Mitarbeiter, die unser Konzept zusammen mit uns nach vorne schieben und aktiv mit Leben füllen. Und die neue Zukunft beginnt im September mit den neuen Sortimenten in neuen Räumen.

Zum Abschied weist Volker Mohr fast verschämt auf zwei Bildbände hin, die auf dem Besprechungstisch nebenan liegen. Es sind Hochglanz-Präsentationen von ausgewählten und prämierten Modeshops in Europa. „More Männersachen“ ist der Titel der neugestalteten Stilwelten der Mohr-Männermode und „Traumfabrik in Niedersachsen“ steht über der Präsentation der 2016 neu gestalteten Damenabteilung auf den Doppelseiten 130/131. Auf der nächsten Seite steht die Titelzeile „Glanzleistung“. Gezeigt wird der neue Armani-Shop in Mailand …

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