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Gefunden in Rheinland-Pfalz

Drei Jahre entführt: Balou ist wieder da

Jennifer und Carsten Tamke freuen sich über Balous Rückkehr. Sohn Thees (2) kam in der Zeit zur Welt, als der Berner Sennenhund drei Jahre lang verschollen war. Foto: Fehlbus

Jennifer und Carsten Tamke freuen sich über Balous Rückkehr. Sohn Thees (2) kam in der Zeit zur Welt, als der Berner Sennenhund drei Jahre lang verschollen war. Foto: Fehlbus

Drei Jahre lang war der Berner Sennenhund weg. Es gab eigentlich keine Hoffnung, ihn jemals wiederzusehen. Dann fand das Tier 600 Kilometer von zu Hause entfernt einen Weg, auf sein Schicksal aufmerksam zu machen.

Von Miriam Fehlbus Samstag, 24.07.2021, 19:30 Uhr

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„Ich weiß noch, wie wir morgens nach ihm gesucht haben“, erzählt Jennifer Tamke. Die 34-Jährige dachte 2017 zuerst, ihr Mann Carsten hätte Balou zum Melken mit in den Stall genommen. Da aber war er nicht. Sie suchten mit Freunden die benachbarten Wälder und Wiesen ab. Schließlich könnte der Rüde ja doch einmal einer Hündin im Liebesrausch gefolgt sein. Wobei das eigentlich unmöglich war: Balou konnte und kann keine Türen öffnen. Am Ende gibt es kaum einen Zweifel. Über Nacht ist der Hund von der Diele des alten Bauernhauses verschwunden.

„Wir haben uns schon gedacht, dass es mit einer jungen Frau in der Nachbarschaft zusammenhängt“, sagt Jennifer Tamke. Diese hatte den Hofhund einige Male ausgeführt und sich nach eigenen Angaben unsterblich in das schöne Tier verliebt. Doch Balou hatte ja eine Familie, die ihn als Welpen 2013 in sein neues Zuhause geholt hatte. „Wir haben ihr dann gesagt, dass Balou zu uns gehört“, erzählt Jennifer Tamke. Und sie hatten schließlich der damaligen Nachbarin die Gassi-Runden, die immer mehr und länger im Zuhause der Frau endeten, untersagt. Das scheint den Ausschlag gegeben zu haben, kurz danach verschwand Balou.

Chipnummer bei Tasso brachte keinen Erfolg 

Heute wissen Tamkes, wo Balou die ganze Zeit über war. Damals hatten sie schlaflose Nächte. Das Tier ist bei Tasso gemeldet, einer zentralen Datenbank für Haustiere. Die Chipnummer des Mikrochips, den Balou wie heute alle offiziell gemeldeten Hunde unter der Haut trägt, ist dort hinterlegt. Selbst wenn das Halsband ausgetauscht wird, bleibt der Hund damit unverwechselbar. Nur Balou blieb verschwunden.

„Wir hatten ja den Verdacht, dass die Frau, die vier Wochen später hier weggezogen ist, Balou mitgenommen hat“, sagt Carsten Tamke. Aber nachzuweisen war das schwer. Wahrscheinlicher wäre doch, dass ein vier Jahre alter Hund wegläuft oder höchstens vielleicht noch von Hundedieben zufällig mitgenommen wird. Ein europaweiter Aufruf bei Tasso, viele Anrufe bei der Polizei – alles blieb erfolglos.

Aufgetaucht in einem Tierheim in Rheinland-Pfalz

Balou liegt jetzt auf der Rasenfläche vor dem Haus der Familie. Er ist sichtbar älter geworden und Einzelhund geblieben. Sozusagen. „Wir wollten nach ihm keinen anderen Hund haben“, sagt Carsten Tamke. Balou – der Traumhund – hatte im Alltag des jungen Landwirtspaars ein großes Loch hinterlassen. Bis zum 3. März 2020. Carsten Tamke weiß noch genau, wie er morgens gerade beim Zahnarzt saß, als eine SMS auf seinem Handy „Ping“ machte. „Ihr Hund Balou wurde gefunden. Bitte kontaktieren Sie dringend Tierheim Bad Kreuznach“, stand da geschrieben. Das Tierheim liegt in Rheinland-Pfalz, südwestlich von Mainz. Der 36-Jährige nahm sofort Kontakt mit seiner Frau auf, die von zu Hause den Anruf tätigte. Es war Balou, den sie dort, 600 Kilometer entfernt, gefunden hatten, daran bestand kurz darauf kein Zweifel.

„Sie haben uns dann ein bisschen ausgefragt, wie es denn sein könnte, dass der Hund so weit entfernt im Tierheim landet“, weiß Jennifer Tamke noch. Sie erzählte von ihrem Verdacht, von der vergeblichen Suche. Und die Mitarbeiterin im Tierheim begann dann ihrerseits zu erzählen. Dass Balou nachts von der Polizei als entlaufener Hund aufgegriffen und im Tierheim durch die dafür vorgesehene Nottier-Klappe abgegeben worden sei. Dass es da eine andere Familie gebe, die sich auf den Aufruf über die Homepage des Tierschutzvereins, der das Tierheim betreibt, gemeldet habe. Ihnen sei der Hund entlaufen. Was die erfahrene Mitarbeiterin der Tierschutzstation aufhorchen ließ, war, dass die Familie sofort bereit war, den Hund abzugeben, als sie vom Tierheim erfuhr, dass der Chip ausgelesen und die Vorbesitzer kontaktiert worden seien. „Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass der Familie bewusst war, dass da in der Anfangszeit etwas nicht gut gelaufen ist“, sagt Jennifer Tamke.

Verdacht der Familie bestätigte sich

Im Nachhinein hat sich alles so bewahrheitet, wie es Tamkes vermutet hatten. Balous Familie auf Zeit zeigte sich kooperativ und füllte die zeitliche Lücke mit Informationen. Doch vorher stand noch ein anderes Ereignis an: das Wiedersehen. „Wir sind sofort am nächsten Tag losgefahren, haben uns vorher noch eine Hundebox organisiert“, erzählt Carsten Tamke. Auf der Fahrt kamen dem Paar dann Zweifel. Würde Balou sie überhaupt noch wiedererkennen? Und vielleicht würde er auch seine andere Familie vermissen. „Wir wollten nicht, dass er traurig wird, er war ja auch älter geworden“, sagt Jennifer Tamke.

Die Antworten auf diese Fragen nahm Balou den beiden ab. „Zuerst hat er nur mit einem Auge durch die Gitterstäbe geschielt und den Kopf so teilnahmslos gehalten, als würde er sagen, ach, schon wieder irgendwelche Tierheimbesucher“, sagt Carsten Tamke.

Aber als er dann die Stimme von Jennifer Tamke hörte, sprang das bärige Tier mit den großen Pfoten auf. „Er hat sich gedreht, ist gesprungen und war völlig aus dem Häuschen“, sagt Jennifer Tamke, und dabei stehen der 34-Jährigen Tränen in den Augen.

Die Tierheim-Mitarbeiterin sagte sofort, dass es da ja wohl keinen Zweifel gebe, dass das ihr Hund ist. „Balou sprang, ohne zu überlegen, ins Auto in die fremde Kiste“, staunt Carsten Tamke noch heute. So als wollte er sagen, los geht’s, ab nach Hause.

So sahen Balous letzten drei Jahre aus

Später erfuhren die Tamkes, wie die drei Jahre von Balou ausgesehen haben und wie es dazu kam, dass ihm im Tierheim zum ersten Mal der Chip ausgelesen wurde. „Man denkt ja immer, das müsste auch mal routinemäßig beim Tierarztbesuch geschehen, aber das ist gar nicht der Fall“, sagt Carsten Tamke. Dafür musste Balou erst selbst einmal weglaufen. Die junge Frau, die Tamkes im Verdacht hatten, hatte Balou tatsächlich „entführt“. Sie nahm ihn mit in ihre alte Heimat, behielt ihn aber nicht. „Das hat uns wirklich gewundert“, sagt Jennifer Tamke. „Ich habe mich immer damit getröstet, dass es Balou gut geht, dass er geliebt wird, wenn er wirklich bei ihr ist.“ Doch die Frau gab den Hund offenbar nach sechs Wochen an die Familie ab und zog selbst 200 Kilometer weit weg.

Balou hatte es wohl dennoch gut. Er lebte in der Familie, reiste oft in die Schweiz, wo der Familienvater beruflich zu tun hatte. Doch die Ehe der neuen Hundebesitzer zerbrach. Balou wurde mit zum Scheidungskind. Er wechselte zwischen dem Wohnsitz des Vaters und der Frau mit den Kindern hin und her. Um den 2. März 2020 war er wieder einmal gerade bei den Kindern angelangt, als er weglief. Und von der Polizei ins Tierheim gebracht wurde.

Eine Sache hatte sich in der Zwischenzeit auf dem Hof Tamke in Farven geändert. Zwar ist kein neuer Hund eingezogen, aber Thees ist zur Welt gekommen. Der Zweijährige hat aus Jennifer und Carsten Tamke eine Familie gemacht. „Wir hatten am Anfang Sorgen, dass Balou eifersüchtig sein könnte“, sagt Jennifer Tamke, während sich Thees im Hintergrund mit einer großen Umarmung auf den Hund fallen lässt. Balou scheint es zu genießen. „Er ist einfach ein Traumhund“, sagt Jennifer Tamke.

Strafanzeige ohne Erfolg

Manchmal sind sie nachdenklich. Es sind drei Jahre, die ihnen mit Balou fehlen. „Da denkt man jetzt schon mal dran, so rückblickend“, sagt Carsten Tamke. Für Jennifer Tamke hat das Erlebnis Konsequenzen: „Hier wird kein Tier mehr mit irgendjemandem geteilt“, sagt die Landwirtin und Ponybesitzerin entschlossen. Die Erfahrung sei einfach zu schlecht gewesen.

Tamkes haben im Nachhinein noch Anzeige gegen die Frau gestellt. Immerhin hat sie den Hund gestohlen. Aber rein juristisch war es ein Gegenstand von geringem Wert, den die Frau entwendet hat, und nun war „die Sache“ ja wieder da, signalisierte schon die Polizei bei der Erstellung der Anzeige. Die Staatsanwaltschaft nahm das Verfahren nicht auf.

Balous Entführung bleibt unbestraft. Das ärgert die Familie. „Ich kann nicht einfach was nehmen, das mir nicht gehört und damit abhauen“, sagt Carsten Tamke. Am Ende aber überwiegt die Freude über die Rückkehr von Balou, dem Berner Sennenhund, der die Schweiz gesehen hat – anders als Herrchen und Frauchen übrigens. Ob der Hofhund lieber darauf verzichtet hätte? So zufrieden wie er da liegt, bleibt nur, Vermutungen anzustellen.

Tasso-Register

Tiere im Vermisstenfall vor dem endgültigen Verschwinden zu schützen, dafür sorgt das Haustierregister von Tasso e.V. Seit fast 40 Jahren hilft der Verein bei der Rückvermittlung von vermissten Tieren. Jedes Jahr konnten nach Angaben von Tasso so mit dem kostenlosen, spendenfinanzierten Service etwa 93 000 Tiere an ihre glücklichen Halter zurückvermittelt werden. www.tasso.net

 

Symbolfoto: Archiv

Symbolfoto: Archiv

Tamkes haben die Vermisstenanzeige von damals noch abgespeichert.

Tamkes haben die Vermisstenanzeige von damals noch abgespeichert.

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