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Initiativen gehen auf dem Zahnfleisch

Initiativen gehen auf dem Zahnfleisch

Die Premiere ist geglückt: Zum ersten Mal hatte die Initiative „Fair geht vor“ die Flüchtlingsbetreuer aus allen Kommunen des Kreises ins Stadtteilhaus des Altländer Viertels eingeladen. 

Von Daniel Beneke Freitag, 04.12.2015, 15:40 Uhr

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40 Aktive trafen sich am Donnerstagabend, um zusammen mit den Landtagsabgeordneten Petra Tiemann (SPD) und Kai Seefried (CDU) ihre Erfahrungen und Kontakte auszutauschen.

Der Abend begann mit Geschenken: Die Aktionsgemeinschaft spendete den Asyl-Arbeitskreisen aus Jork, Lühe und Oldendorf-Himmelpforten je 500 Euro. Das Geld hatte das Team in den letzten Monaten bei Benefiz-Flohmärkten und Haushaltsauflösungen gesammelt. Dass die Ehrenamtlichen bei ihrer Arbeit mit den Schutzsuchenden jede Unterstützung nötig haben, zeigte die intensive Diskussion im Anschluss. „Wir brauchen im positiven Sinne verrückte Menschen, die sich über das normale Maß hinaus einbringen“, erklärte CDU-Mann Seefried mit Blick auf die versammelten Flüchtlingsbetreuer. „Wir wissen, dass in der aktuellen Situation ohne Ihr riesengroßes Engagement vieles nicht funktionieren würde“, betonte der Parlamentarier. „Aber wir erleben auch, dass das Ehrenamt irgendwann an seine Grenzen kommt“, gab er freimütig zu.Helmut Wulff aus Himmelpforten: „Mir liegt viel daran, dass der soziale Frieden erhalten bleibt. Jeder Einzelne kann etwas tun.“

„Ich bin ein Flüchtlingskind“, bekannte seine SPD-Kollegin Tiemann. „Vielen Menschen machen Fremde Angst“, berichtete die Tochter eines Ostpreußen und einer Litauerin aus eigener Erfahrung. Die Asylkreise in den Gemeinden leisteten als Brückenbauer einen wichtigen Beitrag zu einem friedlichen Miteinander und agierten als Brückenbauer zwischen den Kulturen: „Sie machen das hervorragend.“Ingrid Kemme aus Wischhafen: „Ein großes Problem für uns in Nordkehdingen ist die Entfernung. Die Fahrten sind sehr zeitraubend.“

Aus vielen Gesprächen habe die Landtagsabgeordnete mitgenommen, dass „eine verschlungene Bürokratie“ den Helfern vor Ort das Leben schwer macht. So gebe es alleine 66 verschiedene Aufenthaltstitel. Neben den Konflikten mit Behörden seien aber vor allem die persönlichen Schicksale der häufig traumatisierten Asylbewerber kaum zu ertragen. Mit der Folge, dass die Ehrenamtlichen selbst psychologische Betreuung bräuchten.Bodo Lawrenz aus Jork: „Bei den Verletzungen der Flüchtlinge gibt es spektakuläre Fälle. Operationen kosten Zehntausende Euro.“

Ein neues Koordinierungsbüro soll ab 2016 Abhilfe schaffen. 120 000 Euro habe der Kreistag dafür bereits im Haushalt eingestellt, verkündete Tiemann. Von der evangelischen Landeskirche kämen zusätzliche Fördermittel. Außerdem habe sich der Landtag mit dem Problem der überlasteten Helfer beschäftigt. „Das ist eine Thematik, die wir ganz dringend angehen müssen“, mahnte Gastgeber Uwe Kowald von „Fair geht vor“, der durch den Abend führte. Die öffentliche Hand dürfe ihre Aufgaben nicht auf die Ehrenamtlichen abwälzen.Bärbel Alpers aus Horneburg: „Wir haben die Partnerschaft für einen Flüchtling aus Syrien übernommen. Er ist für uns wie ein Pflegekind.“ 

Dass Geld alleine aber auch keine Lösung ist, bestätigten die Erlebnisse des Psychologen Helmut Morjan, der inzwischen als Koordinator für das Berufsbildungswerk Cadenberge-Stade tätig ist. Er stellte das Projekt „Zweifach helfen“ vor, das Flüchtlinge in Beschäftigungsmöglichkeiten vermittelt. Für 1,05 Euro pro Stunde dürfen sie in Vereinen, kirchlichen Einrichtungen oder Gemeinden arbeiten. Der auf maximal 20 Stunden in der Woche angelegte Job endet nach spätestens 15 Monaten. Er gebe dem Alltag der Asylbewerber eine verlässliche Struktur und erleichtere die Integration. Sie kämen schneller mit Einheimischen in Kontakt und könnten nebenbei ihre Sprachkenntnisse verbessern. Die Kosten für den Träger seien gering. Dennoch weigerten sich einige Kommunen, Zufluchtsuchende einzustellen.Julia Zimmermann aus Beckdorf: „Wir haben entschieden, dass wir uns besser organisieren und die Aufgaben verteilen müssen.“

An den Tischen wurde lange diskutiert – über Erfahrungen mit Sprachkursen, Anwälten, Ärzten und Ämtern. Tipps machten die Runde. Aber auch die eigene Betroffenheit, wenn liebgewonnene Asylbewerber plötzlich abgeschoben werden, kam zur Sprache.

Die Netzwerktreffen von „Fair geht vor“ sollen nächstes Jahr weitergehen.

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