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Der Saucengott holt den Stern

Der Saucengott holt den Stern

Jens Rittmeyer, Küchenchef und gastronomischer Leiter des Vier-Sterne-Hotels Navigare in Buxtehude, hat mit seinem Restaurant N°4 erstmals einen Michelin-Stern in den Landkreis Stade geholt. Das TAGEBLATT hat den Spitzenkoch in seiner Küche begleitet.

Von Karsten Wisser Sonntag, 03.12.2017, 10:06 Uhr

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Für den 42-Jährigen ist es das zwölfte Mal, dass der bekannteste Gastronomie-Führer der Welt ein von ihm geführtes Restaurant mit dem begehrten Stern auszeichnet. Das Restaurant im Gewölbekeller des NSBhotel Navigare an der Harburger Straße gehört jetzt offiziell zu den Topadressen der deutschen Gastronomie.

Wirklich überrascht war der von seinen Kollegen „Saucengott“ genannte Koch von der Auszeichnung nicht. Angesichts der Vorgeschichte mit Sternen in Restaurants in Portugal und auf Sylt wäre das auch eine falsche Bescheidenheit. „Ich kenne die Anforderungen und Qualitätsstandards und vor allem weiß ich genau, was ich kann und was ich eben auch nicht kann“, sagt er. Als dann der Anruf, der die ausgezeichneten Restaurants und deren Chefs vertraulich vorwarnt, länger als in den vergangenen Jahren ausblieb, wurde der Spitzenkoch aber doch nervös.

„Ich habe ein paar Kollegen angerufen und gefragt, ob bei denen schon etwas angekommen ist“, erzählt Rittmeyer, während er in der Küche gerade Jakobsmuscheln vorbereitet. Die gute Nachricht bekam Rittmeyer, als er gerade am Hamburger Flughafen aus einer Maschine aus Richtung Portugal ausstieg. Sein Navigare-Hotelmanager Raimund Schied gab schließlich die Erfolgsnachricht weiter.

Schnell in die Wohnung nach Neu Wulmstorf, zweieinhalb Stunden schlafen und dann mit dem Auto zur Präsentation der 2018er-Ausgabe des Michelin Guides nach Berlin. „Ich wollte unbedingt einmal dabei sein“, sagt Rittmeyer. Bei seinen vorherigen Stationen habe er das nie geschafft. Hotel-Manager Schied ist ebenfalls stolz auf das Erreichte: „Die Auszeichnung mit einem Michelin-Stern ist für das Restaurant N°4 eine Bestätigung für die herausragenden Leistungen von Jens Rittmeyer und seinem Team.“ Rittmeyer sei es in nur neun Monaten gelungen, den Stern zu erkochen.

Im Navigare kümmert sich Rittmeyer mit seinem Team um jedes Essen. Egal, ob es im Sterne-Restaurant N°4, nebenan im Seabreeze oder in der Lighthouse-Bar ist. Und sei es auch die Snackbestellung eines Hotel-Gasts: „Wir kochen für alle gleich. Hauptsache der Gast ist glücklich“, sagt Rittmeyer. So laufen zum Beispiel am Montag, dem Schnitzeltag im Seabreeze, jede Menge Wiener Schnitzel durch die Hände von Rittmeyer´s Köchen („ich bin so gut wie nie montags da“). Plötzlich kommt fast so etwas wie hektische Betriebsamkeit in die Küche. Zwölf Schnitzel sollen geklopft und paniert werden und zeitgleich zum Tisch kommen. Auch das gehört zum Job eines Buxtehuder Sterneküchenteams.

Das N°4 ist von mittwochs bis sonnabends geöffnet. Eine zusätzliche Öffnung für Sonnabendmittag ist im Februar geplant. An vier Tagen und an vier Tischen sind hier kulinarische Höhepunkte aus erster Hand zu erleben. Küche und Restaurant sind durch eine große Glasscheibe verbunden. Die Gäste können alles, was in der Küche passiert, einsehen. Rittmeyer und sein Team finalisieren die Gerichte am Tisch. Konzept und die intime Atmosphäre sind in der Restaurant-Landschaft in der Metropolregion ziemlich einzigartig.

Das N°4-Menü „Nordische Reise“ beinhaltet sieben Gänge. Vorweg und danach gibt es Kleinigkeiten. Zwölf Teller kommen und gehen im Schnitt zu den Gäste-Tischen und zurück. Das Ganze kostet 98 Euro. Die Getränke kommen dazu.

Neben der Lust auf besonderes Essen und dem Geld braucht der Gast für ein N°4-Menü Zeit. Dreieinhalb bis zu vier Stunden dauert das Essen. Nordische Küche heißt für Rittmeyer, dass er im N°4 nordische und am besten Produkte aus der Region verwendet. Wenn Rittmeyer zum Beispiel Trüffel benutzt, kommen die aus Schweden von der Insel Gotland. Produkte wie Olivenöl oder Zitronen gibt es nicht. Die mediterranen Früchte wachsen nicht in Norddeutschland. „Hier wird radikal regional gekocht und entspannt serviert“, sagt Jens Rittmeyer.

Seit August bietet das N°4 neben der „Nordischen Reise“ ein komplett veganes Menü an – die „Heimliche Leidenschaft“ besteht aus insgesamt neun Zubereitungen, die Jens Rittmeyers Liebe zu frischem, knackigem Gemüse der Saison widerspiegeln. Wert wird auf besondere, herausragende Qualität und die Unterstützung von kleinen, regionalen Erzeugern aus dem Alten Land gelegt. Obsthöfe und eine Käserei aus Bargstedt sind zum Beispiel Lieferanten im N°4.

Wieso die Kollegen den Neu-Buxtehuder Saucengott nennen, wird bei fast allen Gängen deutlich. Besonders aber beim so unaufgeregten Gang „Brot und Sauce“. Das sind drei Saucen zu Brot serviert, einstippen erwünscht. An Sauce wird es gemäß Rittmeyers Credo „Ohne Sauce kein Vergnügen“ zu keiner Zubereitung mangeln. Edle, kreative Saucen seien unerlässlich für inspirierende Menüs und würden immer frisch und reichlich zu jeder Zubereitung gereicht, so Rittmeyer.

Kochen ist auch im Navigare und im Windschatten der weltweit agierenden NSB-Reederei kein Selbstzweck. „Wir haben uns wirtschaftlich in den vergangenen Monaten in allen Segmenten verbessert, aber wir haben noch viel vor“, sagt Rittmeyer. Dass der Stern viele Gastronomie-Spezialisten nach Buxtehude locke, ist eine Hoffnung. Die ersten Foodblogger waren schon da, weitere sind bereits angemeldet. „Ich habe hier noch viel vor“, sagt Rittmeyer. Die Marke Altes Land zu stärken, gehört dazu. Gespräche dafür sind verabredet. „Der Stern ist der erste Schritt. Wir wollen das Navigare gastronomisch in die Zukunft führen.“

Der Guide Michelin ist ein Hotel- und Restaurantführer, den der französische Reifenhersteller Michelin 1900 zum ersten Mal publiziert hat. Ein Hotel oder Restaurant, das im Guide Michelin aufgeführt ist, ist ein empfohlenes Hotel oder Restaurant. Über diese reine Empfehlung hinaus sieht der Guide Michelin Auszeichnungen vor, darunter die Sterne. Dabei bedeutet eine Auszeichnung mit einem Stern: „eine Küche voller Finesse – einen Stopp wert!“. Zwei Sterne bedeuten: „eine Spitzenküche – einen Umweg wert!“. Und drei Sterne bedeuten: „eine einzigartige Küche – eine Reise wert!“.

Michelin Deutschland 2018, Verlag Michelin Editions, 1104 Seiten, Preis 29,95 Euro, ISBN 978-2-06-722363-9

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