„Lasst uns rein”: Bundeswehr hilft in Wacken – Programm gekürzt

Metal-Fans freuen sich nach der Öffnung der Tore zum inneren Festivalgelände in Wacken. Foto: dpa
Weniger Besucher, weniger Programm - und der Start verspätet: In Wacken läuft es auch am Mittwoch nicht nach Plan. Frust herrscht unter den zwangsweise Abgereisten, Freude bei den Glücklichen im Schlamm. Der Veranstalter gibt ein teures Versprechen.
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Von Franziska Spiecker und André Klohn
Schlamm ohne Ende, Verspätungen und viel Regen - das Heavy-Metal-Festival in Wacken wird in diesem Sommer von chaotischen Szenen begleitet. Anreise-Unterbrechung, erst keine Fahrzeuge, kurz vor dem offiziellen Start am Mittwoch dürfen dann gar keine weiteren Metalfans mehr auf das stark verschlammte und vom Regen aufgeweichte Areal in Schleswig-Holstein.
Wer es dennoch auf den „Holy Ground“ geschafft hat, wie die Fans die Äcker des Dorfes nennen, feiert. Viele gefrustete Metalheads haben da bereits die Heimreise angetreten, weil sie nicht mehr auf das Gelände durften oder sich unsicher waren, ob es noch klappt.
Heavy-Metal-Festival: „Scheiß drauf, Wacken ist nur einmal im Jahr“
„Es gab auch Zeitpunkte, wo ich gesagt habe: Leute, ich fahre wieder heim, leck mich am Arsch, ich komme nächstes Jahr wieder“, sagt Hans aus der Nähe von Bürstadt. Der Mann aus Hessen ist mit sieben Freunden auf dem Flugplatz „Hungriger Wolf“ bei Itzehoe gestrandet - von dort sind die Metalfans mit dem Shuttle-Bus nach Wacken geholt worden. „Wie es zurückgeht, weiß man noch nicht.“ Jetzt, wo er auf dem Gelände sei, habe er auch Bock auf das Festival.
Am Vormittag sind noch einige zu Fuß auf dem Weg zur Bandausgabe - trotz des am frühen Mittwochmorgen verkündeten absoluten Anreisestopps. Sie alle eint die Hoffnung, noch irgendwie reinzukommen. Doch auch ein Gefühl von Unsicherheit ist auf dem Gelände verbreitet, etwa bei Christian aus Husum. Mit Rucksack ausgestattet versucht er, zu seinen bereits angereisten Freunden aufs Gelände zu kommen: „Es ist kein geiles Gefühl, also da ist halt natürlich auch Enttäuschung und dann ist da ein bisschen Hoffnung.“

Metal-Fan Christian aus Husum vor dem Haupteingang zu dem vom Regen aufgeweichten Festivalgelände.
Joey und sein Kumpel aus Hannover entscheiden sich am Mittwoch hingegen für die Abreise, als sie von dem Einlassstopp erfahren. Es sei nicht sicher, ob sie überhaupt noch ein Band kriegen und aufs Infield kommen, sagt Joey. „Dementsprechend sagen wir uns, wir hauen ab, bevor das Ganze morgen abgeblasen wird und wir mit dem ganzen Trubel hier abhauen müssen.“ Die Stimmung sei gedrückt. Sie hofften, dass sie den Ticketpreis noch erstattet bekämen.
Zahlreichen Angereisten gelingt es allerdings auch am Mittag noch, ein Bändchen zu ergattern. Michael aus Wedel ist einer von ihnen. Er ist am Mittwoch einen Tag eher als geplant angereist, hat seine ursprünglichen Pläne über Bord geworfen, um noch aufs Festival zu kommen: „Ich wäre morgen angereist, weil heute meine Frau Geburtstag hat“, sagt er und ergänzt: „Die ist ziemlich sauer auf mich, weil wir den Tag eigentlich anders geplant haben.“ Dass er jetzt noch ein Bändchen bekommen konnte, hebe aber die Stimmung – „auch am Geburtstag“.
Wacken-Festival erstattet abgereisten Besuchern Ticketkosten
Nicht alle haben so viel Glück. Die Polizei schätzt, dass rund 50.000 Fans auf dem Gelände sind, etwa die Hälfte der Campingflächen sei belegt. Das wären 35.000 Menschen, die es nicht geschafft hätten. Denn die Veranstalter hatten 85.000 Besucher erwartet.
Nach dem Einlass-Stopp haben die Veranstalter am Mittwoch Rückerstattungen für Fans angekündigt, die nicht mehr auf das Gelände durften. Das gelte neben dem Wacken Open Air auch für Campingbereiche, kündigten die Veranstalter auf ihrer Internetseite an. „Ausführliche Informationen über den Rückerstattungsprozess - und auch darüber, wann ihr Fans mit der Erstattung rechnen könnt - werden in Kürze bekannt gegeben.“
Die Tickets kosteten knapp 300 Euro. Ein Drittel der Wacken-Besucher kommt aus dem Ausland. Für Fragen haben die Veranstalter eine E-Mail-Adresse eingerichtet: refund23@wacken.com.

Ein Wacken-Fan, gestrandet in Hamburg am Volksparkstadion.
Auf Instagram entschuldigen sie sich am Mittwoch bei enttäuschten Fans. „Einige sind auf den Flächen, einige mussten leider zu Hause bleiben oder umdrehen“, sagt Festival-Mitbegründer Thomas Jensen in einer Videobotschaft: „Es tut uns unendlich leid.“ Die Verhältnisse seien in den sozialen Medien ja zu sehen. Gemeinsam könne derzeit nur über den Stream gefeiert werden.
Nach Einlass-Stopp in Wacken: So reagieren die Fans
In den Kommentaren unter dem Video mischt sich neben Verständnis für die Situation der Veranstalter auch viel Unmut: „Ich wäre dabei gewesen, wenn ich nicht nach Hause geschickt worden wäre, um dann zu erfahren, dass weiterhin Leute aufs Gelände kommen!“, bemerkt ein Nutzer. Das sei das Allerletzte. Ein anderer Nutzer kritisiert die Organisation im Vorfeld: „Wer ein Festival in Norddeutschland auf dem Acker stattfinden lässt, sollte mit Regen planen und entsprechend reagieren können und nicht hilflos umherschwirren.“
Deutlich fröhlicher ist die Stimmung bei denjenigen, die es aufs Gelände geschafft haben - auch wenn sie sich bei der Eröffnung des eigentlichen Festivalgeländes erneut gedulden müssen. Mehr als zwei Stunden warten die Metalheads am Mittag auf Einlass. „Lasst uns rein“, stimmen sie zwischenzeitlich an, während auf dem Gelände Bands ihre Soundchecks machen. Unter Regencapes gehüllt singen sie laut: „Aber scheiß drauf, Wacken ist nur einmal im Jahr.“ Als sich die Tore schließlich öffnen, fallen sich Metalfans in die Arme. Lauter Jubel und das langgezogene „Wackeeeen“ ertönt, viele stürmen voran Richtung Bühnen.
Festival in Wacken: Tausende Metalfans strömen zu Hauptbühnen
Mit Verspätung öffneten sich am Mittag die Tore zum Festivalbereich. Mehrere Tausend „Metalheads“ warteten teils lange auf Einlass. „Lasst uns rein“ - stimmten sie zwischenzeitlich an, während auf dem Gelände Bands beim Soundcheck zu hören waren.

Metal-Fans warten an einem der Eingänge auf die Öffnung des Festivalgeländes.
Mit deutlicher Verspätung haben sich dann auch die Tore zum Infield des Heavy-Metal-Festivals geöffnet. Unter Jubelrufen und „Wackeeeen“-Schreien strömten um 18.10 Uhr Tausende Metalheads in den schlammigen Bereich vor den beiden Hauptbühnen des Open Air. „Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie froh wir sind, Euch so zahlreich zu sehen“, sagte Jensen auf einer der Bühnen.
„Als allererstes möchten wir uns absolut bei denen bedanken, die wir wegschicken mussten“, sagte Jensen. Allen Fans vor Ort müsse klar sein: „Alle, die zu Hause bleiben mussten, die ermöglichen hier die Party.“ Denen gebühre Respekt. „Lasst uns zusammen feiern, auch wenn es hart ist.“

Wer es geschafft hat reinzukommen, freut sich dabei zu sein - trotz Schlamm und Regen. Foto: dpa
Festival in Wacken: Bundeswehr hilft mit Rettungsweg
Die Bundeswehr hat den Veranstaltern des Heavy-Metal-Festivals in Wacken mit einer provisorischen Fahrbahn auf dem schlammigen Gelände ausgeholfen. Ein Bundeswehrsprecher bestätigte das Verlegen einer 150 Meter langen zusammenfaltbaren Straße über eine lange Rolle.
Dies müsste bereits passiert sein, sagte Fregattenkapitän Frank Martin. Dies sei geschehen im Rahmen der Amtshilfe, um eine Zuwegung für Rettungskräfte und Polizei zu gewährleisten. „Das ist eine Unterstützungsleistung für die Rettungsdienste und für die Polizei, um Notfall Menschen versorgen zu können.“
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sagte seinen für Mittwoch geplanten Besuch in Wacken ab. Als Grund nannte eine Sprecherin der Staatskanzlei die besonderen Umstände, die aufgrund der widrigen Verhältnisse zu einem Einlassstopp für Besucher geführt hatten. Günther fahre zwar nach Wacken, um dort mit Einsatzkräften zu sprechen und sich persönlich einen Eindruck zu machen, aber das ohne Medienbegleitung, hieß es.
Programm des Wacken-Festivals verkleinert - sechs Bands gestrichen
Zuvor gab am späten Vormittag auf einer der kleineren Bühnen die bei Metalfans beliebte Wackener Feuerwehrkapelle Firefighters lediglich einen Kurzauftritt. Die Musiker spielten zunächst „Rosamunde” zum Soundcheck und danach nur noch „Let Me Entertain You” von Robbie Williams. Wie ein dpa-Fotoreporter berichtete, hatten sich für den Auftritt vor der Bühne nur rund 100 Besucher versammelt. 2022 hatte die Kapelle zur Festivaleröffnung noch deutlich mehr Publikum gehabt, das sie ordentlich gefeiert hatte.

Die «Wacken Firefighters» spielen zur Eröffnung auf einer der Bühnen auf dem Festivalgelände.
Sechs Bands könnten nicht auftreten. Die Veranstalter wollen das Programm nun tagesaktuell veröffentlichen, um auf kurzfristige Änderungen reagieren zu können. Mit weiteren Ausfällen ist offenbar zu rechnen.
Metal-Queen Doro Pesch, die am Abend ihren Auftritt haben sollte, hat sich zuvor wenig beeindruckt vom Regenwetter gezeigt. Es sei schon „ganz schön matschig“, sagte die Sängerin. Sie habe aber schon oft schlechtes Wetter bei Auftritten erlebt. „Also wir sind das fast gewöhnt“, sagte die 59-Jährige. Sie hoffe zwar, dass bei ihrem Auftritt am Mittwochabend alles okay sein werde, aber das Wetter sei schon hart für die Fans. „Es ist für die ganz Hartgesottenen hier.“ Die Metal-Musikerin freute sich dennoch auf ihren Auftritt: „Das macht natürlich Spaß, auch vor 50.000 eine gute Show abzuziehen.“
Zutritt verwehrt? Diese Rechte haben Festivalgäste
Monatelange Vorfreude und dann das: Das Festival kann nicht wie erwartet stattfinden. Für Ticketinhaber ist das oft sehr ärgerlich. Immerhin haben sie lange geplant, sich Urlaub genommen und viel Geld bezahlt. Doch zumindest das Geld ist nicht für immer weg.
Denn wird ein Festival bereits vor Beginn abgesagt, haben Ticketinhaber Anspruch auf Rückerstattung ihres Ticketpreises. Reist ein Festivalgast an, erhält aber vom Veranstalter trotz Ticket keinen Zutritt zum Gelände, kommt das für diesen Gast einer Absage gleich - auch hier sei der Eintrittspreis vom Veranstalter zurückzuzahlen, sagt Kerstin Heidt, Rechtsexpertin bei der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein.
Findet das Festival nicht vollständig statt, können Besucherinnen und Besucher zumindest einen Teil ihres Eintrittspreises zurückverlangen. Wie viel Betroffene in so einem Fall fordern können, hängt vom Einzelfall ab. Laut Verbraucherschützern spielen insbesondere die Bekanntheit der ausgefallenen Bands und deren Anteil am Festival eine Rolle. Dabei sei der Ausfall eines weltbekannten Headliners deutlich stärker zu gewichten als der einer eher unbekannten Lokalband.

Ein Metal-Fan vor einem noch geschlossenen Einlass zu den beiden Hauptbühnen auf dem vom Regen aufgeweichten Festivalgelände.
Haftungsfrage: Wer ist schuld?
Ob der Grund für eine Absage oder einen Abbruch des Festivals im Verschulden des Veranstalters liegt oder auf ein Unwetter zurückzuführen ist, macht für die Rückerstattungsansprüche des Ticketpreises oder zumindest Teile davon keinen Unterschied. Sehr wohl aber bei weitergehenden Kosten, die Ticketinhabern im Zusammenhang mit dem Festival entstanden sein können.
Denn wenn der Veranstalter Schuld ist, etwa weil notwendige Sicherheitsmaßnahmen nicht eingehalten werden können, muss er laut der Verbraucherzentrale gegebenenfalls auch Kosten für ein bereits gebuchtes Hotelzimmer oder bereits bezahlte Fahrtkosten ersetzen.
Macht allerdings ein Unwetter den Veranstaltern einen Strich durch die Rechnung, können Gäste keine Schadenersatzansprüche geltend machen, die über den Ticketpreis hinausgehen. Dann bleiben sie in der Regel auf den Kosten für Unterkunft und Anfahrt sitzen.
Bei Problemen helfen die Verbraucherzentralen
Verschieben Veranstalter ein ganzes Festival, müssen Ticketinhaber das nicht einfach hinnehmen. Wer an dem neuen Termin zum Beispiel keine Zeit hat, kann seine Karte zurückgeben und auch mögliche Vorverkaufsgebühren und Versandkosten zurückverlangen.
Adressat für all die Rückforderungen ist Verbraucherschützerin Heidt zufolge in erster Linie der Veranstalter. Sie empfiehlt Ticketinhabern, sich über dessen offiziellen Kommunikationskanäle zu informieren, um im häufig dynamischen Geschehen eines Festivalabbruchs oder einer Absage keinen Fehlinformationen aufzusitzen. Sollten Verbraucherinnen und Verbraucher mit ihren Ansprüchen beim Veranstalter nicht weiterkommen, können sie sich an die Beratungsstellen der Verbraucherzentralen wenden. (dpa)

Metal-Fans freuen sich nach der Öffnung der Tore zum inneren Festivalgelände in Wacken.

Zehntausende Fans freuen sich auf den Wacken-Start. Doch Dauerregen hat das Gelände in Schlammfelder verwandelt.

Metal-Fan Lukas hat trotz oder wegen des schlammigen Festivalgelände eine gute Zeit.