Interview

Türsteher Viktor Hacker: „Ich suche immer erst das Gespräch“

Vor Corona war Viktor Hacker dreieinhalb Jahrzehnte lang Türsteher in Kiezläden wie Molotow, Roschinsky’s oder Headcrash. Bekannt ist er auch durch seine Lesungen. Im Interview spricht er über Kiez-Lesungen, Jubelbuden und zersplitterte Biografien.

Von Martin Sonnleitner Donnerstag, 22.04.2021, 10:00 Uhr
Türsteher Viktor Hacker: „Ich suche immer erst das Gespräch“

TAGEBLATT: Viktor, du warst fast 35 Jahre Türsteher auf dem Kiez und somit einer der Dienstältesten. Geht es nach der hoffentlich bald überstandenen Krise für dich weiter?

Viktor Hacker: Ich habe, wenn man so will, schon im März 2020 einen weichen Schlussstrich unter meine Türsteher-Laufbahn gezogen. Diejenigen, die davon hauptberuflich leben, sollen es nach dem Lockdown erst einmal machen. Ich bin jetzt 55 Jahre alt, wie lange will man das noch machen? Ich kann mich aber nicht ganz davon trennen.

Wird der Kiez die derzeitige Krise überleben?

Ich wünsche es mir. Es haben schon einige Läden dichtgemacht, nicht unbedingt nur wegen Corona, sondern auch weil vorher schon die Umsatzlage nicht so toll war. Früher hat man immer gesagt, auf dem Kiez geht es Mitternacht los. Irgendwann ging es erst um 2 Uhr los, das geht auf Kosten des Umsatzes. Viele der Läden, die nicht so auf Halligalli gepolt sind, vor allen die kleineren, die mehr Stammgäste als Laufkundschaft haben, werden Probleme bekommen.

Was waren die härtesten Einschnitte durch Corona?

Der Kiez hat sich immer schon verändert. Kurz vor Corona war Entertainment und Amüsement angesagt, mehr als das Kiez-Folkloristische. Das war um 1900 rum aber auch schon so, da sind die Leute aus Blankenese und Othmarschen hingegangen, um irgendwelche Jubelbuden oder Jahrmärkte zu besuchen. So etwas wie Corona gab es aber noch nie, außer in den Kriegsjahren.

Wenn die kleinen Läden es nicht überleben, werden wir überall solche Jubelbuden haben. Ich sehe Veränderung aber nicht nur negativ, da ist auch viel Nostalgie dabei. Die Leute erinnern sich dann an Dinge, die in ihrer Jugend stattgefunden haben und sind enttäuscht, dass es heute nicht mehr so ist.

Was waren die krassesten, was die die lustigsten Momente in deiner Türsteherzeit?

Die meisten stellen sich darunter ja eine Art „Action auf Abruf“ vor. Der größte Teil besteht aber aus Kommunikation. Man ist der erste Eindruck der Leute, wenn man vorne steht, und der letzte, wenn sie „Tschüss“ sagen oder wenn man sie rausbringt, weil sie nicht mehr können. Man wird wahrgenommen und man diskutiert viel.

Es ist wie ein Kindergärtner, der zu seinen Kindern redet. Dadurch entstehen manchmal ulkige Dialoge. Lustig ist auch, dass die Leute, gerade bei solch einer Bardichte wie auf dem Hamburger Berg, häufig den Namen des Ladens, wo sie hinwollen, gar nicht kennen. Sie rennen dann verwirrt rum, ohne Jacke, weil sie irgendwo drin waren. Sie orientieren sich dann an uns, den Leuten, die davorstehen.

Was zeichnet dich denn als Türsteher aus, neigst du eher zum Rambo oder zur Deeskalation?

Ich bin im Laufe der Jahre eigentlich immer freundlicher geworden, grundsätzlich ein Optimist, kein Menschenfeind. Ich suche immer erst das Gespräch, auch wenn ich die andere Sache kann. Ich komme vom Militär, war Ausbilder von Orts- und Häuserkampf. Leute an der Tür, die jede Woche eine körperliche Auseinandersetzung haben, sammeln aber auch Anzeigen, nach fünf Monaten sind sie raus. Wenn ich mitten auf der Tanzfläche eine Schlägerei mit einem Gast anfange, habe ich auch ganz schnell eine Massenhauerei wie in einem Westernsaloon. Man muss also wie ein Schiedsrichter auf dem Platz die Gemüter packen, deeskalieren.

Wie hält man sich mental fit, wie körperlich?

Man muss eines im Kopf haben, dass man es in der Regel mit Betrunkenen zu tun hat, die die Restriktionen und Regeln, die sie bei der Arbeit erleben, nicht empfinden. Man trifft sie in einer Extremsituation, muss sie einfangen, weil auch alle negativen Eigenschaften viel stärker in Erscheinung treten als im Alltag. Man muss sich auf die positiven Dinge konzentrieren und das mit nach Hause nehmen. 90 Prozent der Leute sind ja auch nett und freundlich.

Zum Körperlichen: Die beste Kleidung hilft nicht, wenn man zehn Stunden rumsteht und der Betonboden dir unter den Füßen die Wärme abzieht. Dann ist plötzlich drinnen Alarm, und es heißt: „Da raucht einer.“ Das Adrenalin muss aber erst einmal wieder runtergekocht werden. Jede Form von Sport ist wichtig.

Du bist in den 1970er und 1980er Jahren im damals eher derben Wilhelmsburg aufgewachsen. Wie hat dich diese Zeit geprägt?

Wilhelmsburg war damals eine merkwürdige Mischung aus Dorf und Ghetto. Dazu kommt die besondere geografische Lage, man ist auf einer Insel. Das macht auch was mit den Leuten, sie empfinden sich als Insulaner. Das Ghetto-Ding wurde auch kultiviert, es kamen Gangs auf, war teilweise nicht nett. Jetzt ist es ja ein im positiven Sinne gentrifizierter Stadtteil, mit interessanten Leuten.

Wie war dann deine erste Kiez-Sozialisation?

Ich habe als Heterosexueller in Schwulenkneipen als Türsteher in Kieznähe angefangen, und das, wo in Wilhelmsburg damals eher reaktionäre Denkweisen vorherrschten. Ich komme ja eher aus der Punkrockecke und habe dann irgendwann im Grünspan angefangen zu arbeiten, wo eher Metal und Punk lief. Ich hatte viel Ju- Jutsu gemacht und war ein recht guter Amateurboxer gewesen. Ich habe dann geguckt, wo die ganzen Kiezleute trainieren, irgendwann kannte man sie alle, hat zusammen trainiert. So kam ich zum einen über die Schwulen, zum anderen über die Rotlichtleute zum Kiez, eine seltsame Mischung.

Hast du ein Herz für Underdogs?

Ich habe ein Faible für Menschen mit zersplitterter Biografie. Dafür ist der Kiez ja berühmt. All die Stammgäste und Leute, die da arbeiten, haben ja alle eine komische Geschichte. Bei mir ist es auch so. Ursprünglich komme ich aus stabilen Verhältnissen, irgendwann ist das zusammengebrochen, und meine Eltern wurden Schwerstalkoholiker. Da trifft man auf dem Kiez auf Leute, die verstehen einen, da muss man nicht alles erklären. Ich bin selber Underdog.

Ist der Kiez auch eine Schule fürs Leben?

Unbedingt! Man hat als Türsteher viel mit Menschen außerhalb seiner Blase zu tun. Das schult, schafft Einsichten in andere Welten. Die meisten Sprecherjobs habe ich am Anfang auch über die Türsteherei bekommen.

Wie kam das?

Ich hatte nach der Armee Theaterschauspiel gelernt. Auch an der Tür schlüpfe ich ja in eine Rolle und versuche bei all dem Lärm, die Leute mit einer klaren deutlichen Sprache zu erreichen. Da kamen dann Leute aus Agenturen, denen das auffiel, an und boten mir Sprecherjobs an.

Wann hast du denn genau gemerkt, dass du deine Stimme zum Kapital machen kannst?

Zuerst habe ich gemerkt, dass mir die Theatersprache nicht lag, ich kam ja vom Militär, war denen wohl zu resolut in der Ansage. Ich habe nur knapp ein Jahr nach der Ausbildung auf der Bühne gestanden, mich dann zurückgezogen, auch weil ich diese Welt nicht verstand. Dann war ich in einer PR-Agentur, da haben wir auch Radiokampagnen und Werbespots geschrieben. Ich habe die Mikrofonarbeit dann intensiviert. Man muss erst mal lernen, dass man das, was man rüberbringen will, nur über Tonalität transportiert. Die Mimik, die man hat, fließt auch in die Sprache rein. Man hört es, wenn man beim Sprechen lächelt.

Wie wichtig ist Humor?

Humor ist das Wichtigste überhaupt, die Grundlage für meinen Optimismus. Wenn man selbst aus unschönen Situationen, wie einen Besoffenen als Türsteher aus einem Laden zu zerren, etwas Humoristisches erkennt, wenn er draußen in einer beruhigenden Umarmung dann wieder zu sich kommt, dann hat das Ganze schon wieder nicht diese Spitze. Humor ist nicht nur ein Ventil, es ist auch ein Filter, mit dem man sich die Welt schöner machen kann.

Viele dieser teils auch lustigen Geschichten trägst du dann ja auf deinen Lesungen vor. Wie bist du dazu gekommen?

Ich habe damit bei der „Lesebühne Längs“ angefangen, erst habe ich da in einer Kneipe als Gast gelesen, später wurde ich Mitglied. 2009 gab es dann die Türsteherlesung „Zeit für Zorn“. Ein alter Freund hat mich gefragt, ob wir nicht mal die ganzen Erlebnisse auf die Bühne bringen wollen. Er hat sehr literarische Texte geboten, ich mit der humoristischen Variante einen Kontrapunkt hierzu gesetzt. (lacht) In Deutschland ist Spaß ja eine ernste Sache. Vorher habe ich Essays, Glossen und deine Kolumne für das „Abendblatt“ geschrieben gehabt. Da habe ich gesellschaftliche Zusammenhänge in diesen Kiezkosmos konzentriert.

Hand aufs Herz: Lieber eine Lesung in einem verruchten Kiezschuppen vor 50 wilden Gästen oder der Literaturpreis im schöngeistigen Café Schwanenwik?

Ich bin lieber in der fiesen Kaschemme auf dem Kiez. Ich habe meine Arbeit in den letzten Jahren aber eher auf Theaterbühnen verlagert. Ich bin in den Kammerspielen und in meinem Lieblings-Off-Theater Sprechwerk auf der Bühne gewesen. Ich bin gerne auf der richtigen Bühne, weil ich weiß, das Licht und die Technik stimmen. Auf einer Kiezbühne, die hierfür eigentlich nicht gemacht ist, ist so etwas immer unglaublich mit Improvisation verbunden. Das kostet sehr viel Kraft.

Was macht eine gute Geschichte aus?

Man muss Sachen auf die wirkliche Information runterdampfen, darf nicht schwafeln. Und man muss sich in dieser Welt auskennen.

Bitte ergänzen Sie ...

Mein Lieblingsclub auf dem Kiez ist ... der Gun-Club in der Hopfenstraße. Mein Wohnzimmer.

Mein Lieblings-Actionheld ist ... Arnold Schwarzenegger.

Meine Lieblingsserie ist ... zurzeit „The Rookie“ mit Nathan Fillion.

Barmbek Nord, weil ... es genauso wie Wilhelmsburg ist, wo ich wegen meiner Familiengeschichte nicht mehr wohnen wollte.

Der Bund hat mich geprägt, weil ... ich gelernt habe, Dinge zu ertragen, mit Menschen umzugehen und den Humor nicht zu verlieren.

Ich empfinde mich als Bohemian,weil ... ich das herkunftsmäßige Working-Class-Member nicht mehr so darstelle.

Mein Lieblingsschriftsteller ist ... Sir Terry Pratchett, ein großer Humanist, der das Vehikel Fantasy benutzt hat, um unsere Gesellschaft satirisch zu betrachten.

Zur Person

Viktor Hacker ist Sprecher, Autor, Humorist. Der heute 55-Jährige wuchs in Wilhelmsburg auf und war zunächst sechs Jahre als Berufssoldat Fernspäher. Fast 35 Jahre war der ausgebildete Schauspieler Türsteher auf dem Kiez. Vor allem diese Erlebnisse liest er, in humorvolle Geschichten verpackt, auf zahlreichen Bühnen der Stadt. Hacker ist Sprecher für Industrie- oder Messevideos, Videospiele, Serien und Filme, Hörbücher und Hörspiele, Podcasts, Musikproduktionen sowie Live-Präsentationen. Er lebt mit Freundin und Katze in Barmbek Nord.

Türsteher Viktor Hacker hat ein Faible für Menschen mit zersplitterter Biografie. Foto: Ravengraphy

Türsteher Viktor Hacker hat ein Faible für Menschen mit zersplitterter Biografie. Foto: Ravengraphy

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