Feuerwehr klagt: Gaffer filmen Rettungseinsatz im Alten Land

Die Person in Steinkirchen musste mit der Drehleiter der Feuerwehr Stade aus der Wohnung gerettet werden. Foto: Feuerwehr Steinkirchen
Ein Patient muss reanimiert und aus seiner Wohnung befreit werden. Schaulustige fotografieren und filmen. Der Feuerwehr Steinkirchen reicht's. Sie richtet einen dringenden Appell an alle.
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„Gaffen“ ist eine Straftat - das weiß auch die Feuerwehr Steinkirchen. Deren Rettungseinsatz am vergangenen Dienstag in einer Steinkirchener Siedlung wurde von mehreren schaulustigen Nachbarn gestört. Das berichtet die Feuerwehr bei Instagram und richtet einen dringenden Appell an alle, künftige Einsätze nicht durch Filmen oder Fotografieren zu behindern.
Die AED-Gruppe der Feuerwehr Steinkirchen sei am Dienstag zu einem Patienten alarmiert worden, der in seiner Wohnhung reanimiert werden musste, heißt es in dem Post. Um die Person schonend und schnell aus der Wohnung zu holen, habe zudem die Drehleiter der Feuerwehr Stade nachalarmiert werden müssen. Die Person sei dann über den Balkon gerettet worden und kam mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus.
Schaulustige in Steinkirchen: Patient muss reanimiert werden
"Aufgrund des großen Aufgebots an Einsatzfahrzeugen blieb der Einsatz nicht unbemerkt", schreibt die Feuerwehr. Mehrere Nachbarn seien auf die Straße gekommen. Teilweise seien Fotos und Videos gemacht worden.
"Wir verstehen, dass solche Dinge für die meisten Menschen nicht alltäglich sind. Aber trotzdem möchten wir dringend um eines bitten: Stellt eure private Neugier hinten an und denkt daran, dass diese Fahrzeuge dort sind um einem Menschen das Leben zu retten!", klagen die Retter.
Es gehe darum, Rettungsarbeiten nicht zu behindern. Zudem hätten Patienten ein Recht auf Privatsphäre. "Durch solches ,Gaffen' kann die Situation für die Patienten und ihre Angehörigen noch unangenehmer werden, als sie es ohnehin schon ist", schreibt die Feuerwehr. Jeder solle auch seine Mitmenschen, darauf aufmerksam machen, dass Rettungseinsätze durch Schaulustige behindert werden.
Das sagt der Gemeindebrandmeister zu Gaffern während Rettungseinsätzen
Von der Feuerwehr Stade kam unter dem Instagram-Post Zustimmung. "Danke, dass ihr darauf aufmerksam macht", lautet der Kommentar.
Glücklicherweise scheinen Gaffer bei Einsätzen nicht die Regel zu sein, wie Gemeindebrandmeister Jens Kuck dem TAGEBLATT erklärte. „Eigentlich geht das hier im Alten Land. In der Stadt ist das sicherlich ein größeres Problem“, sagt Kuck auf die Frage, ob Gaffer regelmäßig bei Einsätzen auffielen. Auch für Pressesprecher Matthias Brandt ist ein solches Verhalten eher die Ausnahme: „Wir als Feuerwehr können immer auf die Bevölkerung zählen.“
Gaffern droht eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren
Tatsächlich handelt es sich beim Gaffen um eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Bußgeld von 20 bis 1000 Euro belegt werden kann. Anders verhält es sich beim Filmen und Fotografieren bei Unfällen. Dabei handelt es sich um eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft werden kann. Werden im Autoverkehr Rettungsarbeiten behindert, werden ein Bußgeld sowie ein Punkt in Flensburg fällig.
Der Deutsche Feuerwehrverband beklagte zuletzt eine zunehmende Respektlosigkeit gegenüber Einsatzkräften. „Der Respekt gegenüber denjenigen, die anderen helfen, der sollte wieder größer werden“, sagte Verbandspräsident Karl-Heinz Banse. Das sei nicht zuletzt wichtig für die Motivation ehrenamtlicher Kräfte. „Wer ist schon bereit, irgendwo mitzumachen, wenn er damit rechnen muss, an der Einsatzstelle angespuckt zu werden“, sagte der Verbandsvorsitzende.
Nach Banses Worten werden Einsatzkräfte von Schaulustigen in ihrer Arbeit behindert. „Wir wissen, dass wir manchmal weniger Einsatzkräfte haben. Aber man muss heute bei fast jedem Einsatz zusätzliche Kräfte abstellen, die verhindern, dass die Schaulustigen zu dicht an die Einsatzstelle herankommen.“
So werden ihm zufolge bei Unfällen auf Bundesstraßen oder Autobahnen zwei bis drei Retter benötigt, um Planen als Sichtschutz zu spannen. „Damit soll verhindert werden, dass Gaffer Bilder machen. Das ist ein Problem.“
Das richtige Verhalten bei Unfällen
„Wenn ich ungewohnte Situationen sehe, werfe ich erst einmal einen Blick darauf. Denn ich will erfassen, was da los ist. Das weckt meine Neugierde und erzeugt Aufmerksamkeit“, sagt Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino vom ADAC. Das sei der erste Impuls, auch bei einem Unfall. „Das Neugiermotiv ist uns Menschen angeboren. Das ist erst mal auch nichts Negatives“, erklärt er. Wer im Vorbeifahren die Unfallsituation kurz erfasst, um etwa zu schauen, ob Hilfe erforderlich ist, handelt normal. „Denn ich muss mich ja auch erst einmal orientieren“.
Kritisch wird es ab dem Moment, wo die Autofahrer oder Fußgänger ihren eigentlichen Weg nicht mehr fortsetzen, obwohl bereits klar erkennbar Hilfe vor Ort ist und sich dazu entscheiden, die Situation passiv zu verfolgen, um zum Beispiel zu fotografieren oder zu filmen.
„Durch die Kamera eines Smartphones habe ich eine Distanz zu dem, was ich anschaue. Das war früher so nicht der Fall“, so Chiellino. Und die Möglichkeit, Fotos und Filme im Anschluss etwa im Internet zu verbreiten und dafür Anerkennung durch hohe Klickzahlen zu bekommen, sei so früher auch nicht der Fall gewesen.
Um der Schaulust aktiv entgegenzuwirken, rät der Verkehrpsychologe, aktiv den Drang zu unterdrücken, sich dazuzustellen. Man solle sich etwa klar sagen: „Ich habe da nichts verloren, Hilfe ist da, ich gehe weiter meinen Weg.“
Andere von der Schaulust abzuhalten, davon rät Chiellino eher ab. „Da bin ich an Ort und Stelle schnell der Moralpolizist, was die Situation durch Konflikte weiter verschärfen könnte.“ Am besten ist es, durch sein eigenes Verhalten ein Vorbild abzugeben und weiterzugehen oder an der Unfallstelle vorbeizufahren.
Das gelte natürlich immer nur dann, wenn klar ersichtlich ist, dass Hilfe bereits vor Ort ist. Wenn nicht, ist das Gegenteil erforderlich, nämlich direkt hinzugehen, um Hilfe zu leisten. (tip/mit dpa)