Atze Schröder: „Ich weiß nicht, wie es mit mir comedy-mäßig weitergeht“

Atze Schröder war nervös, als er nach zwei Jahren Pause wieder vor Publikum aufgetreten ist. Foto: Boris Breuer
Zwar nur im Video-Chat wegen Corona, aber gänzlich ungeschminkt im Interview. Ohne die berühmte Minipli-Dauerwelle und die getönte Pilotenbrille, hinter denen sich die Bühnenfigur lange versteckte. Es hat sich was verändert im Leben von Atze Schröder. Was, davon schreibt er in seinem Buch.
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Und darüber spricht er mit TAGEBLATT-Mitarbeiter Manfred Ertel in großer Offenheit und bestens gelaunt.
TAGEBLATT: Können Sie inzwischen eigentlich angstfrei durch den alten Elbtunnel gehen?
Atze Schröder: Das habe ich tatsächlich schon mehrfach gemacht (lacht). Aber es war für das Buch natürlich ein schönes Bild, um über das wohl erste Trauma in meinem Leben zu schreiben und den Weg dahin, nämlich durch den Geburtskanal (lacht). Mein Buch soll ja auch unterhaltsam sein und der Elbtunnel als Geburtskanal passte da ganz gut.
Die meisten Autoren schreiben Biografien, wenn sie in hohem Alter auf ihr Leben oder Schaffen zurückblicken. Was war Ihr Motiv?
Ich bin jetzt 56 Jahre alt und finde einfach, dass dies ein guter Zeitpunkt für eine Zwischenbilanz ist, und noch mitten im Leben stehend ein bisschen zu resümieren. Und dann gab es ja auch noch die Einladung bei Markus Lanz im ZDF, über die ich im Prolog zu meinem Buch schreibe, wo ich die Holocaust-Überlebende Eva Szepesi traf und ihre Geschichte hörte. Das war der Punkt, an dem ich dachte, warum sitze ich hier überhaupt, wie bin ich eigentlich Komiker geworden? Und warum komme ich in die dankbare Lage, mit einer Holocaust-Überlebenden zu sprechen.
Die Geschichte von Eva Szepesi ging Ihnen durch Mark und Bein, schreiben Sie. In der Sendung vor fast genau zwei Jahren sei der Holocaust plötzlich kein abstraktes Filmdokument mehr für Sie gewesen, sondern vor Ihnen habe eine Frau gesessen, die allen Grund hatte, nie wieder einen Fuß ins Land der Täter zu setzen. War das ein Schock?
Die Sendung war eine Zäsur für mich und auch jetzt im Rückspiegel betrachtet wahrscheinlich einer der wichtigsten Tage in meinem Leben. Auf einmal merkte ich, wie wahnsinnig das eigentlich war, dass vor mir ein Opfer saß, das ungefähr so alt war wie mein Vater, der auf der Seite der Täter gestanden und als Panzerfahrer im Krieg schreckliche Dinge erlebt und verbrochen hat. Und ich schämte mich dafür und dass nach all dem, was wir Deutschen den Juden angetan haben, 82 Jahre nach der Reichspogromnacht in Deutschland immer noch Synagogen bewacht werden müssen ...
... und Sie haben sich mit Tränen in den Augen spontan entschuldigt.
Das Treffen hat was mit mir gemacht. Ich schämte mich und war zugleich zutiefst beeindruckt und beschämt von Eva Szepesis Aussage, dass sie nicht hassen könne. In dem Moment ist alles aus bei mir rausgebrochen, was ich vorher, und mit mir viele andere Menschen meiner Generation vielleicht auch, nicht richtig verarbeitet hatte – auch das, was die Kriegsgeneration unserer Eltern alles mitgemacht hat. Meine Entschuldigung war ein Ausbruch. Der Grundstein dafür war aber wahrscheinlich Jahrzehnte vorher gelegt. Ich habe versucht, das nach der Sendung für mich aufzuarbeiten und habe zum Beispiel noch lebende Verwandte, speziell eine Tante, lange interviewt.
Hat das Erlebnis Ihr Bild von Ihrem geliebten Vater erschüttert?
Das Zusammentreffen war der Impuls, mich noch mal mit meinem Vater zu beschäftigen. Das, was ich dann alles erfahren habe, hat das Bild von ihm nicht erschüttert, aber es hat das Bild komplettiert.
Können Sie Ihrem Vater vergeben?
Auf jeden Fall. Durch das Schreiben der Biografie wurde mir richtig klar, was er durchgemacht hat und was trotzdem die Summe seiner Lebensleistung ist. Ich bewundere ihn eigentlich fast noch mehr, dass er es geschafft hat aus den ganzen Gräueln heraus, auch seinen familiären Gräueln, so ein liebevolles Leben zu führen. Das Tragische an seiner Generation war ja, dass die in so einen schrecklichen Krieg gezwungen wurde. Das soll jetzt nichts entschuldigen, aber es soll zeigen, dass mit dieser Generation auch etwas gemacht wurde, was oft nicht deren eigene Wahl war. Wir erleben das aktuell ja wieder. Die jungen russischen Soldaten, die jetzt in der Ukraine unterwegs sind und teilweise gar nicht wissen, was sie da tun. Das kann sogar nach dem Krieg noch viele Leben von Grund auf zerstören.
Bei der Begegnung mit Eva Szepesi haben Sie die Kontrolle über die Bühnenfigur Atze Schröder verloren, schreiben Sie. Hat sich danach Ihr Verhältnis zu Comedy verändert?
Ich glaube, das passiert gerade. Es ist zudem ja noch etwas anderes passiert: Bei Lanz haben wir noch über ein Virus gesprochen, das Virologen damals ganz interessant fanden. Professor Jonas Schmidt-Chanasit war ebenfalls Gast in der Sendung und glaubte noch, dass wir damit nicht so viel zu tun haben werden (lacht). Dann kam alles ganz anders. Ich stehe jetzt erst seit drei Wochen wieder auf der Bühne und habe mich tatsächlich gefragt, bin ich noch Komiker und was macht das jetzt alles mit mir?
Was ist die Antwort?
Ich habe echt Spaß daran, weil das Publikum auch so total will. Aber ich war zum ersten Mal echt nervös, bevor es für mich genau zwei Jahre nach der Sendung wieder losging. Und um ehrlich zu sein, ich weiß nicht wie es mit mir comedy-mäßig weitergeht. Ich habe ein bisschen das Gefühl, Comedy ist nicht mehr so sehr Zeitgeist, wie es mal war. Vielleicht müssen wir andere Formen finden, auch auf der Bühne.
„Alles Unterdrückte steht eines Tages vor der Tür und haut dir zur Begrüßung in die Fresse“, haben Sie mal gesagt. Braucht Comedy vor diesem Erfahrungshintergrund eine neue Existenzberechtigung?
Ja, das glaube ich unbedingt. Weil sich unsere Situation grundlegend geändert hat. Gerade für eine Generation, die nur in Frieden gelebt hat und nichts anderes kennt. Und das, was jetzt in Europa mit Putins Krieg stattfindet, gar nicht für möglich gehalten hat. Darauf müssen wir künstlerisch und kulturell irgendwie reagieren. Gerade auch pop-kulturell. Das heißt, wir müssen neue Antworten finden. Und ob das dann noch Comedy heißt, oder nur Unterhaltung, die ja auch viel mit Haltung zu tun hat, das müssen die nächsten Monate zeigen. Wenn man nur Witze macht, wird die Karriere jedenfalls nicht lang sein.
Ist das Ergebnis Ihrer Sinnsuche auch, dass mir nicht mehr Atze gegenüber sitzt, sondern der Privatmann?
Ja, alles andere wäre doch langweilig. Auf der Bühne muss es eine Show sein, dafür haben die Zuschauer Eintritt bezahlt und den Anspruch, zwei Stunden lang wirklich professionell unterhalten zu werden. Aber wenn wir jetzt miteinander sprechen, beleuchten wir aktuelle Probleme und Herausforderungen des Lebens. Darauf mit den Stanzen eines Komikers zu reagieren wäre nicht nur langweilig, das geht nicht mehr.
Warum haben Sie sich in den Neunzigern eigentlich hinter der Kunstfigur Atze Schröder versteckt und privat die Anonymität gesucht?
Als es im Jahr 2000 bei RTL mit „Alles Atze“ losging, entwickelte sich eine Art Hype, der mir nicht geheuer war. Und das wäre er mir bis heute nicht. Freitagabends, wenn der Fernseher lief, fanden zum Beispiel bei uns vor dem Haus richtige Partys statt. Dem musste dringend Einhalt geboten werden. Deshalb habe ich versucht, mein Privatleben abzuschotten und muss heute sagen: gut, dass ich es gemacht habe. Ich empfinde das als eine sehr komfortable Situation.
Inzwischen sehen Sie das mit der Gelassenheit des Alters anders?
Auf jeden Fall. Ich bin jetzt 28 Jahre in dem Job. Wenn man sich da nicht entwickeln würde, liefe etwas falsch. Das hat selbst unser alter Bundestrainer Jogi Löw irgendwann eingesehen (lacht). Ohne diese neue Gelassenheit würde es mir auch keinen Spaß mehr machen. Und ich genieße sehr, dass ich mich persönlich jetzt weiter aufmachen kann, auch durch meine Podcasts wie zum Beispiel „Betreutes Fühlen“ mit dem Psychologen Leon Windscheid. Und dass ich da Themen bearbeiten kann, auf die ich früher nicht im Traum gekommen wäre, weil ich mich nur als Komiker gesehen habe. Diese Entwicklung macht mir Spaß.
Ihre Karriere als Comedy-Star begann eigentlich 1993 bei Corny Littmann im Schmidt-Theater auf der Reeperbahn. Hat sich mit Ihrem Umzug nach Hamburg irgendwie ein Kreis geschlossen?
Die Verbindung nach Hamburg und zum Schmidt-Theater war eigentlich immer da. Es fühlt sich hier sehr zu Hause an.
Was hat Sie als Kind des Ruhrpotts denn ausgerechnet nach Hamburg verschlagen?
Die Hamburger sind vielleicht nicht auf den ersten Blick, aber doch auf den zweiten dem Ruhrpottler gar nicht so unähnlich. Man nennt die Dinge beim Namen: Ja ist Ja, Nein ist Nein. Auch der trockene Humor entspricht mir sehr. Ich fühle mich hier sehr, sehr angekommen.
Wie lange noch?
Ich habe hier eine Wohnung gekauft, das ist doch schon mal ein Indiz. Und die Wohnung ist barrierefrei (lacht). Ich habe also die Vorstellung hier länger zu bleiben.
Hugo Egon Balder, Fernsehmacher, Musiker und wie Sie Neu-Hamburger, hat ihnen nach dem ersten Gastspiel im „Schmidt Theater“ gesagt: „Atze lass es“, weil er Sie für talentfrei hielt. Was sagt er heute?
Der kann da heute herzhaft drüber lachen. Er hat das auch schön öfters in Talk-Shows erzählt und sich revidiert. Heute können wir gemeinsam darüber lachen. Er ist mittlerweile wie so’n Onkel für mich.
Bitte ergänzen Sie ...
An Hamburg liebe ich besonders ... dass es doch irgendwie ein Dorf ist, in dem alles so nah zusammen liegt, dass ich es mit dem Fahrrad machen kann.
An Hamburg mag ich weniger ... dass die Sonne deutlich seltener scheint als in Freiburg.
Wenn ich mal nicht über Texten brüte ... dann fahre ich mit dem Fahrrad von Ottensen über Eppendorf bis Harburg durch die Stadt und trinke auf schönen Plätzen gern mal einen Kaffee.
Mein Lieblingsort in der Stadt ... eine ganz bestimmte Bank an der Alster in Harvestehude.
Wenn ich die Wahl zwischen Fischbrötchen und Currywurst habe ... nehme ich tatsächlich Fischbrötchen, gern Bismarckhering mit viel Zwiebeln.
Wenn ich in der Stadt erkannt werde ... ist das immer sehr charmant. Auch das liebe ich an Hamburg: diese nicht aufdringliche Hamburger Art.
Zur Person
Seit seiner Kindheit wurde er von Eltern und Familie eigentlich nur „Atze“ gerufen. Was lag für ihn also näher, die Kunstfigur Atze Schröder für die Bühne zu erschaffen. Mehr als 20 Jahre lang schützte der Comedian und Musiker seine wahre Identität mit allen Mitteln, notfalls auch juristisch. Mit seinem neuen Buch gibt er erstmals Einblicke in sein Privatleben.
Atze ist am 27. September 1965 in Essen geboren. Der gelernte Tontechniker war Musiker, erst in einer Punk- und dann in einer schrägen Pop-Band. Atze Schröder ging mit dem NDR auf Tournee und wurde TV-Stammgast in Comedy-Kultshows wie der „RTL Samstag-Nacht-Show“ oder dem „Quatsch Comedy Club“. Zum Star der Branche avanciert er mit seiner ersten eigenen Fernsehserie „Alles Atze“, die in 63 Folgen von 2000 bis 2006 auf RTL lief. Inzwischen ist er einer der ganz Großen des Genres. Schröder wurde unter anderem fünf Mal mit dem Deutschen Comedy-Preis und ein Mal mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Seit zweieinhalb Jahren lebt Atze Schröder mit seiner „Perle“ in Hamburg-Eppendorf.
Seine Biografie, geschrieben zusammen mit seinem Freund und Kollegen Till Hoheneder, erscheint Anfang April: „Blauäugig: Mein Leben als Atze Schröder“, 240 Seiten, 22,95 Euro.