Balje: Sie wollen mehr Farbe ins Dorf holen
Ein Farbtupfer für die Dorferneuerung: Sandra Schlichting hat die Deichlücke bemalt. Die Ratsfrauen Rike Feil (CDU) und Gunda Remien (Frischer Wind, rechts) haben noch viele tolle Ideen für die Dorferneuerung. Fotos: Helfferich
Der Antrag für die Dorferneuerung ist abgegeben. In Balje sind es unter anderen zwei Frauen, die mit ihren Ideen den Prozess angeschoben haben: Rike Feil und Gunda Remien. Das TAGEBLATT ließ sich von den beiden per Rad durch ihr Dorf führen.
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Startpunkt ist das Dorfgemeinschaftshaus, dort wo alles begann. „Das war die Initialzündung“, sagt Rike Feil. Vor gut einem Jahr trafen sich dort Bürgermeister Hermann Bösch, die Ratsfrau Rike Feil und Samtgemeindebürgermeisterin Erika Hatecke mit Lienhard Varoga vom Amt für regionale Landesentwicklung. Es ging um mögliche Fördergelder für eine Sanierung des 60 Jahre alten Gebäudes. Doch Rike Feil dachte weiter und fragte einfach mal nach, wie denn die Chancen für eine Dorferneuerung stünden.
Der Stand heute: Die Fördergelder für das Dorfgemeinschaftshaus fließen. 410.000 Euro sind zugesagt. Und die Chancen für die Aufnahme ins Dorferneuerungsprogramm sind auch nicht schlecht. Ende Juli überreichten Baljer und Cadenberger den Antrag in einer spektakulären Aktion: Sie reisten mit einem Börteboot auf der Oste nach Gräpel und überreichten dort den Antrag an die zuständige niedersächsische Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast. Ein solcher Einsatz macht Eindruck.
Nur ein Bus führt nach Balje
Zurück zum Dorfgemeinschaftshaus in der Bahnhofstraße. Eine Bahn fährt schon lange nicht mehr nach Balje, nur noch der Bus, der aber in Itzwörden endet. Seit Jahren wünschen sich die Baljer eine Verbindung nach Cadenberge, um weiter mit der Bahn nach Hemmoor oder Otterndorf fahren zu können. „Vielleicht lässt sich ja ein Bürgerbus einrichten“, überlegt Rike Feil.
Das Dorfgemeinschaftshaus liegt auch Gunda Remien am Herzen. Schon Ende 2019 hatte sie im Rat vorgeschlagen, die Bücherei aus dem Obergeschoss ins Erdgeschoss zu verlegen und die Küche zu vergrößern. Mit dem Umbau soll genau das geschehen. Auch der Saal soll aufgewertet werden. Und es gibt auch Ideen, diesen zu bespielen. Zum Beispiel Filmabende oder Kochkurse der Landfrauen für Kinder, auch könne die Vortragsreihe „Junge Baljer bereisen die Welt“ fortgesetzt werden, erzählt Feil.
Das Dorfgemeinschaftshaus soll umgebaut werden.
Aber es gibt noch mehr Ideen für den Bereich in der Bahnhofstraße. Das Gebäude der Kreissparkasse steht leer. Hier hatte Rieke Feil die Idee, eine „Speisekammer“ einzurichten. Nahversorgung gibt es in Balje nicht. „Viele ältere Baljer sind nicht mehr mobil. Die haben keine Möglichkeit, einkaufen zu fahren“, sagt sie. Allerdings könne sie auch kein Geschäft eröffnen. Aber vielleicht lasse sich dort ein Multifunktionsort einrichten, mit Geldautomat, Postfiliale, einem Angebot von Grundnahrungsmitteln oder auch ein paar Geschenkartikeln. „Denkbar ist, Automaten mit regionalen Produkten aufzustellen.“
Asphaltwüste Schulhof
Als Dorfzentrum wird der Bereich auch durch den geplanten Bau des neuen Feuerwehrgerätehauses aufgewertet. Schule und Kindergarten sind bereits im hinteren Bereich vorhanden, ebenso der Sportplatz, der von der Spielgemeinschaft Geversdorf mitgenutzt wird. Auch hier wird der Brückenschlag zur Gemeinde Cadenberge schon jetzt gelebt.
Nur wenige 100 Meter entfernt liegt das neue Baugebiet Faulenhofe. Mit günstigen Grundstückspreisen konnte die Gemeinde in den vergangenen Jahren für eine hohe Bautätigkeit sorgen. So wurden junge Baljer im Ort gehalten, aber auch zahlreiche Neubürger gewonnen. Von Faulenhofe führt ein Fuß- und Radweg abseits der Straße über Schule, Kindergarten und Sportplatz zum historischen Ortskern. Ein Weg, der als Verbindungsachse deutlich belebt werden könnte. Der Schulhof ist eine Asphaltwüste. „Auch das ist ein Punkt für die Dorferneuerung“, sagt Rike Feil. Der Asphalt heize sich im Sommer auf, weiß die ehemalige Grundschulleiterin Gunda Remien, die Versiegelung sei problematisch bei Starkregen. „Das Problem ist die Finanzierung“, so Feil, aber es gebe Förderprogramme, etwa zum Wassermanagement oder auch die Leaderförderung für die Gestaltung von Begegnungsplätzen.
ÖPNV : Eine Bahn fährt schon lange nicht mehr nach Balje.
Wenige Meter weiter der Sportplatz: Hier haben die Initiatorinnen eine „tote Ecke“ ausgemacht. „Hier könnten wunderbar Fitnessgeräte für alle Generationen stehen“, findet Rike Feil. Vorbei am Friedhof, der mit seiner parkähnlichen Anlage punktet, wird der Kirchplatz erreicht. Eingerahmt von historischen Gebäuden könnte der Platz glatt als Filmkulisse gebucht werden. Vor zwei Jahren wurde der Platz mit Geld aus der Leader-Förderung aufwendig saniert.
Blickfang ist das alte Kaufhaus von Thun. Rechts daneben, etwas zurückgesetzt, steht das Organistenhaus, links die ehemalige Kneipe Hadeler, früher eine Bäckerei. Die Reihe wird nach Süden mit dem „Seebeck Haus“ fortgeführt, das mal Arztpraxis, später Wohnhaus einer Hebamme war. Links daneben in einem schönen Garten das Pfarrhaus mit Pfarrscheune. Im Norden begrenzt die ehemalige Volksschule den Platz, die jetzt noch Gerätehaus ist. Das einzige „neue“ Gebäude ist die Kirche selbst. Sie stammt aus dem Jahr 1938. Die alte Kirche aus dem 17. Jahrhundert war 1936 abgebrannt.
Wo-Mo-Stellplatz am Kirchplatz
„Hier kann man richtig ein bisschen rumspinnen“, sagt Rike Feil. Das Gerätehaus, das der Gemeinde gehört und mit dem Neubau am Dorfgemeinschaftshaus frei wird, wäre geeignet für ein Bed&Bike-Angebot. Auch hier sei ein Laden denkbar oder die Einrichtung von Coworking-Plätzen, die in der Leaderregion forciert werden sollen. „Ziel ist, den Platz zu beleben“, so Feil. Und Gunda Remien ergänzt: „Leider hat der Landkreis für Nordkehdingen nicht vorgesehen, den Tourismus weiterzuentwickeln.“ Dabei spielt Tourismus schon jetzt eine Rolle in der nordwestlichsten Gemeinde des Landkreises: Zwölf Prozent der Gebäude sind Nebenwohnsitze und werden als Wochenend- oder Ferienhaus genutzt.
Um Tourismus geht es bei der nächsten Station: Gegenüber dem Kirchplatz führt eine Deichlücke zum Schützenplatz. „Hier können wir uns einen Wohnmobilstellplatz vorstellen“, sagt Feil. Auf den ersten Blick wirkt die riesige Fläche etwas trostlos, doch die beiden Frauen haben Argumente: „Hier ist Platz“, so Feil, „Sanitäranlagen und Strom sind vorhanden.“ „Der Blick geht in die Weite, man sieht die Pötte auf der Elbe“, ergänzt Remien. Und natürlich müsse der Platz hergerichtet werden. Der schon lange gehegte Plan für einen öffentlichen Grillplatz könne umgesetzt werden, ein Barfußpfad wäre denkbar, ebenso ein Spielplatz, der das gesamte Areal aufwerten könnte. Und selbstverständlich wäre der Womo-Stellplatz während des Schützenfestes geschlossen, versichern die beiden Frauen.
Pläne für Leerstand
Nun geht es am Deich entlang Richtung Krummendeich. Die Nachbargemeinde ist bereits in der Dorferneuerung und glänzt seit einem Jahr mit einem top sanierten Fußweg. Das wünschen sich die Baljer auch. Die Deichstraße führt an kleinen, renovierten Katen vorbei, aber auch an manchem Leerstand. „Die Schrottimmobilien sind ein Problem. Auch da soll mit der Dorferneuerung eine Lösung gefunden werden“, sagt Rike Feil.
Gunda Remien träumt davon, eines der größeren leerstehenden Häuser für ein integratives Seniorenwohnprojekt zu nutzen, „wo jeder das machen kann, was noch möglich ist; begleitet durch Altenpflege“. Der Hintergrund: Fast 28 Prozent der Bevölkerung Baljes sind älter als 65, aber es gibt kein Betreuungsangebot in der Gemeinde. „Da wohnen manche gefühlt 100 Jahre im Dorf und kommen dann ins Pflegeheim nach Freiburg oder Hemmoor und wenn sie dort sterben, läutet hier nicht einmal mehr die Glocke für sie“, bringt Rike Feil die Situation drastisch auf den Punkt. Zum würdevollen Altern gehöre auch die Möglichkeit, im vertrauten Umfeld zu altern.
Die Dorferneuerung soll Lösungen gegen Leerstand entwickeln.
Kurz bevor die Deichstraße eine S-Kurve um eine Wasserkuhle macht, weist Rike Feil auf eine Anhöhe am Winterdeich. „Hier stand einmal eine Mühle“, erzählt sie. Die Fundamente sind unter der Grasnarbe noch erkennbar. Ein historischer Ort, den keiner beachtet. „Hier könnte ich mir gut einen Rastplatz für Radler oder Wanderer vorstellen.“ Vom Mühlenplatz führt ein schnurgerader Weg durch die Felder und trifft schließlich auf die L 111. „Das ist der alte Mühlenstieg, der letztlich bis zur Oste führt.“
Gunda Remien ist fasziniert von den Plätzen und den Gebäuden und ihrer ursprünglichen Nutzung: „Ich fände es schön, wenn wir im Rahmen der Dorferneuerung die Straßen historisch aufarbeiten könnten und zu den einzelnen Gebäuden Audios produzieren, die per App abgehört werden könnten. Damit Geschichte erlebbar wird.“ Noch ein schönes Projekt: ein Audiowalk auf dem Deich von Balje-Ost bis Hörne und Natureum. Mit dem alten Baljer Leuchtturm als Attraktion und dem Gut Hörne mit seinem Mittelalterdorf.
Der Weg zur Dorferneuerung
Die Gemeinden Cadenberge und Balje blicken in eine gemeinsame Zukunft. Als „Dorfregion“ haben die benachbarten Oste-Anlieger einen gemeinsamen Antrag für das Dorfentwicklungsprogramm des Landes Niedersachsen eingereicht. In einem ersten Mini-Workshop haben Gemeindeverwaltungen, Kommunalpolitik und Ehrenamtliche die Stärken und Schwächen beider Gemeinden beleuchtet und vorhandene, gemeinde- und landkreisübergreifende Kooperationen und Verbindungen aufgelistet. Bei der Antragstellung unterstützte May-Britt Müller (Büro „Planschmiede Elbe-Weser“) die beiden Gemeinden. Der Antrag wurde fristgerecht am 24. Juli abgegeben. Mit einem Ergebnis ist im Frühjahr 2022 zu rechnen. Sofern das Land die Förderung bewilligt, wird die Bevölkerung eng in die Ideenfindung für mögliche Projekte eingebunden.
Pastorin Flade bittet um Richtigstellung
Im obenstehendem TAGEBLATT-Bericht über die Dorferneuerung in der Gemeinde Balje wurde Ratsfrau Rike Feil über die Situation älterer Mitbewohner folgendermaßen zitiert: „Da wohnen manche Leute gefühlt 100 Jahre im Dorf und kommen dann ins Pflegeheim nach Freiburg oder Hemmoor und wenn sie dort sterben, läutet hier nicht einmal mehr die Glocke für sie.“
Diese Aussage ist insofern aus dem Zusammenhang gerissen, da sie sich auf einen Einzelfall bezieht, der schon viele Jahre zurückliegt. In der Sache ging es darum, im Zuge der Dorferneuerung alternative Wohnprojekte für hilfebedürftige Senioren zu schaffen, damit sie in Würde im Heimatort altern können.
Die Baljer Pastorin Johanna Flade bittet nun um Richtigstellung: „Wenn Baljer für die letzten Lebensjahre zur Pflege an andere Orte ziehen, werden sie von uns als Kirchengemeinde selbstverständlich beläutet. Voraussetzung ist, dass sie Mitglied einer Kirche sind und dass wir über den Sterbefall informiert werden“, schreibt sie. Auch gebe es die Möglichkeit der Umpfarrung, so dass jedes Kirchenmitglied auch bei einem Umzug in andere Orte Mitglied der Heimatgemeinde bleiben kann.
Schmuckstück mit morbidem Charme: das Kaufhaus von Thun.
Die Asphaltwüste an der Schule soll aufgebrochen werden.
Auf dem Schützenplatz wäre Platz für Wohnmobile.
Rasten auf dem alten Mühlenplatz mit Blick auf den Mühlenstieg.
Wenn die Feuerwehr aus der alten Schule ausgezogen ist, könnte hier Bed&Bike angeboten werden.