Cannabis-Freigabe löst im Norden Proteststurm aus – Richter stöhnen

Der Bundestag entschied sich für die Freigabe. Foto: Christian Charisius/dpa
Nach hitzigen Debatten hat das Parlament entschieden: Kiffen wird legal. Das Gesetz von Gesundheitsminister Lauterbach löst jedoch große Bedenken aus. Aus Niedersachsen heißt es: „Das ist Murks.“
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Zäsur in der Drogenpolitik: Nach jahrzehntelangen Diskussionen rückt die Legalisierung von Cannabis in Deutschland in greifbare Nähe. Der Bundestag beschloss am Freitag mit klarer Mehrheit eine kontrollierte Freigabe der Droge. Besitz und Anbau sollen zum 1. April mit zahlreichen Vorgaben für Volljährige zum Eigenkonsum legal werden. Dafür stimmten nach einer kontroversen Debatte 404 Abgeordnete, mit Nein 226 Abgeordnete, es gab 4 Enthaltungen. Das Gesetz kommt abschließend voraussichtlich am 22. März noch in den Bundesrat. Zustimmungsbedürftig ist es nicht, die Länderkammer könnte prinzipiell aber den Vermittlungsausschuss mit dem Bundestag anrufen und das Verfahren abbremsen.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte, der Bundestag habe „eine Trendwende in der Drogenpolitik“ eingeläutet. Er zeigte sich optimistisch, dass die Legalisierung auch die letzte Hürde im Bundesrat nehmen wird. Das Vorhaben stößt aber weiter auf viel Kritik.

Karl Lauterbach (SPD) verteidigt sein umstrittenes Legalisierungsgesetz. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Im Bundestag votierten fünf Abgeordnete der Ampel-Koalition gegen das Gesetz. In der SPD gab es nach Parlamentsangaben vier Nein-Stimmen, in der FDP eine Nein-Stimme und zwei Enthaltungen. Bei den Grünen stimmten alle teilnehmenden Abgeordneten mit Ja. Die Union votierte geschlossen dagegen, die Gruppe der Linkspartei dafür. Bei der AfD gab es eine Ja-Stimme, die übrigen stimmten dagegen. In der Gruppe des Bündnisses Sahra Wagenknecht gab es fünf Ja-Stimmen sowie jeweils eine Nein-Stimme und eine Enthaltung.
Drei Cannabispflanzen in eigener Wohnung sollen erlaubt sein
Erlaubt werden soll für Erwachsene ab 18 Jahren grundsätzlich der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum. In der eigenen Wohnung sollen drei lebende Cannabispflanzen legal werden und bis zu 50 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum. Kiffen im öffentlichen Raum soll unter anderem in Schulen, Sportstätten und in Sichtweite davon verboten werden - konkret in 100 Metern Luftlinie um den Eingangsbereich.
Erlaubt werden sollen auch nicht-kommerzielle „Anbauvereinigungen“ für Volljährige, in denen bis zu 500 Mitglieder mit Wohnsitz im Inland Cannabis gemeinschaftlich anbauen und untereinander zum Eigenkonsum abgeben - im Monat höchstens 50 Gramm je Mitglied. Spätestens 18 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes soll es eine erste Bewertung unter anderem dazu vorliegen, wie es sich auf den Kinder- und Jugendschutz auswirkt.
Fragen & Antworten
Grünes Licht für Cannabis - mit welchen Regeln?
Kampf gegen den Schwarzmarkt als Ziel
Lauterbach hatte zuvor im Bundestag abermals für die Pläne geworben. Die Lage derzeit sei „in keiner Weise akzeptabel“, sagte der SPD-Politiker vor der Abstimmung mit Blick auf steigende Zahlen von Konsumenten und „toxische Konzentrationen“ in Cannabis aus kriminellem Drogenhandel. „Der Schwarzmarkt ist der Kern des Übels.“ Jeder Kampf gegen den Schwarzmarkt sei ein wichtiger Schritt zum Schutz junger Menschen. Daher solle ein legales Angebot geschaffen werden. Lauterbach hob zugleich eine vorgesehene stärkere Aufklärung hervor. „Wir verharmlosen nicht.“ Viele junge Menschen wüssten bisher nicht, dass Cannabis-Konsum für das wachsende Gehirn wie ein „Gehirngift“ wirke.
Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther sagte: „Wir beenden die schädliche Verbotspolitik. Wir geben das Hanf frei.“ Dies stärke den Gesundheits- und Jugendschutz. Die FDP-Fachpolitikerin Kristine Lütke sprach von einem „historischen Wendepunkt“ hin zu einem Umgang, der der gesellschaftlichen Realität entspreche. Mit Cannabis aus Eigenanbau wüssten Konsumenten, woher es komme. Zudem werde der Weg zum Dealer und anderen, weitaus gefährlicheren Drogen deutlich länger.
Ärzte sehen legales Cannabis als Fehler - Arbeit für Justiz
Die Ärztekammer in Hamburg sieht die Legalisierung von Cannabis als Fehler. „Aus medizinischer Sicht ist völlig klar, dass Cannabis-Konsum insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen negative Folgen für Gedächtnis- und Lernleistungen hat“, sagte Kammerpräsident Pedram Emami. „Mir ist daher unerklärlich, warum der Gesetzgeber hier keine strengeren Vorschriften vorsieht.“ Das nun beschlossene Gesetz reiche in puncto Jugendschutz nicht aus.
Wegen der ab 1. April geltenden Straffreiheit für den Besitz von Cannabis müssen viele Gerichtsverfahren zudem überprüft werden. Die Rückwirkung der Straffreiheit auf laufende Vollstreckungsvorgänge bringe „einen ganz beträchtlichen administrativen Aufwand mit sich“, sagte Gerichtssprecher Kai Wantzen dem „Hamburger Abendblatt“. In rund 750 Verfahren gegen Erwachsene bestehe möglicherweise Handlungsbedarf, wie eine erste grobe Schätzung nach Durchsicht von 3700 infrage kommenden Verfahren durch die Staatsanwaltschaft ergeben habe.
Niedersachsenweit sind es laut Justizministeriums in Hannover sogar rund 16.000 Akten die geprüft werden müssten.

Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina. Foto: Georg Wendt/dpa
Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina kritisierte das schnelle Inkrafttreten der Cannabis-Legalisierung zum 1. April. Zwar sei ihr die eingeschränkte Freigage der Droge für Erwachsene „ein wichtiges und langjähriges politisches Anliegen“, sagte die Grünen-Politikerin am Freitag in Hamburg. „Es ist aber sehr schade, dass der Gesetzentwurf nun im Bundestag verabschiedet wurde, ohne dass den Ländern für die Vorbereitung der Umsetzung ausreichend Zeit gegeben wird.“ Sie erwarte deshalb noch Auseinandersetzungen im Bundesrat.
Ministerin: Kontrollen für Polizei nicht umsetzbar
Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) hatte das Gesetz bereit zuvor als „Murks“ und „schlechten Kompromiss“ betitelt. Probleme sieht Behrens vor allem bei den Kontrollvorschriften, sie seien sehr komplex. Die Kontrollen zu den Cannabis-Clubs seien für die Polizei und die Ordnungsbehörden überhaupt nicht praktikabel umsetzbar.

Daniela Behrens, Innenministerin von Niedersachsen. Foto: Christophe Gateau/dpa
Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) übt ebenfalls deutliche Kritik. „Näher an Kitas zu kiffen, ist kein Beitrag zur Prävention. Der Kinder- und Jugendschutz ist weithin zu schwammig und unpräzise“, sagte der Minister. Auch die Erhöhung der erlaubten Besitzmenge beim Eigenanbau verstehe er nicht: „Ich sehe die Gefahr der Verharmlosung, wenn Erwachsene in großem Stil Cannabis besitzen. Das hat eine schlechte Signalwirkung auf Kinder und Jugendliche.“
Bürger sind gespalten beim Thema Cannabis-Legalisierung
Bei der generellen Einschätzung der Cannabis-Legalisierung zeigt sich laut einer Umfrage ein gespaltenes Bild. 42 Prozent gaben in einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov an, eine Legalisierung eher oder voll und ganz zu befürworten. 47 Prozent erklärten, diese eher oder voll und ganz abzulehnen. 11 Prozent äußerten sich dazu nicht, wie aus der Umfrage hervorgeht, die der Deutschen Presse-Agentur am Freitag vorlag.