Feuer in Stader Flüchtlingsunterkunft: Anklage fällt wie ein Kartenhaus zusammen

Blick auf die Einsatzstelle am Bullenhof in Stade. 40 Feuerwehrleute waren vor Ort. Foto: Beneke
In dubio pro reo, hieß es am Ende der Verhandung vor dem Stader Amtsgericht. Angeklagt war ein 31-jähriger Flüchtling wegen schwerer Brandstiftung. Doch nachweisen konnte ihm das Schöffengericht die Tat nicht.
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Mit Fußfesseln und von fünf Justizvollzugsbeamten flankiert wurde der Angeklagte in den Schwurgerichtssaal geführt. Vorgeworfen wurde ihm, am 4. April vergangenen Jahres sein Zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft im Stader Bullenhof angezündet zu haben. An mindestens acht Stellen soll er Kleidungsstücke und Einrichtungsgegenstände im Dachgeschoss angezündet habe, hieß es in der Anklageschrift. Zur Tatzeit sei mindestens ein Nachbar im Haus gewesen.
Zeuge widerspricht seiner Aussage
Auf dessen vermeintliche Aussage stützte sich die Anklage. Doch die fiel wie ein Kartenhaus zusammen. Ja, er sei an dem Tag im Haus gewesen, berichtete der Zeuge, der von einem Dolmetscher unterstützt wurde. Er habe einen Knall gehört, daraufhin sei kurz der Strom ausgefallen. Als er das Feuer im Stockwerk darüber bemerkte, sei er nach oben gerannt und habe bei seinem Nachbarn geklopft. Der öffnete nicht. Den Bewohner der brennenden Wohnung habe er erst nach 20 Minuten vor dem Haus getroffen.
Diese Aussage deckte sich nicht mit der schriftlichen Aussage, die dem Gericht vorlag. Darin stand, dass der Zeuge kurz vor Ausbruch des Feuers beobachtet habe, wie sein Nachbar, der Angeklagte, das Haus verlassen habe. Er könne nicht gut deutsch schreiben, erklärte der Zeuge, daher habe er einen Arbeitskollegen gebeten, seine Aussage aufzuschreiben. Er habe sie doch unterschrieben, hielt ihm die Richterin vor. Er könne Deutsch auch nicht gut lesen und er habe nicht gewusst, dass die Aussage vor Gericht eine Rolle spiele, so die Antwort.
Als die Vorsitzende ihn damit konfrontierte, dass er einem Feuerwehrmann die gleiche Geschichte erzählt habe, verneinte dies der Zeuge. Aber die Polizei habe mit einem anderen Bewohner gesprochen. Dagegen bestätigte der Zeuge auf Nachfrage dem Gericht, dass jeder Bewohner für sein Zimmer einen eigenen Schlüssel habe und dass es keine Ersatzschlüssel gebe.
Kritik an Ermittlungsarbeiten
Wenig erhellend war die Befragung des zweiten Zeugen, eines Polizeibeamten. Er hatte in einem Abschlussvermerk dieselbe Geschichte festgehalten, die ihm ein städtischer Mitarbeiter erzählt habe. Er bestätigte, dass die Wohnung verschlossen war. Und auf Nachfrage der Staatsanwältin habe die Polizei zwar den Angeklagten am Einsatzort entdeckt, aber weder Spuren von dessen Kleidung genommen, noch Brandbeschleuniger festgestellt.
Schließlich beantragte die Staatsanwältin, den 31-Jährigen freizusprechen. Die Beweisaufnahme habe die Anklagevorwürfe nicht bestätigen können. Dem schloss sich selbstredend der Verteidiger Rainer Kattau an, nicht ohne die „schwammigen“ Ermittlungsarbeiten zu kritisieren. Die Aussage des Zeugen vor Gericht sei durchaus glaubwürdig, so die Richterin bei der Urteilsverkündung. Wenn er gesehen hätte, wie der Angeklagte das Haus verließ, wäre er nicht bei Brandausbruch nach oben gelaufen, um an der Tür zu klopfen. Für die Täterschaft spreche nur, dass die Tür abgeschlossen war. Aber es habe keine Ermittlungen gegeben, ob Vorbewohner alle Schlüssel abgegeben haben. Auch konnte die Tür nicht untersucht werden, da sie nach dem Brand nur noch zur Hälfte vorhanden war. In diesem Fall gelte der Basisgrundsatz der deutschen Rechtssprechung: in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten. Als freier Mann konnte der Angeklagte das Gericht dennoch nicht verlassen, sitzt er doch wegen einer Vorverurteilung ein. Und er muss mit einem Ordnungsgeld rechnen, da er sich geweigert hatte, vor der Richterin aufzustehen.