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Energiekrise

Gasumlage gekippt – Was Verbraucher jetzt wissen müssen

Die Bundesregierung will die steigenden Gaspreise in Deutschland mit einer Gaspreisbremse dämpfen. Foto: picture alliance / dpa

Die Bundesregierung will die steigenden Gaspreise in Deutschland mit einer Gaspreisbremse dämpfen. Foto: picture alliance / dpa

Das Signal soll sein: Der Staat lässt die Bürger mit der Energiekrise nicht allein. Stattdessen schnürt die Ampel ein riesiges Rettungspaket. Was Sie jetzt wissen müssen.

Donnerstag, 29.09.2022, 13:30 Uhr

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Von Theresa Münch, Helge Toben, Basil Wegener und Sascha Meyer

Es ist ein gigantisches neues Hilfspaket: Bis zu 200 Milliarden Euro will die Bundesregierung ausgeben, um Verbraucher und Unternehmen vor hohen Energiepreisen wegen des Ukraine-Kriegs zu schützen. Die Preise für Gas und Strom sollen gedeckelt werden, die umstrittene Gasumlage für alle Gaskunden ist vom Tisch. Die angeschlagenen Gaslieferanten sollen stattdessen mit anderen Mitteln gerettet werden. Kanzler Olaf Scholz sprach am Donnerstag von einem „Doppelwumms“ - und erinnerte damit an die Staatshilfen in der Corona-Krise, die damals mit „Wumms“ aus der Krise führen sollten.

„Die Preise müssen runter“, betonte der SPD-Politiker in Berlin. Dafür werde die Bundesregierung alles tun. Das gewaltige Paket solle dazu beitragen, dass Rentnerinnen und Rentner, Familien, Handwerksbetriebe und Industrie die hohen Rechnungen bezahlen könnten. Es gehe darum, als „starke und robuste Volkswirtschaft diese Zeit zu bestehen“, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Mit den 200 Milliarden solle der „Angriff von Russland, von Putins Regime, auf unsere Volkswirtschaft“ abgewehrt werden.

Die Gasumlage, die eigentlich vom 1. Oktober an erhoben werden sollte, werde nun per Verordnung zurückgezogen, sagte Habeck. Sollten Verbraucher sie schon gezahlt haben, müsse sie zurückgezahlt werden.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) sprach von einem „Energiekrieg um Wohlstand und Freiheit“. Scholz stellte klar, dass er spätestens seit den Beschädigungen an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee auf absehbare Zeit kein Gas aus Russland mehr erwarte.

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Damit die Preise nun nicht völlig hemmungslos steigen, sind folgende Maßnahmen geplant - viele Details sind allerdings noch offen:

Gaspreisbremse einführen

Mindestens für einen Teil des Verbrauchs sollen die Gaspreise so gedeckelt werden, dass private Haushalte und Unternehmen nicht überfordert sind. Was das genau bedeutet, ist aber noch völlig offen. Eine Kommission soll bis Mitte Oktober Vorschläge machen. Der Bundesregierung ist wichtig, dass trotzdem ein Anreiz zum Gassparen bleibt. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, die die Kommission leitet, sagte der „FAZ“: „Anreize, Gas zu sparen, müssen oberste Priorität haben. Wenn eine Gasmangellage eintritt, dann haben alle verloren, ob mit oder ohne Gaspreisbremse.“ Auch die Verbraucherzentralen riefen dazu auf, ungeachtet der Preisbremse Gas zu sparen.

Strompreise begrenzen

Auch der Strompreis für einen bestimmten Basisverbrauch soll gedeckelt werden - Details sind auch hier noch offen. Fest steht nur, dass dieser Preisdeckel über eine Abschöpfung hoher Gewinne von Stromkonzernen bezahlt werden soll. Denn Anbieter von Ökostrom zum Beispiel können wegen der hohen Gaspreise derzeit auch für ihren Strom ungewöhnlich viel Geld verlangen. Bis das System funktioniert, soll das staatliche Hilfspaket einspringen.

Gasumlage kippen - Gasimporteure anders retten

Die umstrittene Gasumlage von 2,4 Cent pro Kilowattstunde für alle Gaskunden wird laut Scholz nicht mehr gebraucht. Die Verordnung wird zurückgezogen, bereits gezahltes Geld soll laut Habeck zurückgezahlt werden.

Eigentlich sollte die Umlage dazu dienen, angeschlagene Gasimporteure zu stützen, die bisher mit billigem Gas aus Russland kalkuliert haben. Diese sollen nun auf Staatskosten stabilisierte werden. Für die besonders betroffenen Unternehmen Sefe, Uniper und VNG sollen „maßgeschneiderte Lösungen“ entwickelt werden. „Wir werden die Unternehmen, da geht es vor allem um drei, direkt unterstützen, so dass das nicht zu einer Mehrbelastung der Verbraucherinnen und Verbraucher und vieler anderer Unternehmen führt, aber diese Unternehmen trotzdem wirtschaftlich durch diese Situation kommen können und ihre Aufgabe für die Gasversorgung Deutschlands auch weiter wahrnehmen können“, sagte Scholz.

Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme reduzieren

Dabei bleibt es trotz des Wegfalls der Gasumlage: Die Mehrwertsteuer auf die Lieferung von Gas soll wie geplant vom 1. Oktober an von 19 auf 7 Prozent reduziert werden. Gleiches solle auch für Fernwärme gelten, sagte Habeck. Die Maßnahme soll bis zum 31. März 2024 gelten. Die Finanzmittel dafür sind nicht in dem bis zu 200 Milliarden Euro schweren Abwehrschirm enthalten, sondern werden zusätzlich aus dem normalen Haushalt gestemmt. Am Freitag soll der Bundestag über die temporäre Steuersenkung entscheiden.

Unternehmen helfen

Für Firmen, die nicht ausreichend von den Strom- und Gaspreisdeckeln profitieren, soll es Liquiditäts- und Eigenkapitalhilfen geben. Diese sollen zielgerichtet darauf ausgerichtet werden, wie groß die durch den russischen Krieg in der Ukraine verursachte Notlage ist, um Mitnahmeeffekte auszuschließen.

Finanzierung über Sondervermögen

Die 200 Milliarden Euro sollen nicht aus dem regulären Bundeshaushalt kommen, sondern aus dem sogenannten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Dieses Sondervermögen war in der Corona-Krise zur Rettung größerer Unternehmen gebildet worden und wird nun wiederbelebt. Der Bund will es „mit zusätzlichen Kreditermächtigungen“ in Höhe von 200 Milliarden Euro füttern. Dafür muss der Bundestag erneut eine Ausnahme der Schuldenbremse beschließen. Auch wenn das Geld über die nächsten Jahre peu a peu abfließen wird, soll es noch in diesem Jahr bereitgestellt werden. So muss Lindner sein Versprechen nicht brechen, im kommenden Jahr die Schuldenbremse wieder einzuhalten.

Der Finanzminister betonte, Krisenausgaben würden so auch klar von der regulären Haushaltsführung getrennt. Das sende das Signal an die Kapitalmärkte, das Deutschland an seiner stabilitätsorientierten Finanzpolitik festhalte. Außerdem sei das Paket auch eine „Art Inflationsbremse“, indem die Preisentwicklung gedämpft und das Angebot ausgebaut werde.

Lindner rief die oppositionelle Union auf, das milliardenschwere Paket zu unterstützen. „In einer solchen Situation, wie wir sie jetzt haben, erwarte ich auch, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Prinzip dem Vorgehen zustimmt“, sagte er. Unionsfraktionschef Friedrich Merz zeigte sich kritisch: „Wir haben jetzt ein Preisschild“, sagte er. Man wisse aber nicht, welches Instrument damit angeschafft werden solle. Es sei nicht nachzuvollziehen, wie der Bedarf von 200 Milliarden Euro ermittelt worden sei. Völlig offen bleibe, wie die Gas- und Strompreisbremse gestaltet werden solle.

Weil: Energiepreis-„Abwehrschirm“ macht Bund handlungsfähig

Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil hat die Hilfspläne in der Energiekrise gelobt. „Der Abwehrschirm der Bundesregierung ist ein großer Wurf“, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag. „Der Bund engagiert sich mit 200 Milliarden Euro und ist damit handlungsfähig in seinem Kampf gegen die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Energiekrise.“ Die weiteren Entscheidungen dazu seien nun finanziell abgesichert.

Weil begrüßte konkret die angekündigte Zurückziehung der Gasumlage sowie die Einführung einer Energiepreisbremse. „Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang, dass auch die Bundesregierung Wert darauf legt, dass ein praktisch gut anwendbares und schnell realisierbares System gefunden wird“, sagte er. Weil selbst hatte Anfang der Woche zusammen mit Niedersachsens Energieminister Olaf Lies (ebenfalls SPD) einen Vorschlag dafür vorgelegt, der vorsieht, dass der Bund die Hälfte der Preissteigerungen übernimmt.

Institute: Gaspreisbremse könnte Inflation weiter anfachen

Führende Wirtschaftsforschungsinstitute haben davor gewarnt, dass eine Gaspreisbremse die ohnehin schon hohe Inflation weiter anfachen könnte. Wegen des hohen Importanteils erfordere eine Senkung des Gaspreises „massive Subventionen, die ihrerseits natürlich dann neue Kaufkraft in den Privatsektor pumpen würden“, sagte Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft Kiel am Donnerstag bei Vorstellung des Herbstgutachtens der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Berlin.

Damit werde der gesamtwirtschaftliche Preisauftrieb abermals angefacht. „Und das ist destabilisierend, insbesondere aber auch problematisch für die unteren Einkommensgruppen, für die ist das geradezu ein Bärendienst“, sagte er.

Die umstrittene Gasumlage dagegen sei besser als ihr Ruf. Es gehe dabei lange nicht nur darum, die Gasversorger zu retten. Indem die höheren Gaspreise schneller an die Bevölkerung weitergegeben würden, setze man einen Anreiz zum Gassparen auch bei Kunden mit Altverträgen.

Gassparen: Bundesnetzagentur fordert stärkere Anstrengungen

Der Gasverbrauch der Haushalte steigt nach Einschätzung der Bundesnetzagentur derzeit zu stark an. In der vergangenen Woche habe der Verbrauch von Haushalten und kleineren Gewerbebetrieben deutlich über dem durchschnittlichen Verbrauch der entsprechenden Vorjahreswochen gelegen, berichtete die Behörde am Donnerstag in Bonn. Die Zahlen seien „sehr ernüchternd“. „Ohne erhebliche Einsparungen auch im privaten Bereich wird es schwer, eine Gasmangellage im Winter zu vermeiden“, sagte Netzagenturpräsident Klaus Müller laut einer Mitteilung.

Zwar sei die vergangene Woche kälter als die Vorjahreswochen gewesen. Auch seien Verbräuche immer Momentaufnahmen und könnten sich schnell ändern. Einsparungen müssten jedoch auch bei weiter sinkenden Temperaturen stattfinden, betonte Müller. „Das ist kein Selbstläufer.“

Angesichts der gut gefüllten Speicher könne man unter drei Voraussetzungen gut über den Winter kommen. Zum einen müssten die Projekte zur Erhöhung der Gasimporte, wie etwa die Errichtung von LNG-Terminals realisiert werden. Zum anderen müsse die Gasversorgung in unseren Nachbarländern ebenfalls stabil bleiben. „Und drittens muss Gas eingespart werden, auch wenn es zum Winter hin noch kälter wird. Da wird es auf jeden Einzelnen ankommen“, sagte Müller weiter.

Private Haushalte machen 40 Prozent des deutschen Gasverbrauchs aus

Privaten Haushalte und kleinere Gewerbekunden sind in Deutschland für rund 40 Prozent des Gasverbrauchs verantwortlich. Dieser Gasverbrauch habe sich bis Mitte September zum Teil deutlich unter den durchschnittlichen Verbräuchen der Vorjahre bewegt. In der vergangenen Woche habe er jedoch mit 483 Gigawattstunden um 14,5 Prozent über dem durchschnittlichen Wert dieser Woche in den Jahren 2018 bis 2021 gelegen. Die Bundesnetzagentur geht derzeit davon aus, dass zur Vermeidung einer Gasmangellage ein Rückgang des Verbrauchs um mindestens 20 Prozent erforderlich ist.

Bei einer Gasmangellage können nicht mehr alle Verbraucher in Deutschland mit Gas versorgt werden. Die Bundesnetzagentur muss dann entscheiden, wer noch Gas bekommt und wer nicht. Besonders geschützt sind Haushaltskunden, Kindergärten, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Altenheime und Arztpraxen, Polizei und Feuerwehr, die Bundeswehr, die Strom- und Wasserversorger, die Müllabfuhr, aber auch viele kleine und mittlere Unternehmen in den Bereichen Gewerbe, Handel und Dienstleistungen.

Die übrigen 60 Prozent des Gasverbrauchs in Deutschland entfallen auf große Industriekunden. Ihr Verbrauch lag im August 22 Prozent unter dem Mittelwert der Jahre 2018-2021. In der vergangenen Woche (Kalenderwoche 38) lag der Verbrauch sogar 30 Prozent unter dem Durchschnittswert.

Die Bundesnetzagentur will ab sofort wöchentlich Zahlen zum Gasverbrauch von Haushalten und Industrie in Deutschland veröffentlichen. (dpa)

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