Geplante Bürgergeld-Erhöhung: Lohnt sich Arbeit überhaupt noch?

Euro Geldscheine stecken in einer Geldbörse. Das Bürgergeld wird zum 1. Januar 2024 erhöht. Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa
CDU-Politiker Jens Spahn hat jüngst Bürgergeld-Empfänger und Durchschnittsverdiener gleichgestellt. Doch wie sieht es bei vierköpfigen Familien mit und ohne Arbeit tatsächlich aus? Wer hat mehr Geld?
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Von Marc Fleischmann, dpa
Die geplante Bürgergeld-Erhöhung hat CDU-Wirtschaftspolitiker Jens Spahn jüngst als "falsches Signal" bezeichnet. Nach seinen Worten soll eine vierköpfige Familie, die Bürgergeld bezieht, derzeit genauso viel Geld zur Verfügung haben wie eine Familie mit Durchschnittsverdienern.
Behauptung: "Nach heutiger Rechtslage erhält eine vierköpfige Familie im Schnitt 2311 Euro an Bürgergeld. Damit hat sie faktisch so viel zur Verfügung wie eine Durchschnittsverdiener-Familie in Deutschland", sagte Spahn in der "Bild"-Zeitung.
Bewertung: Teilweise falsch.
Fakten: Die von Spahn genannte Zahl findet sich tatsächlich in einer Tabelle des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 1. Januar 2023). Dort sind zur Einführung des Bürgergelds in diesem Jahr exemplarische Berechnungen dargestellt. In einem der Szenarien ist die Rede von einem "(Ehe-)Paar", das zwei Kinder im Alter von 4 und 12 Jahren hat - und 2311 Euro erhält (inklusive Kindergeld).
Die vier Personen erhalten der Tabelle zufolge aktuell zusammen 1568 Euro an Bürgergeld. Dazu kommen 743 Euro für laufende und einmalige Kosten der Unterkunft. Addiert sind das genau die 2311 Euro, von denen Spahn sprach.
Doch wie sieht es bei Durchschnittsverdienern aus? Ein Paar mit mindestens einem Kind erhält im Schnitt (Stand: 2021) in Deutschland ein Bruttoeinkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 5809 Euro. Das geht aus den 2022 veröffentlichten Wirtschaftsrechnungen des Statistischen Bundesamtes hervor.
Sind beide Arbeitnehmer verheiratet und verdienen in etwa das Gleiche, käme das Paar gemeinsam auf etwa 4000 Euro netto, wenn beide in der Steuerklasse IV sind. Dazu erhält die Familie monatlich Kindergeld in Höhe von 500 Euro bei zwei Kindern.
Für Wohnen und Energie gibt das Statistische Bundesamt für Paare mit einem Kind und mehr 1226 Euro im Monat an. Nach Abzug dieser Kosten blieben der vierköpfigen Familie mehr als 3000 Euro übrig.
Anders sieht es natürlich bei Geringverdienern aus. Szenario: eine vierköpfige Familie mit Alleinverdiener, der nur Mindestlohn von derzeit 12 Euro pro Stunde bekommt. Auf den ersten Blick hat solch eine Familie scheinbar keinen finanziellen Vorteil im Vergleich zu Bürgergeldempfängern. Allerdings können Menschen mit geringem Einkommen und dabei insbesondere Familien verschiedene staatliche Zuwendungen von jeweils mehreren Hundert Euro erhalten. Dazu gehören etwa Wohngeld oder Kinderzuschlag.
Was man zum Bürgergeld wissen muss
Mit der Erhöhung des Bürgergelds zum 1. Januar 2024 sollen 5,5 Millionen Bedürftige im Schnitt rund 12 Prozent mehr Geld auf ihr Konto überwiesen bekommen. "Die Regelsätze werden für alle Generationen, die bedürftig sind, zum 1. Januar deutlich steigen", sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Dienstag in Berlin. Die entsprechende Verordnung soll demnächst beschlossen werden. Was für die Betroffenen nun wichtig ist:
Wie hoch ist das Bürgergeld heute - und im kommenden Jahr?
Seit Anfang des Jahres erhalten Alleinstehende 502 Euro pro Monat - ab Anfang 2024 sollen es 563 Euro sein. Mit Partnern zusammenlebende Erwachsene erhalten bisher 451 Euro - künftig 506 Euro. Für Jugendliche im 15. Lebensjahr bis unter 18 Jahre fließen 420 Euro - künftig sollen es 471 sein. 348 Euro erhalten Kinder vom Beginn des 7. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres - künftig sollen es 390 Euro sein. Für Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres fließen derzeit 318 Euro - ab 2024 dann 357 Euro.
Wie viel soll die Erhöhung kosten?
Rund 4,3 Milliarden Euro, wie Heil sagte. Nach der Finanzierung angesichts von Schuldenbremse und Spardruck gefragt verwies der SPD-Politiker darauf, dass das Bürgergeld "eine gesetzgeberische Leistung" sei. Mit dem erwarteten Bundestagstagsbeschluss zum Bundeshaushalt Ende November sollten die notwendigen Mittel dann auch da sein.
Wie wird das Bürgergeld berechnet?
Es wird geschaut, wie hoch der Bedarf etwa für Ernährung, Kleidung, Körperpflege und Hausrat ist und was für eine Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben gebracht wird. So kommt der Regelsatz zustande. Von den 502 Euro für einen Erwachsenen fließen etwa 174 Euro für Nahrung und Getränke, rund 49 Euro für Freiheit/Unterhaltung/Kultur und 45 Euro für Telekommunikation/Post. Die Berechnung der Bürgergeld-Regelsätze erfolgt an Hand statistisch erfasster Daten von rund 60 000 Haushalten.
Warum werden die Bürgergeld-Sätze nun erhöht?
Der Regelsatz wird jährlich an die Preis- und Lohnentwicklung angepasst, wobei die Preise mit 70 und die Löhne mit 30 Prozent zu Buche schlagen. Kritik aus der Vergangenheit, dass die Regelsatzerhöhung der Inflationsentwicklung oft hinterhergehinkt habe, findet Heil berechtigt. 2022 hatte etwa eine Erhöhung um 3 auf 449 Euro für alleinstehende Erwachsene für enttäuschte Reaktionen gesorgt. Mit der Bürgergeld-Reform werde die Inflation nun "besser und zeitnäher" berücksichtigt, so Heil. Bereits mit dem Start der Bürgergeld-Reform waren die Sätze Anfang des Jahres um rund 50 Euro erhöht worden.
Reicht die Erhöhung für die Betroffenen aus?
Für Heil sind die Regelsätze durch die größeren Anpassungen "inflationsfester und damit auch krisenfester". Der Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, sagt hingegen: "Ausgeglichen wird gerade einmal knapp der aktuelle Kaufkraftverlust. Von einer Leistungsverbesserung kann keine Rede sein." Bedarf werde kleingerechnet. Und die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, kritisiert die Erhöhung als "viel zu spät", weil besonders die hohen Strom- und Gaspreise Betroffenen das Geld derzeit komplett auffressen würden.
Was ist das Bürgergeld?
Das Bürgergeld hat zum Jahresbeginn das Arbeitslosengeld II abgelöst. Es soll Menschen den Lebensunterhalt sichern, die arbeiten können und deren Einkommen aber nicht zum Leben reicht. Gleichzeitig soll Betroffenen mit Beratung und Aus- und Weiterbildung geholfen werden, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. Das Bürgergeld war die bisher größte Sozialreform der Ampel-Koalition und ist an die Stelle des bisherigen Hartz-IV-Systems getreten.
Wer ist berechtigt, Bürgergeld zu beantragen?
Man kann es erhalten, wenn man erwerbsfähig ist, mindestens 15 Jahre alt, nicht im Rentenalter und wenn das Einkommen unter dem Existenzminimum liegt und man deshalb den Lebensunterhalt nicht ausreichend aus eigenen Mitteln bestreiten kann. Lebt man mit einer erwerbsfähigen und leistungsberechtigten Person zusammen, kann man auch als nicht Erwerbsfähiger Bürgergeld erhalten. Man beantragt Bürgergeld beim Jobcenter, das geht auch digital (www.jobcenter.digital).
Was wird noch bezahlt?
Zu den Beträgen des Regelsatzes werden die Kosten für Unterkunft und Heizung erstattet. Innerhalb einer Karenzzeit von 12 Monaten werden Bedarfe für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt. Bei einer Schwangerschaft hat man Anspruch auf einen Mehrbedarf von 17 Prozent des Regelsatzes. Auch bestimmte weitere Mehrbedarfe können geltend gemacht werden.
Was kann man tun, wenn der Antrag auf Bürgergeld abgelehnt wird?
Man kann Widerspruch einreichen oder auch klagen. Dabei kann man sich etwa von Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege unterstützen lassen. Einen Widerspruch muss man mit Begründung beim Jobcenter einreichen. Vergangenes Jahr, noch vor der Bürgergeld-Reform, hatte rund ein Drittel der Widersprüche Erfolg.
Wann wird das Bürgergeld ausgezahlt?
Die Bürgergeld-Auszahlung findet Monat für Monat statt. Dabei muss die Leistung jeweils zum 1. auf dem Konto der Beziehenden eingegangen sein. Der genaue Auszahlungstag des Bürgergeldes ist aber variabel.
Kann man Bürgergeld bekommen, wenn Arbeitslosengeld nicht reicht?
Ja, wenn das Arbeitslosengeld nicht für Lebensunterhalt und Unterkunftskosten reicht, können man zusätzlich Bürgergeld beantragen und es damit aufstocken. (dpa)