HSV feiert zehn Minuten zu früh – am Ende jubelt ein Stader

HSV-Trainer Tim Walter und ein auf den Platz gestürmter Fan. Foto: dpa-Bildfunk
Der direkte Aufstieg für die Hamburger war zum Greifen nah, dann wird die Nachspielzeit von Rivale Heidenheim zum Wahnsinn. Für den HSV geht's nun gegen den VfB Stuttgart - und das finden die Hamburger gar nicht gut.
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Die Fans strömten schon auf den Platz, nach dem Schlusspfiff waren die Spieler und das Trainerteam außer Rand und Band - aber es war umsonst. Statt einer großen Aufstiegsparty hieß es für den Hamburger SV durch zwei späte Treffer des 1. FC Heidenheim in der Nachspielzeit: Relegation statt direkter Bundesliga-Rückkehr. Der 1:0 (1:0)-Sieg bei Absteiger SV Sandhausen nutzte dem HSV am letzten Spieltags nichts, da auch Heidenheim seine Partie bei Jahn Regensburg nach einem 0:2-Rückstand noch denkbar knapp mit 3:2 gewann und sich damit sogar zum Zweitliga-Meister krönte. Der Elfmeterpfiff blieb allerdings umstritten.
Um wieder im fußballerischen Oberhaus mitzumischen, tritt Trainer Tim Walter mit dem HSV gegen nun seinen Ex-Club VfB Stuttgart in der Relegation an. Damit muss der HSV am 1. und 5. Juni eine zusätzliche Hürde für den ersehnten Bundesliga-Aufstieg überwinden.
Auch die Medienabteilung des HSV hatte nach dem Schlusspfiff schon ein wenig Vorfreude. Doch in Regensburg lief die Partie noch.
Sandhausens Stadionsprecher, der dem HSV bereits zum Aufstieg gratuliert hatte, reichte HSV-Sportvorstand Jonas Boldt das Mikrofon und der richtete einen Appell an die enttäuschten Fans auf dem Rasen. „Das ist bitter gelaufen heute“, sagte Boldt: „Leider gehört das zum Sport dazu. Bündelt alle Kräfte. Das Ding ist noch nicht zu Ende. Wenn wir das alles noch mal in die Waagschale legen nächste Woche, dann ziehen wir das halt mit einer Extra-Runde durch.“
Von Drittliga-Absteiger Sandhausen gab es hinterher eine Entschuldigung für die verfrühte Glückwunsch-Durchsage, die den Fansturm erst ins Rollen brachte.

In jüngster Zeit besonders tragisch aus Fan-Sicht: der voreilige Aufstiegsjubel am letzten Spieltag der vergangenen Saison. Foto: dpa
„Einfach kann jeder. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, am Ende hat es Heidenheim auch gemacht. Von daher: Glückwunsch an Heidenheim“, sagte Walter bei Sky. „Trotzdem geht es weiter. Wir werden morgen wieder aufstehen und werden morgen wieder angreifen.“
HSV in Relegation gegen Walters Ex-Club VfB Stuttgart
Tausende HSV-Fans hatten den Weg in das mit 12.320 Zuschauern besetzte Stadion am Hardtwald auf sich genommen und das Auswärtsspiel - zumindest atmosphärisch - in ein Heimspiel verwandelt. Jean-Luc Dompé (3. Minute) sorgte mit seinem spektakulären Volley-Treffer für den Sieg gegen den Tabellenletzten.
Seit Sonnabend wusste der HSV bereits: In der Relegation hieße der Gegner in einem Hin- und Rückspiel VfB Stuttgart. Besonders pikant: Walter war 2019 für ein halbes Jahr Trainer der Schwaben. Kurz vor Weihnachten trennte sich der Club damals vom 47-Jährigen. Im Sommer darauf stieg der Club auf - ohne ihn.

Die HSV-Profis müssen die Enttäuschung schnell verarbeiten: Donnerstag ist Relegation. Foto: dpa
Dass Walter den direkten Aufstieg unbedingt wollte, daran ließ er auch vor der Partie keine Zweifel - und setzte auf die Unberechenbarkeit des Sports. „Da passieren die verrücktesten Dinge, und darauf hoffen wir natürlich“, sagte er dem Bezahlsender Sky.
HSV-Sportvorstand Boldt: Relegations-Modus überdenken
Nach Meinung von Jonas Boldt sollte der Fortbestand der Relegation um den Aufstieg überdacht werden. "Von der Statistik her hat der Erstligist natürlich sehr, sehr viele Vorteile", sagte der 41-Jährige. "Es wäre vielleicht auch mal eine Idee, das zu überdenken und die drei Plätze komplett anders auszuloten, denn es kann ja nicht im Sinne sein, dass es dann immer der Erstligist ist", sagte Boldt. Seit 2009 hat sich in den K.o.-Spielen nur dreimal der Zweitligist durchgesetzt. "Es gibt ja auch andere Ligen, die da spannende Modelle haben", so Boldt. "Aber das ist erst mal Zukunftsmusik. Wir haben jetzt die Chance und wollen etwas Besonderes schaffen."
Als Erstligist hatte der HSV selbst schon zweimal in der Relegation das bessere Ende für sich. 2014 hielt er gegen die SpVgg Greuther Fürth die Klasse, 2015 bezwang er den Karlsruher SC. Vergangene Saison verloren die Hamburger als Zweitligist gegen Hertha BSC.
VfB vor Duellen mit HSV und Ex-Coach Walter: „hartes Stück Arbeit“
Die Stuttgarter rechnen in den beiden Relegationsduellen mit einem „ganz besonders stimmungsvollen“ Rahmen. „Duelle zwischen dem VfB und dem HSV zählen zu den traditionsreichen Spielen im deutschen Fußball“, sagte VfB-Sportdirektor Fabian Wohlgemuth laut einer Vereinsmitteilung am Sonntag. „Wir wissen, dass am Donnerstag und am Montag jeweils ein hartes Stück Arbeit auf uns wartet.“
„In der Relegation wollen wir an die Leistungen der vergangenen Wochen anknüpfen und alles daran setzen, den Klassenerhalt zu schaffen“, sagte Wohlgemuth: „Die Fans werden den beiden Spielen mit Sicherheit einen ganz besonders stimmungsvollen Rahmen geben.“
Mit Sebastian Hoeneß als viertem Trainer dieser Spielzeit hatte der VfB Stuttgart am Sonnabend den möglichen direkten Klassenerhalt in der Fußball-Bundesliga mit einem 1:1 gegen die TSG 1899 Hoffenheim verspielt. Der Tabellen-16. der ersten Liga hat im Relegations-Hinspiel zunächst Heimrecht und tritt im Rückspiel auswärts beim HSV an.
HSV verspielte direkten Aufstieg im Frühjahr
Der HSV kam schnell in die Partie: Ransford Königsdörffer flankte an den zweiten Pfosten, wo Dompé den Ball traumhaft per Volley-Abnahme traf. Die Hamburger kamen zu mehreren Möglichkeiten, um zu erhöhen, doch Robert Glatzel (21.) und HSV-Kapitän Sebastian Schonlau (28.) konnte ihre Kopfballchancen nicht nutzen.
In der zweiten Halbzeit fielen zwar die Fans der Gäste durch Jubel nach den Regensburger Toren auf, die Hamburger aber weniger durch spielerische Glanzleistungen. Die größte Chance hatte Hamburgs Moritz Heyer, der aus knapp 18 Metern lediglich den Pfosten traf.
Den direkten Aufstieg verspielte der HSV allerdings nicht an diesem letzten Spieltag. Bis Anfang März überzeugten die Hamburger mit ordentlichen Leistungen und blieben dicht hinter Tabellenführer Darmstadt 98. Danach folgten Niederlagen in Karlsruhe (2:4), Kaiserslautern (0:2) und Magdeburg (2:3). Dabei hatte der HSV in der Saison nicht nur Probleme auf, sondern immer wieder neben dem Platz. Innenverteidiger Mario Vuskovic wurde wegen Dopings gesperrt, der Flügelspieler Dompé und der Verteidiger William Mikelbrencis waren Anfang Februar in einen Autounfall verwickelt. Und genau diese nervenaufreibende Saison geht jetzt noch in eine Verlängerung.
Heidenheim steigt erstmals in die Bundesliga auf
Beim Abpfiff jubelten die Hamburger schon ausgelassen, Sandhausens Stadionsprecher gratulierte zum Aufstieg. Doch das Spiel in Regensburg lief noch fast zehn Minuten und der FCH glich durch einen Elfmeter von Jan-Niklas Beste aus (90.+3) und kam durch Tim Kleindienst (90.+9) tatsächlich noch zum Sieg. In Sandhausen herrschte Schockstarre. Nach 15 Minuten Nachspielzeit war in Regensburg Schluss und Heidenheim jubelte - sogar noch über die Zweitliga-Meisterschaft, da der SV Darmstadt 98 bei der SpVgg Greuther Fürth 0:4 verlor.

Unverhofft bejubeln die Heidenheimer nach dem Sieg in Regensburg den Aufstieg und die Meisterschaft.
Für die Heidenheimer trafen Regensburgs Benedikt Saller per Eigentor (58. Minute) sowie Beste und Zweitliga-Torschützenkönig Kleindienst in der Nachspielzeit. Für den Jahn war vor 14.189 Zuschauern Prince Osei Owusu (51./57.) erfolgreich.
Jetzt gebe es den „totalen Abriss“, sagte Heidenheims Stürmer Tim Kleindienst, der mit seinem 25. Saisontor den entscheidenden Treffer erzielte und Torschützenkönig wurde. „Da gibt’s keine Worte dafür“, sagte Kleindienst bei Sky: „Darum lieben wir den Fußball, darum lieben wir den Sport. Weil solche Geschichten geschrieben werden. Das ist einfach geil, Wahnsinn, geisteskrank. Das war einfach der pure Glaube. Aber wir haben es einfach verdient.“
Aufstieg mit Heidenheim: Stader Marnon Busch jetzt Erstliga-Spieler
Mittendrin: Der gebürtige Stader Marnon Busch. Der 28-Jährige gehörte auf der rechten Seiten zu den Aktivposten der Heidenheimer, erlebte den Fußball-Wahnsinn über die vollen 105 Minuten mit.

Als Regensburg in Führung geht, staucht Marnon Busch (links) seine Kollegen zusammen. Foto: dpa-Bildfunk
Heidenheim spielte seit 2014 in der Zweiten Liga. Busch kam 2017 nach Ostwürttemberg und lernte die Vorzüge des Arbeitens kennen, zum einen die Ruhe fernab des medialen Rummels, zum anderen einen Trainer (Frank Schmidt, seit 2007 im Amt), der immer „hungrig“ sei, „nie zufrieden, nie erschöpft“.
Busch selbst avancierte nach kurzer Anlaufzeit zur absoluten Stammkraft. Der Rechtsverteidiger ist Eckpfeiler einer stabilen Defensive. „Ich habe hier gelernt, was es heißt, Profi zu sein“, sagt er. Busch legte Extraschichten ein, verbesserte Ausdauer und Athletik. Sein Vertrag läuft bis 2027.
Heidenheim lange Zeit geschockt
Die Heidenheimer begannen gegen die schon vor dem Spieltag praktisch als Absteiger feststehenden Regensburger nervös. Jahn-Stürmer Owusu lief in der 8. Minute alleine auf Heidenheims Torwart Kevin Müller zu, der die Gäste mit einer starken Parade vor dem frühen Rückstand bewahrte. Auch danach blieben die Hausherren die gefährlichere Mannschaft.
Nach dem Seitenwechsel legten die Heidenheimer druckvoll los. Der zur Halbzeit eingewechselte Stefan Schimmer vergab eine Riesenchance, als er aus kurzer Distanz den Ball neben das Tor schoss (47.). Anschließend schockte Owusu die Heidenheimer mit seinem Doppelpack. Die Schwaben schafften im Gegenzug durch das Eigentor den Anschlusstreffer. Danach erhöhte der FCH den Druck und schaffte in der Nachspielzeit doch noch die Wende.
Heidenheim-Trainer Schmidt soll Denkmal bekommen
Die Heidenheimer Erfolgsgeschichte ist besonders mit zwei Namen eng verbunden. Der heutige Vorstandsvorsitzende Holger Sanwald heuerte bereits 1994 als Abteilungsleiter beim Heidenheimer SB an, dem die Fußballer damals noch angehörten. Frank Schmidt war als Spieler für den HSB aktiv, ehe sich die Fußballer 2007 unter dem Namen 1. FC Heidenheim als rechtlich eigenständiger Verein abspalteten. Nach seinem Karriereende übernahm er noch im selben Jahr zunächst kommissarisch und dann dauerhaft das Traineramt.
Immer wieder gelang es dem inzwischen 49-jährigen Schmidt und dem sieben Jahre älteren Sanwald seit dem Zweitliga-Aufstieg 2014, die Abgänge von Leistungsträgern aufzufangen und den FCH weiter in der Liga zu etablieren. In dieser Saison war Stürmer Kleindienst mit 25 Toren der beste Schütze der Liga - und damit nicht nur wegen des entscheidenden Tores zum 3:2 ein Faktor für den nun feststehenden Aufstieg.
Schmidt reagierte mit Humor auf den Hinweis, dass Geschäftsführer Holger Samwald ihm im Falle des Aufstiegs ein Denkmal in Aussicht gestellt hatte. „Da wird irgendwann mal hingepinkelt, und das möchte ich nicht“, sagte er. Bei der Feierlichkeit seien ihm „ein paar Rippen eingedrückt“ worden, „das nehme ich aber in Kauf. Wir haben das mehr als verdient. Solange wie der Schiedsrichter nicht abpfeift, machen wir einfach weiter. Es war beeindruckend, wie wir bis zum Schluss für diesen Traum gekämpft haben“. (dpa/tim)