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Interview

Herr Holm: „Der Abschied fällt schwer - das halte ich für ein gutes Zeichen“

Dirk Bielefeldt alias Herr Holm hat seine Karriere als schrulliger Polizist beendet. Foto: Schläger

Dirk Bielefeldt alias Herr Holm hat seine Karriere als schrulliger Polizist beendet. Foto: Schläger

31 Jahre lang gab Dirk Bielefeldt den skurrilen Polizisten Herr Holm - davon allein knapp 600 Vorstellungen im St. Pauli Theater. Im Interview mit TAGEBLATT-Mitarbeiterin Dagmar Gehm berichtet Dirk Bielefeldt von seinen Erlebnissen in Uniform und einer Traumrolle als Pastor.

Samstag, 31.12.2022, 14:00 Uhr

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Herr Holm - schlurfender Gang, spießige Brille und Hamburger Schnack - wird am 2. Januar von Polizeipräsident Ralf Martin Meyer in den Ruhestand verabschiedet. Mit 65 Jahren drei Jahre später als jeder echte Polizeibeamte. Den Titel eines Ehrenkommissars und Sympathieträgers der Polizei darf der Komiker behalten.

TAGEBLATT: Warum verabschieden Sie sich von der Figur des Polizeibeamten Herr Holm?

Dirk Bielefeldt: Vermutlich gibt es für so eine Entscheidung keinen einzig richtigen Zeitpunkt. Aber wenn man noch ein paar andere Dinge im Leben verwirklichen möchte, muss man auch mal ein Kapitel schließen. Der Abschied fällt schwer - das halte ich für ein gutes Zeichen.

Bedeutet die Pensionierung von Herrn Holm den endgültigen Abschied des Dirk Bielefeldt von der Bühne?

Das muss es nicht bedeuten. Ich werde weiter Conférencen im Hansa Theater machen und kann mir auch vorstellen, vielleicht in einer anderen Rolle aufzutreten oder auch ein Theaterstück zu schreiben, in dem ich aber nicht notwendigerweise mitspielen muss. Konkrete Ideen gibt es aber noch nicht.

Ihr Bühnenprogramm „Das Beste zum Schluss“ ist nun fast schon Geschichte. Wie holprig war der Anfang?

Ich startete mit Straßentheater provokativen Inhalts. Das brachte mich auf die Idee, eine Polizeiuniform anzuziehen. Bei der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der Hamburger Polizei fragte ich an, ob ich das eigentlich dürfe. Der zuständige Beamte antwortete: „Wer sollte Sie daran hindern?“ und gab mir einen Schein für eine Uniform aus der Kleiderkammer. Das führte aber dazu, dass ich von der Polizei festgenommen wurde. Denn das Tragen der Uniform in der Öffentlichkeit ist eine Straftat. Dem Beamten, der mir die Uniform zur Verfügung gestellt hatte, drohte ein Strafverfahren wegen Anstiftung zu Straftaten.

Trotzdem landete Herr Holm in Polizeiuniform auf der Bühne.

Obwohl ich jedes Mal die örtliche Polizei informierte, dass jemand in ihrer Uniform auf der Straße auftreten wird, untersagte sie diese Auftritte doch immer mal wieder. Auch das war ein Grund, warum ich die Straße verließ. Als ich die Figur auf die Bühne stellte, gab es kein Problem mehr, jedem war klar, dass Herr Holm kein richtiger Polizist ist.

Als Sie damals in Uniform herumgelaufen sind - was hat das bei den Menschen bewirkt?

Wenn ich mich auf die Straße stelle und den Arm hebe, wird das nächste Auto halten. Das ist die Macht der Uniform. Polizei ist wichtig. Wenn in einem Rechtsstaat ein Polizist erscheint, ist es etwas, worauf ich mich verlassen kann. Ein Riesenunterschied also zu bestimmten Staaten, wo die Polizisten zwar Uniform tragen, aber man sich deswegen noch lange nicht sicher sein kann, dass man sein Recht bekommt.

Herr Holm ging mit der Zeit, wechselte seine Uniform von Grün auf Blau. Wie haben Sie es geschafft, dass Ihr Polizist nie langweilig wurde?

Wenn man einen Polizisten nur als ein Klischee darstellt, ist die Geschichte schnell auserzählt. Deswegen war es für mich wichtig, dass er ein Mensch ist, der ganz viel Tiefe hat und unabhängig von Ordnungsversessenheit und Lehrmeisterhaftigkeit Gefühle zeigt. Der keine Frau hat und noch bei seiner Mutter lebt. In jedem Programm hatte ich deshalb immer auch Nummern, in denen er aus seiner Kindheit berichtet, die nicht so ganz leicht war.

Wie emotional war am 26. Oktober die Abschiedsvorstellung im St. Pauli Theater?

Das St. Pauli Theater ist für mich ganz wichtig, knapp 600 Vorstellungen habe ich da mit Herrn Holm gespielt. Als im ausverkauften Zuschauerraum das Licht wieder anging und ich in dieses wahnsinnig schöne Parkett und in die Logen schauen konnte, zu wissen, dass die Ära des Herrn Holm vorbei ist, war es schon sehr ergreifend. Ich blicke auf eine tolle Zeit zurück, bin dankbar und demütig. Es war viel mehr, als ich mir je erträumt hatte. Die letzte Vorstellung von Herrn Holm wird allerdings erst am 27. Januar in der KulturBäckerei in Lüneburg stattfinden.

Kamen auch Polizisten in Ihre Vorstellungen?

Ja, besonders am Anfang waren sehr viele Polizisten da. Oft haben sie vorher den Namen ihres Chefs mitgeteilt, seine Automarke, seine Hobbys, in der Hoffnung, Herr Holm wird darüber auf der Bühne einen Scherz machen.

Als Herr Holm haben Sie die Polizei aufs Korn genommen. Welchen Berufsstand könnten Sie sich als lohnenswerte Angriffsfläche in der Zukunft vorstellen?

Ich fände es total spannend, einen Pastor zu spielen. Das Theater in eine Art Kirche zu verwandeln. Mein Ansatz wäre, den Glauben an sich infrage zu stellen. Rituale, das Singen, eine Predigt, die uns etwas Schlaues erzählt, sind etwas ganz Großartiges. Das bietet die Kirche, aber ich finde, in einem Glaubenskontext, der nicht mehr zeitgemäß ist.

Hat sich während Ihrer Zeit als Komiker der Sinn für Humor in Deutschland gewandelt? Hat man vor 20 Jahren über Pointen gelacht, die heute nicht mehr zünden würden?

Absolut. Ich würde aber nicht sagen, dass sich der Humor geändert hat. Es sind die Inhalte, die Themen, die Kontexte, in denen ein Sketch wahrgenommen wird. Es gibt einen Song von John Lennon: „Happy X-mas“ („War is over“). Übersetzt: Der Krieg ist vorbei. Der geht textlich im Moment nicht. „War“ ist leider nicht „over“.

2001 haben Sie als Herr Holm in einem Bühnensketch einer Frau, die sich über ihr demoliertes Cabrio beschwert hat, gesagt: „Wenn Sie Ihr Auto oben ohne vor der iranischen Botschaft parken, dann müssen Sie sich nicht wundern, dass es gesteinigt wird.“ Würden Sie den Sketch heute noch genauso bringen?

Unbedingt. Gegen den Islamismus und gegen diese menschenfeindlichen Dogmen muss man unbedingt zu Felde ziehen, und das heißt in meinem Fall auch: sich darüber lustig machen.

Da Sie ohne Dienstmütze und spießiger Brille ein ganz anderer Typ sind - können Sie privat zum Bäcker gehen, ohne erkannt zu werden?

Ja, glücklicherweise. Die Uniform macht als Maske wahnsinnig viel aus. Dahinter kann ich mich gut verstecken. Am Ende der Vorstellung nehme ich immer Mütze und Brille ab, Gesicht und Haare sind wieder sichtbar. Wenn ich aber dann in zivil alles abbaue und Zuschauer für ein Autogramm an die Bühnenkante kommen, haben sie mich oft nicht erkannt. Daran merkt man einfach, dass die Uniform eine sehr gute Tarnung ist.

Ihr Lieblingssketch?

Einer der lustigsten Sketche, glaube ich, ist die Nummer, wo Herr Holm dem Publikum im Weihnachtsprogramm „Stille Nacht“ in einer fast akrobatischen Nummer vorführt, wie man Geschenke einpackt. Diese Nummer hat dem Publikum und mir immer viel Freude gemacht. Wie dieser lehrmeisterhafte Typ auf groteske Weise etwas zeigen will, aber alles schiefgeht.

Es heißt, dass viele Komiker privat überhaupt nicht komisch sind. Wie sieht das Ihr Umfeld?

Ich bin nicht der extrovertierte Typ, der auch privat immer für Lacher sorgt - ganz im Gegenteil. Auf der Bühne kann ich durchaus ein ziemliches Feuer entfachen, aber privat mag ich das nicht so. Das heißt aber nicht, dass ich humorlos bin. Ich bin schlagfertig und gern fröhlich. Wenn ich mal in froher Runde spaßig bin, dann auf Holmsche Art. Scharf und provokant.

Was bedauern Sie am meisten?

Ich bedaure, dass ich nie ein Instrument richtig gut gelernt habe. Ich habe mir ziemlich spät alles selbst beigebracht, hatte ein wenig Unterricht, spiele ein bisschen Ukulele, Banjo, ständig Gitarre und Klavier. Ich denke, Musik ist die größte und tollste Kunstform und das Expressivste überhaupt, was die Herzen der Menschen am meisten erreicht. Jetzt habe ich ein bisschen mehr Zeit dazu, vielleicht das eine oder andere noch ein bisschen besser zu machen.

Bei Herrn Holm geht es um Recht und Ordnung. Gibt es da Schnittstellen zwischen Herrn Holm und Dirk Bielefeldt, sprich, sind Sie auch privat ein ordnungsliebender Mensch?

Ja, das würde ich schon sagen. Ich finde es erleichternd, eine gewisse Ordnung zu halten. Ich habe einen Bastelkeller, da sind die Schraubenzieher dort, wo alle Schraubenzieher liegen, die Zangen in einer anderen Schublade. Wenn man viele Schraubenzieher hat und viele Zangen, hilft das ungemein.

Können Sie Herrn Holm jemals abschütteln, oder wollen Sie das gar nicht?

Dass ich ihn beiseitelegen kann, liegt daran, dass er nicht meiner Persönlichkeit entspricht. Er ist schon ein anderer Typ. Er ist eine Kunstfigur, meine Art, mich auszudrücken im schauspielerischen, kreativen Bereich. Ich glaube, das kann ich im Moment ganz gut beiseitelegen, um mich um neue Dinge zu kümmern. Möglicherweise wird Herr Holm als meine Clownsfigur da wieder durchscheinen.

Herr Holm erfährt aber keine Auferstehung?

Wenn sich diese Tür schließt, soll es auch wirklich endgültig sein. Wenn sie das nicht tut, wird sich auch keine neue öffnen. Alles Neue, was mir noch passieren könnte in meinem Lebensalter, interessiert mich. Daran, das Alte noch mal aufzuwärmen, habe ich kein Interesse.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Zunächst werde ich schreiben. Etwas Fiktionales, einen Roman, Kurzgeschichten, weil ich das immer gern getan habe. Ob da irgendetwas Verwertbares rauskommt, ist nicht wichtig. Mich interessiert jetzt ein Zustand, in dem ich Dinge tue, die für andere zunächst mal ganz unbedeutend sind. Auf der Bühne war es von der ersten Sekunde an wichtig, dass ich die Leute kriege, dass sie mir zuhören und das, was ich sage, lustig finden. Mein Glück ist damit auch immer abhängig von der Zustimmung anderer. Doch es gibt Dinge im Leben, da muss keiner applaudieren.

Bitte ergänzen Sie...

Mein Vorsatz fürs neue Jahr... lieber nicht zu viele Vorsätze machen.

Wenn ich mal abschalten möchte, gehe ich... zum Musikmachen in den Keller.

An Hamburg fasziniert mich... die Vielfalt der Menschen und die so unterschiedlichen Stadtteile.

Currywurst oder Cordon Bleu? Als Vegetarier gerne hin und wieder mal gegen die Regel eine Currywurst.

Wenn ich mich noch mal für einen Beruf entscheiden könnte, würde ich... gerne Förster werden.

Im Urlaub... gehe ich gern wandern.

Zur Person

Dirk Bielefeldt wurde 1957 in Hamburg geboren. Nach dem Studium der Soziologie und Philosophie an der Universität Hamburg begann er 1982 eine Schauspielausbildung bei Philippe Gaulier in Paris. Seit 1984 wirkte er in verschiedenen freien Theatergruppen mit, vornehmlich im Straßentheaterbereich. Im Februar 1991 feierte seine erste Kabarettproduktion „Herr Holm - Keiner für alle“, ein Soloprogramm rund um die Figur eines skurrilen Polizeiwachtmeisters, Premiere beim Kampnagel Kabarettfestival in Hamburg.

Es folgten weitere Programme und Tourneen mit Herrn Holm in ganz Deutschland. Allein im St. Pauli Theater stand er fast 600 Mal in Polizeiuniform auf der Bühne. Daneben gab es zahlreiche Fernsehauftritte, Videos und CDs. 1991 erhielt er als Gewinner des „Scharfrichterbeils“ einen Kabarettpreis. Dirk Bielefeldt ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Hamburg-Blankenese.

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